"Du warst ein verdammt guter Krieger": Stimmen und Reaktionen zu Nadals Karriereende
Was sich lange, lange abzeichnete, ist am 10. Oktober 2024 Gewissheit geworden. Fast 20 Jahre nach seinem ersten Triumph von Paris ließ Rafael Nadal die Sportwelt wissen, dass nun Schluss sei.
Schluss mit einer einzigartigen Karriere, in der der heute 38 Jahre alte Spanier 92 Titel gewann, darunter 22 bei Grand-Slam-Turnieren, darunter 14 bei den French Open. Das ruhmreiche Sandplatzturnier in Paris wird für immer mit Nadals Namen verbunden sein, dessen Rekord einer für die Ewigkeit sein könnte.
In den vergangenen beiden Jahren quälte sich Nadal von einer Verletzung zur nächsten, Turnierabsage reihte sich an Turnierabsage. Sein Rücktritt war eigentlich überfällig.
Andererseits wäre Nadal nicht einer der größten Tennisspieler aller Zeiten geworden, hätte er es nicht gegen alle Wahrscheinlichkeiten und weit über die Schmerzgrenze hinaus versucht, die Zeit zurückzudrehen und nochmal anzugreifen. Doch wie große Siege gehörten auch empfindliche Niederlagen zu seiner Karriere. Den letzten Kampf gegen seinen Körper hat er nun verloren.
Und wie alles in seiner Karriere stellte er sich jener Tatsache mit einer ihm eigenen Demut, die ihn weltweit so beliebt machte: "Ich denke, das ist der richtige Zeitpunkt, eine Karriere zu beenden, die lang und viel erfolgreicher war, als ich mir jemals erhofft habe."
Wo alles anfing? Natürlich in Paris. Im Sommer 2005. Wir blicken zurück auf Nadals ersten ganz großen Triumph.
Der folgende Artikel wurde ursprünglich im Mai 2015 veröffentlicht und erscheint nun in einer leicht überarbeiteten Version erneut.
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"Das Wunderkind" (FAZ) reiste mit den Titeln aus Monte Carlo, Barcelona und Rom an und war bereits Fünfter der ATP-Weltrangliste. Es verließ Paris mit dem vierten Titel in Folge und 24 Siegen am Stück. Am Ende gewann er in seinem Breakthrough-Year elf (!) Titel und katapultierte sich von Rang 51 auf Weltranglistenplatz zwei.
Kurios: Bei den anderen drei Grand Slams war Nadal schon mit 16 und 17 Jahren angetreten. Ausgerechnet Paris verpasste er 2004 wegen eines Ermüdungsbruchs im Knöchel. Statt mit dem Training auszusetzen, setzte er sich mitten auf dem Trainingsplatz auf einen Tisch und schlug Bälle, die Coach Onkel Toni ihm zuspielte.
"Ich wollte das Gefühl für mein Spiel nicht verlieren", erzählte Nadal später und verstand die verwunderten Blicke nicht, die er mit dieser Geschichte auslöste.
Für Kopfschütteln sollte auch sein Outfit in Paris sorgen: grünes ärmelloses Hemd, weiße Dreiviertelpumphosen und ein weißes Bandana, das die wilde Mähne zähmte. Kurzum, er erinnerte an einen Piraten. Und in Wimbledon hätten sie definitiv einen Herzkasper bekommen.
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Der Linkshänder spielte mit heftigem Topspin, diktierte die Matches mit seiner Vorhand. Dank starker Beine überzeugte er mit einer exzellenten Abdeckung des Platzes. Er zeigte keinerlei Furcht, bewies Nervenstärke und fegte mit einer Leidenschaft über die rote Asche, die ihm sofort Vergleiche mit dem jungen Boris Becker oder John McEnroe einbrachte. Wobei sich die Parallelen, zumal auf Sand, in engen Grenzen halten.
Denn anders als die Trashtalker der 80er Jahre fällt Nadal von Anfang an durch Höflichkeit und besonders gute Manieren auf. Starke Punkte bejubelte er allerdings schon damals mit geballter Faust und lauten "Vamos"-Anfeuerungsrufen. Seine Gegner nahmen dieses Ritual als psychologische Kriegsführung wahr.
Der Junge lieferte alle Zutaten zur Legendenbildung: Der Latin-Look mit den langen Haaren eignete sich für die Poster in den Zimmern der Mädchen ebenso wie seine Heldengeschichte für die Hochglanzcover.
Seine Geschichte war absolut filmreif, aber eigentlich war er noch ein Kind, wenn auch mit ernstem Gesicht. So extrovertiert und wild er sich auf dem Platz gebärdete, so schüchtern und bescheiden zeigte er sich abseits. Eine Schokomilch war zu dieser Zeit sein Hauptsponsor. Wie passend.
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Ob er eine Freundin habe? Zurückhaltendes Lächeln: "Nein, eine Freundin habe ich nicht." Ob er eitel sei? "Nein, das ist nicht mein Stil. Im Bad brauche ich morgens sehr wenig Zeit." Er liebe das Golfspielen. Und das Angeln. Er mag es, sagt er, früh aufzustehen und mit dem Boot in den Sonnenaufgang rauszufahren.
Presse und Publikum verliebten sich in Paris in das "Kind mit der donnernden Linken", der "Tornado Nadal schonte niemanden" (L'Equipe). Eine "Frisur wie Gabriela Sabatini, Beine wie Madonna (nur 30 Zentimeter länger)" bescheinigte ihm der Telegraph. "Kaum 19, hat er das Spiel, den Look und bemerkenswert gute Manieren", überschrieb die New York Times am Tag nach dem Finale ihr Nadal-Porträt.
In den ersten drei Runden war Nadal in Paris noch unter Radar geflogen. Mit Lars Burgsmüller, Xavier Malisse und Richard Gasquet hatte der 18-Jährige keinerlei Mühe. Auch gegen Landsmann David Ferrer lief es im Viertelfinale glatt. Nur Sebastien Grosjean tags zuvor und der Nummer eins Roger Federer im Halbfinale gelang es, dem Teenie einen Satz abzuknöpfen.
Am Tag des Duells mit dem Schweizer wurde Nadal 19 Jahre alt. Es gab eine Torte und den Sieg über sein großes Vorbild.
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Was folgte, war ein "verwegener Triumph" (Telegraph), der Spanien verzückte und Nadal weltweit bekannt machte. Den ersten Satz verlor er noch im Tiebreak mit 6:8 gegen den ungesetzten Mariano Puerta. Auch im vierten Satz hatte der Gaucho die Chance zum Ausgleich, als er bei 5:4 drei Satzbälle vergab.
Doch mit seiner unnachahmlichen Athletik und Präsenz schaffte Nadal das Rebreak und machte anschließend mit 6:3, 6:1 und 7:5 den Sack zu - und kürte sich selbst zum Helden. Seit Mats Wilander 1982 hatte niemand mehr die French Open im ersten Anlauf gewinnen können.
Der Moment brachte sogar den spanischen König zu stehenden Ovationen. Nadal, der wie in den nächsten Jahren so häufig nach verwandeltem Matchball erst einmal ungläubig den Schläger fallen ließ und in die rote Asche sank, durfte sich von seiner Majestät umarmen lassen.
Juan Carlos musste wohl erst die rote Asche von seinen Sakko-Ärmeln klopfen, ehe er an diesem heißen Sonntagnachmittag seine Loge verließ.
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Mit dem wilden Piraten auf dem Chatrier hatte der schüchterne Gentleman in Anzug und Schlips, der kurz vor Mitternacht umrahmt von seinen Eltern an einem Champagnerglas nippte, nichts mehr zu tun. Im Hintergrund der Restaurant-Terrasse, auf der nach dem "donnernden Triumph" (New York Times) die leise Siegesfeier stieg, schimmerten Eiffelturm und Invalidendom.
Als er vier Tage später nach Spanien zurückkehrte, feierte ihn die Nation als Volkshelden, hofiert wie ein Hollywoodstar. Monitore pflasterten den Pressebereich, das Sicherheitspersonal hatte alle Hände voll zu tun und Nadals Agent telefonierte ohne Unterlass. Kameras hielten jede Regung des Teenies fest, er musste unzählige Tennisbälle signieren. Und seine Rede wurde live in alle Teile Spaniens übertragen.
Sein Englisch kam noch zögernd und unbeholfen daher. Der Sieg sei "himposseeble. There's nothing I can say." Rafa vermied daher die fremde Sprache, wo er konnte. "Ich hoffe, das alles verändert mich nicht", sagte er auf der Pressekonferenz deshalb in seiner Muttersprache. "Ich möchte weiterhin ein 19-jähriger Jugendlicher sein und mein Tennis spielen."