Kommentar zum Bundeskanzler Olaf Scholz ist ohne Visionen

Meinung | Berlin · Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellt sich den Fragen der Hauptstadt-Journalisten. Die Begrenzung irregulärer Migration steht für ihn dabei im Mittelpunkt. Zugleich betont er, dass es weiterhin den Zuzug von Arbeitskräften brauche. Bei diesen dürfe Deutschland aber auswählen.

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Foto General-Anzeiger Bonn

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußert sich auf seiner Sommer-Pressekonferenz in der Bundespressekonferenz zu aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Er kommt ohne Krawatte, in Nadelstreifen, schnellen Schrittes und fast pünktlich: Olaf Scholz stellt sich den Fragen der Hauptstadt-Journalisten. Geschont wird der SPD-Politiker nicht. Scholz wird als Erstes gefragt, ob er dem Vorbild von US-Präsident Joe Biden folgen wolle, der seinen Verzicht auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur angekündigt hatte. Scholz muss etwas klarstellen, was in den vergangenen Wochen auch in der SPD nicht unumstritten war: Seinen Führungsanspruch.

Die letzten Monate waren für den Kanzler heikel. Die nicht enden wollenden Haushaltsverhandlungen mit den Koalitionspartnern, das mögliche Aus der Koalition vor Augen, die miesen Europawahlergebnisse für seine Partei. All das ist auch aufgrund der Ereignisse in den USA etwas in den Hintergrund getreten.

Interessant ist in dem Zusammenhang die Lernkurve des Kanzlers beim Thema illegale Migration. Scholz hat das Thema zur Chefsache gemacht. Die Frage wird sein, ob die Bevölkerung vor der nächsten Bundestagswahl von den langwierigen Maßnahmen Erfolge mitbekommt. Es könnte wahlentscheidend sein.

Was dem Kanzler nicht gelingt, obwohl ihm mehrfach Brücken gebaut wurden, ist die Idee, Selbstkritik zu üben. Nun muss man Fehler nicht öffentlich eingestehen, aber die Frage etwa nach den Gründen für das Erstarken der Extremisten in der Gesellschaft, die beantwortet er nicht. Noch bei der letzten Sommer-Pressekonferenz gab er sich überzeugt davon, dass der AfD-Spuk vorbeigehen würde. Ein Jahr und zahlreiche Skandale später ist klar: Das tut er nicht. Dazu trägt auch die Unzufriedenheit mit der Ampel-Politik bei. Das einzugestehen und Besserung zu geloben, würde Scholz nicht kleiner, sondern politisch größer machen. Aber Scholz denkt gar nicht daran. Und hofft, dass seine Koalitionäre im Sommer nicht alle Einigungen wieder zerreden.

In gewisser Weise staatstragender ist Scholz im Umgang mit der Opposition geworden. Die Union erwähnt er das erste Mal nach 57 Minuten, seinen wahrscheinlichen Herausforderer im Rennen um die Kanzlerschaft, den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, gar nicht. Bei der nächsten sommerlichen Befragung kurz vor der Bundestagswahl wird sich das ändern. Und dann wird Scholz auch nicht mehr damit durchkommen, die Visionen, die er für Deutschland hat, für sich zu behalten. Denn in diesem Jahr hat man davon wenig erfahren.