Helene Fischer und Shirin David: Kirmestechno und hingeraunte ...

26 Nov 2023

von Ingo Scheel

25.11.2023, 23:11 3 Min.

Lieblingssong für die einen, Hasslied für die anderen: Seit zehn Jahren polarisiert "Atemlos" von Helene Fischer. Zum runden Jubiläum gibt es nun eine neue Duett-Version zusammen mit Shirin David. Hat es das wirklich gebraucht? 

Shirin David - Figure 1
Foto STERN.de

Hat Deutschland auf dieses Lied gewartet? Morgens, kurz vor sechs Uhr am Tag der Veröffentlichung, verzeichnet "Atemlos durch die Nacht (10 Year Anniversary Version)", wie das Stück hochoffiziell heißt, auf YouTube knapp 9000 Abrufe. Ist jetzt nicht ganz das Berliner Olympiastadion voll, die Tendenz in den Kommentaren dafür eindeutig: "Hammer! Das Power-Duo, womit keiner gerechnet hat", schreibt ein User namens Cheffe316. Ein gewisser 1806Ines findet's "Einfach mega" und monehazel befindet: "Shirins Part ist der Hammer!!"

Ist er das? 

"Atemlos", diese unkaputtbare Kirmeshymne, dieser Konsenstrack aller runden Hochzeiten, Schlagermoves und Junggesellinnenabschiedsplaylists, hat – und man wundert sich erstmal – zehn Jahre auf der Uhr. Erst? Läuft das nicht schön länger, seit Ewigkeiten sozusagen? Vor ziemlich genau einer Dekade, am 29. November 2013 nämlich, erschien die Single aus der Feder von Kristina Bach, als zweite Auskopplung aus dem Helene-Fischer-Album "Farbenspiel".

"Atemlos" war der Song der Fußball-WM 2014

Durch die Fußball-WM 2014 erhielt der Song seine finale Veredelung, schließlich hatte ihn die deutsche Mannschaft, popmusikalisch schon immer engagiert am Start, zu einem ihrer Favoriten erkoren. Man wurde Weltmeister, das Land ließ sich fallen in die allzu einfachen Zeilen und Helene Fischer sang das Stück am Brandenburger Tor. Der Rest ist Geschichte. Nun also: "Happy Birthday" zum 10. Geburtstag, du atemloses "Atemlos". Hast du dich ein bisschen alt gefühlt? Dann schenk dir doch einfach eine jüngere Version deiner selbst. Die Idee, von langer Hand angekündigt: Ein Duett mit Deutschlands erfolgreichster Rapperin, ein neues "Atemlos", gepimpt mit einer guten Portion Sprechgesang. Man will mit der Zeit gehen.

Grandios ist die Stelle im Making-of-Clip, der die gemeinsamen Studioaufnahmen von Fischer mit David dokumentiert. "Findest du es nicht komisch, so einen … Rap?", wird Fischer gefragt. Wie der Frager kurz absetzt, ehe er sich dann doch traut, das Wort "Rap" anzufassen, wenn auch nur mit zwei Fingern. Man darf getrost annehmen, dass die Macher in der Kollaboration einen progressiven, ungewöhnlichen, ja geradezu revolutionären Move sehen, zumal für innere Fanzirkel, die durchaus wertkonservativ veranlagt zu sein scheinen.

Helene findet Shirin, die "Vorreiterin im Deutschrap", als "Person, als Mensch" jedenfalls "wahnsinnig toll", für die wiederum ist das Ganze "wahnsinnig special", also dass die Helene ihr das "so gibt", ihr "Baby", dieses Lied, das, wieder Shirin, längst "deutsches Kulturgut" sei. 

Bleibt, nach so viel gegenseitigem Schulterklopfen, die Frage: Wie klingt die neue Version denn nun?

Unter drei Minuten ist sie lang, das mal für die Statistiker. "Viel zu kurz", werden die einen sagen, "fast drei Minuten zu lang", die anderen. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte: Eine gute Single braucht knapp unter 180 Sekunden, mehr nicht, das wussten schon die Beatles, die Ramones und die Buzzcocks.

Jubiläumsversion ist 2 Minuten 52 Sekunden lang

Gleich im Intro fallen ein paar dramatische "Ahaaas" in die fanseitige Anspannung, dann Fischers Refraingesang, gefolgt von Shirins Raps mit der charakteristischen Helium-Stimme. Neue Zeilen werden serviert, über "Körper", die "vom bunten Licht geküsst" sind – was immer das heißen mag. Bei 1 Minute 15 Sekunden setzt der Rhythmus erst richtig ein, handelsübliche Ballerbeats aus dem Selbstbedienungsladen, so effektiv wie mäßig spannend. Shirin David dreht das Ganze schließlich auf Diversitäts-Message, "Dresscode Regenbogenflagge", sehr korrekt. Sie singt von Gott, der keine Fehler macht und "uns genau so wollte, wie wir sind". Damit wäre die neue Version also von höchster Stelle gesalbt und geheiligt, sehr clever. Viel mehr passiert dann auch nicht mehr, siehe oben, bei zwei Minuten und 52 Sekunden ist Schicht im Schacht.

Man hätte allen Beteiligten, dem großen Herrn oben und den beiden Damen da unten, dann doch ein bisschen mehr Wagemut gewünscht, mehr Radikalität und Experimente. Für eine Duett-Kombi zweier Namen dieser Größenordnung wirkt das Werk reichlich schnell aus der Hüfte geschossen. Pack' mer'n Beat drunter, dann kommen die Raps, dann wird wieder gesungen, nochmal Raps, Chorus, fertig ist die Laube. Hatten nicht schon Oli P. und Alex C. "Eine Insel mit zwei Bergen" auf diese Weise aufgespritzt und sogar Heinz Strunk nach ähnlichem Schema F die Schinkenstraße jubeln lassen? Na siehste! Lief doch. Läuft doch. Immer weiter.

Dabei beweisen gerade die Sleaford Mods mit ihrem Arrangement des Pet-Shop-Boys-Klassikers "Westend Girls", wie gewagt und gleichzeitig poppig, wie augenzwinkernd und dennoch einnehmend eine auf den ersten Blick ungleiche Kombi klingen kann. Von derlei Überrumpelungspop mit Dicke-Hose-Faktor ist "Atemlos" in seiner Jubi-Version weit entfernt. Kann man schade finden. Oder Shirin David glauben, die an einer Stelle im Song shoutet: "Das ist kein Make-up, das ist Kunst". Mal schauen, was Thommy Gottschalk dazu sagt, wenn die beiden am Samstag beim großen "Wetten, dass..?"-Farewell zu Gast sind.

#Themen Helene Fischer Shirin David Atemlos Single YouTube Kristina Bach Wetten, dass..?
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