Rafael Nadal und der Anfang vom Ende
Stand: 06.01.2024, 05:15 Uhr
Von: Jörg Allmeroth
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Nach einjähriger Verletzungspause wieder da und gleich siegreich: Rafael Nadal. © AFPDer legendäre Spanier startet in Australien seine Abschiedstournee vom Profitennis. Bei seinem Comeback zeigt er, dass mit ihm auch in seiner letzten Saison zu rechnen ist
Seine Lebensmaxime als Tennisspieler hat Rafael Nadal über die letzten beiden Jahrzehnte immer wieder griffig beschrieben, das Motto war wie in Stein gemeißelt und lautete so: „Ich gebe immer hundert Prozent, wenn ich auf den Platz gehe. Nur so kann ich im Profitennis überleben“, sagte der Matador: „Reichen die hundert Prozent nicht aus, war der Gegner eben besser.“ Einen anderen Nadal, so Nadal, „gibt es nicht.“
Wo die hundert Prozent von Nadal in diesem Januar 2024 liegen, zu Beginn seiner mutmaßlich letzten Saison als Berufsspieler, das ist die große Frage. Die Frage, die sich seine vielen Kollegen, die Rivalen, die Freunde, die Fans und natürlich auch er selbst, der inzwischen 37-jährige Mallorquiner, und sein großes Betreuungsteam stellen. Als er am Dienstagabend um genau 21.37 Uhr im australischen Brisbane die Hände in die Höhe reckte, als Sieger (7:5, 6:1) über den früheren österreichischen Grand-Slam-Gewinner Dominic Thiem, war jedenfalls der Start ins letzte Comeback des unvergleichlichen Spaniers erst einmal geglückt.
Auf der Zielgeraden seiner fabelhaften Karriere hatte ihn zuvor wieder einmal sein Körper im Stich gelassen, zu den ohnehin schon vielen Zwangspausen kam eine 349-tägige Auszeit von der zweiten Australian-Open-Runde 2023 bis zu diesem 2. Januar 2024 hinzu. „Es war eins der härtesten Jahre meines Lebens“, sagte Nadal nun, „lange Zeit war nicht klar, ob ich noch einmal auf die Courts zurückkehren würde. Ich bin glücklich, wieder da zu sein“. Im Sommer war der 22-maligen Grand-Slam-Champion sogar an der Hüfte operiert worden, bald danach deutete Nadal an, dass 2024 sein letztes Jahr im aufreibenden Wanderzirkus sein würde.
Nadal füllte ganz viele Rollen in seinem Tennisleben aus. Er war der dynamischste, energetischste, leidenschaftlichste und kämpferischste in der eigenen Liga außergewöhnlicher Gentlemen – nämlich der Großen Drei mit Roger Federer und Novak Djokovic, die ihren Sport auf eine nie da gewesene Art und Weise beherrschten. Zusammen kamen sie auf 66 Major-Titel, Nadal gewann die French Open allein 14-mal. Nadal war auch der Schmerzensweltmeister, der Mann, der körperlich immer wieder an die Grenzen ging und sie nicht selten überschritt. Er kenne keinen zweiten Menschen, der leidensfähiger sei als sein Neffe, sagte Nadals Onkel und langjähriger Trainer Toni Nadal, „andere hätten mit diesen Problemen längst aufgehört.“ Doch Nadal machte weiter. Immer weiter. Auch jetzt noch einmal, nach Fuß -und Hüftproblemen.
Und auch dies war Nadal stets, von seinen Teenagerjahren bis hin zu seiner Rolle als Alterspräsident: Der große Meister des Abwiegelns, der König des Understatements. Kaum war er jetzt in Australien angekommen, war von ihm denn auch zu hören, wie sehr er sich freue, einfach wieder auf dem Platz stehen zu können, das Gefühl eines Duells vor sich zu haben, in der Reisetruppe des Wanderzirkus mitmischen zu können. Ob er die ganz großen Titel gewinnen könne, etwa bei den bevorstehenden Australian Open in Melbourne, wurde er vor und nach seinem ersten Einsatz gegen Thiem gefragt. Nadals typische Antwort: „So weit denke ich nie voraus. Ich bin froh, dass ich wieder wettbewerbsfähig bin.“
Erfolge machen ihn gelassenSeine Konkurrenten kann Nadal damit weder beeindrucken noch täuschen. Jeder auf der Tennistour weiß, dass Nadal noch aus jedem seiner Comebacks als Mann zurückkehrte, der zwar froh war, die vertraute Centre-Court-Atmosphäre wieder aufsaugen zu können. Der aber eben auch Ziele und Ambitionen hatte, berechtigte Ansprüche – einer, der nicht nur einfach mitspielen will. Der Däne Holger Rune, in Teilzeit auch von Boris Becker betreut, gab in Brisbane schon nach einem Training zu Protokoll, so intensiv sei niemand in den vergangenen sechs Monaten gegen ihn aufgetreten. „Wir merken ihm an, wie viel Spaß und Freude er bei seinem Comeback hat“, sagt Nadals Trainer Carlos Costa, „ich bin gespannt, wo das hinführt.“ Jedenfalls mit Sicherheit schnell weg von Platz 672 der Weltrangliste, auf den es ihn als Langzeitpatient verschlagen hatte.
In die nächsten Wochen und Monate seiner Abschiedstournee geht er allerdings auch mit einer gewissen Gelassenheit, Nadal sagt, er habe „längst seinen Frieden mit dem großen Tennis“ gemacht: „Innere Ruhe gibt mir, dass ich alles erreicht habe, was ich mir nur wünschen konnte.“
Jörg Allmeroth