Am nächsten Tiefpunkt angelangt, trat nur noch Christopher Trimmel vor die Medienvertreter. Während sich seine Mitspieler schon in die Kabine zurückgezogen hatten, musste der Kapitän des 1. FC Union Berlin Worte für das finden, was niemand mehr erklären kann. Kein Spieler, nicht der Trainer oder ein anderer Verantwortlicher und eben auch nicht der 37-Jährige, der mit den Köpenickern in den vergangenen zehn Jahren diese wundersame Reise von der 2. Bundesliga in die Champions League mitgemacht hat. Mit 2:3 (2:1) hatten die Eisernen gerade beim Tabellenvorletzten 1. FC Köln verloren, dabei nicht nur eine Zwei-Tore-Führung verspielt, sondern den entscheidenden K.o.-Schlag in der Nachspielzeit kassiert.
„Ich weiß nicht, wie wir so wegbrechen konnten“, war einer der Sätze von Trimmel, die das ausdrückten, was alle Union-Anhänger unmittelbar nach Abpfiff fühlten: Ratlosigkeit. Vielleicht auch Entsetzen über die Tatsache, dass man innerhalb von wenigen Minuten eine glänzende Ausgangsposition im Abstiegskampf einfach weggeschenkt hatte. Die Gäste führten nach Toren von Robin Knoche (15.) und Kevin Volland (19., Handelfmeter) schon früh, hatten alles im Griff und fanden doch keine Sicherheit.
Nie habe er das Gefühl gehabt, dass Union an diesem Nachmittag noch Probleme kriegen könne, diktierte Trimmel den wartenden Journalisten in ihre Aufnahmegeräte und Notizblöcke. Seine Augen blickten ins Leere, in diesem Moment war da nichts mehr, das irgendwie Hoffnung macht. Florian Kainz (45., Foulelfmeter), Steffen Tigges (87.) und Damian Downs (90.+2) hatten die Partie für spielerisch äußerst limitierte Gastgeber gedreht und einer ganzen Stadt damit die Zuversicht auf den Klassenerhalt in der Fußball-Bundesliga zurückgegeben.
Nach eigener Führung hatte der 1. FC Union Berlin in der laufenden Spielzeit lediglich einmal in Dortmund vor über einem halben Jahr verloren, fast alle Beobachter waren sich sicher, dass die Treffer von Knoche und Volland reichen würden, um zumindest einen Punkt mit in die Hauptstadt zu nehmen. Doch der schwächste Angriff der Liga war in der Schlussphase gut genug, um der Begegnung eine nicht mehr für möglich gehaltene Wende zu geben. Am letzten Spieltag kommt es jetzt zum Fernduell zwischen beiden Vereinen. Köln muss in Heidenheim zwingend gewinnen, auf eine Niederlage der Eisernen hoffen und gegenüber den Köpenickern vier Tore aufholen. Die wiederum müssen im Heimspiel gegen den SC Freiburg mindestens einen Zähler sammeln, um die Relegation zu erreichen. Um mehr dürfte es nach den Eindrücken vom Wochenende nicht mehr gehen.
Denn der Trainerwechsel, im Abstiegskampf oftmals der letzte Weckruf, den der Verein am Montag dieser Woche vollzogen hatte, ist mit dem Tiefschlag in Köln verpufft. „Wir werden weitermachen und jetzt nicht aufhören“, versprach Marco Grote zwar, doch der Interimstrainer weiß, dass sich die Ausgangssituation im Tabellenkeller dramatisch verschlechtert hat. Weil der 1. FSV Mainz 05 drei Stunden nach Abpfiff der Partie im Rhein-Energie-Stadion mit 3:0 gegen Dortmund gewann, ist Union erstmals in diesem Jahr auf den Relegationsrang abgerutscht.
Neun Punkte hatte die Mannschaft vor nicht einmal zwei Monaten noch Vorsprung auf Tabellenplatz 16, doch nach dem 2:1-Erfolg gegen Werder Bremen am 16. März holte Union lediglich noch zwei von möglichen 21 Zählern. Die Angst vor dem Absturz hat die Beine der Spieler längst gelähmt, die Nerven spielen jedem einzelnen Akteur regelmäßig Streiche. Das war nicht nur in Köln zu beobachten, sondern auch schon in der ersten Halbzeit des Bochum-Spiels (3:4) eine Woche zuvor oder beim 1:5 gegen den FC Bayern im April. Was Nenad Bjelica nicht lösen konnte, hat auch Grote nicht geschafft. Wie denn auch, in nicht mal einer Woche?
Es blieb an diesem enttäuschenden Nachmittag letztlich eine Randnotiz, aber zumindest eine Begebenheit dürfte für das Saisonfinale Hoffnung machen. Nach langer Zeit war Union endlich mal wieder nach Standardsituationen gefährlich. Trimmel war mit zwei Eckbällen von der rechten Seite Wegbereiter beider Tore. Zudem köpfte Robin Gosens nach einer weiteren Ecke, in dem Fall von links, an die Latte des Kölner Tores (68.). Sebastian Bönig, der in der vergangenen Woche nach einer längeren Auszeit in den Trainerstab zurückgekehrt war, hatte dies explizit mit der Mannschaft trainiert.
Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um zu erahnen, dass die Trainingswoche rund um die Alte Försterei unruhig werden wird. Im vierten Jahr in Serie geht es am 34. Spieltag für den 1. FC Union Berlin um alles. Nur diesmal eben nicht um den Einzug in einen europäischen Wettbewerb, sondern erstmals um den Klassenerhalt. Vielleicht helfen ja noch einmal Eckbälle und Freistöße. Irgendeinen Hoffnungsschimmer muss es doch geben.