Benedict Hollerbach stand schon zur Einwechslung bereit, Nenad Bjelica war im Begriff, sein Versprechen, dass er zwei Tage zuvor gemacht hatte, in die Tat umzusetzen. „Wir spielen auf Sieg“, hatte der Trainer des 1. FC Union Berlin vor dem so wichtigen Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach auf die Frage, ob ihm denn ein Punkt reichen würde, geantwortet. Weil offensiv nicht viel ging, wollte Bjelica einen zusätzlichen Stürmer einwechseln, der das siegbringende Tor im Borussia-Park erzielen könnte.
Hollerbach hatte gerade noch einen letzten Schluck aus der Trinkflasche genommen, da bereiteten seine Kollegen auf dem Platz eigentlich alles dafür vor, dass sich der Sommer-Zugang vom SV Wehen Wiesbaden direkt wieder unverrichteter Dinge auf die Bank hätte setzen können. Herrlich lief der Ball über Brenden Aaronson, Josip Juranovic, Kevin Volland und Lucas Tousart, der das Spielgerät scharf von der rechten Seite ins Zentrum passte. András Schäfer kam sieben Meter völlig frei stehend vor dem Tor an die Kugel, die er eigentlich nur noch über die Linie stupsen musste.
Dem Ungar aber versagten die Nerven, überhastet und viel zu ungenau zielte er weit über das Tor. Die Eisernen, die trotz der kurz darauffolgenden Hereinnahme von Hollerbach torlos blieben, hatten den Matchball in Person des Mittelfeldspielers vergeben. „Ich bin komplett davon überzeugt, dass wir in den letzten drei Spielen effektiver vor dem gegnerischen Tor werden“, erklärte Bjelica etwa eine Stunde nach Abpfiff auf der Pressekonferenz. Die Fragen zur offensiven Harmlosigkeit seiner Mannschaft kann er längst nicht mehr hören.
Kein anderes Team im deutschen Profifußball hat in diesem Kalenderjahr weniger Tore erzielt. Einzig und allein der Tatsache, dass die Defensive auch in Gladbach einen sehr anständigen Job machte, ist es zu verdanken, dass der 1. FC Union Berlin den Klassenerhalt in der Fußball-Bundesliga drei Spieltage vor Saisonende noch aus eigener Kraft schaffen kann. Zwei Siege aus den noch ausstehenden Partien gegen Bochum, in Köln und zum Saisonabschluss gegen den SC Freiburg dürften dafür wohl reichen.
Doch für Siege müssen Tore her. Und was dieses Defizit betrifft, war Schäfer beim Gastspiel am Niederrhein sicherlich nicht der Alleinschuldige. Yorbe Vertessen agierte vor der Pause derart unsichtbar, dass es im zweiten Durchgang kaum auffiel, dass er – von Bjelica ausgewechselt – gar nicht mehr auf dem Platz stand. Volland mühte sich redlich, hatte bei zwei Aluminium-Treffern allerdings auch Pech und Hollerbach kam in der Schlussphase in keine vernünftige Abschlussposition mehr.
„Leider zieht sich das mit dem Verwerten unserer Möglichkeiten wie ein roter Faden durch die Saison“, war Volland hinterher ratlos. Der Ex-Nationalspieler bleibt bei zwei Saisontoren stehen, zuletzt hatte er im Hinspiel im Dezember getroffen, als beim Bjelica-Debüt in der Bundesliga ein 3:1-Heimsieg gegen Gladbach gelungen war. Gleichzeitig das einzige Spiel unter der Regie des 52-Jährigen, in dem Union mal mehr als zwei eigene Treffer erzielt hatte.
Die letztlich positivste Nachricht des Tages kam zwei Stunden nach Abpfiff aus Mainz, wo der gastgebende FSV gegen den 1. FC Köln trotz langer Führung nicht über ein 1:1 hinausgekommen war. Die Bjelica-Elf bleibt damit zwei Punkte vor dem Relegationsplatz, den die Rheinhessen belegen. Noch dazu hat Mainz im Saisonfinale zwei von drei Spielen auswärts zu bestreiten und auf fremdem Geläuf hat die Mannschaft in der laufenden Saison noch kein einziges Spiel gewonnen.
In Summe bleibt festzuhalten, dass die sportlichen Aussichten für die Köpenicker deutlich schlechter sein könnten. Neben der Tatsache, dass Union im Gegensatz zu allen anderen Konkurrenten noch zwei der drei Spiele bis zum Saisonfinale am 18. Mai zu Hause absolvieren darf, ist es die defensive Qualität, die Mut macht. Denn bei allem Ärger und berechtigter Enttäuschung hinsichtlich der offensiven Darbietungen darf nicht vergessen werden, dass Union in Mönchengladbach zum sechsten Mal in diesem Kalenderjahr ohne Gegentor blieb. Am Sonntag sogar ganz ohne großes Glück, denn die Hausherren hatten in 90 Minuten keine große Torchance.
Keine zumindest von der Qualität der eingangs beschriebenen Szene. András Schäfer konnte im Kabinengang auch schon wieder lächeln, die Heimreise dürfte gar nicht so trübsinnig gewesen sein.