„Caren Miosga“: „Was ist denn das für eine Debattenkultur in diesem ...

18 Mär 2024

Panorama „Caren Miosga“

„Was ist denn das für eine Debattenkultur in diesem Land?“, fragt Lars Klingbeil perplex

Stand: 03:21 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten

Lars Klingbeil - Figure 1
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Lars Klingbeil (SPD) zu Gast bei Caren Miosga

Quelle: Claudius Pflug

Bei Caren Miosga stellt sich SPD-Chef Lars Klingbeil demonstrativ an die Seite der Ukraine – und seines Fraktionsvorsitzenden Mützenich. Die Kritik an dessen Bundestagsrede sei eine gezielte Missinterpretation. An der Debattenkultur in Deutschland äußert Klingbeil scharfe Kritik.

Nach der jüngsten Klausurtagung des SPD-Vorstands verbreitete Lars Klingbeil Optimismus. Die Partei wolle sich nicht an der „Schwarzmalerei“ beteiligen, sondern blicke „stolz auf das, was wir gemeinsam als Land“ erreicht haben, erklärte der SPD-Chef. Seine Partei profitiert derweil weniger von den vermeintlich rosigen Zuständen. In den Umfragen dümpeln die Sozialdemokraten institutsübergreifend bei 15 Prozent herum.

Caren Miosga begrüßte in ihrer siebten Sendung den SPD-Parteivorsitzenden zur zugespitzten Frage: „Wofür braucht es die SPD noch, Herr Klingbeil?“ Nach dem Einzelgespräch erweiterte die ARD-Moderatorin die Runde um die Journalistin Helene Bubrowksi und Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft.

Sein Job sei „wahnsinnig anstrengend“, gestand Lars Klingbeil eröffnend, doch zugleich empfinde er es als „wahnsinniges Privileg, jüngster Vorsitzender der ältesten demokratischen Partei Europas“ zu sein. Wenn er sich durch das Land bewege, müsse er sehr oft Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundespolitik im Allgemeinen erklären. Das erste Jahr der Ampel-Regierung bewertete er mit Blick auf die Gaskrise und die Inflation positiv. Erst mit dem Gebäudeenergiegesetz und der Kindergrundsicherung habe „riesiger Streit“ Einzug gehalten, der die Menschen „verwirrt“ und „Vertrauen gekostet“ habe. Er arbeite jedoch täglich daran, dass sich die Arbeit des Dreierbündnisses bessere, versicherte der SPD-Politiker.

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Weder erkläre der Kanzler „richtig“, noch halte er seine Versprechen, beanstandete Helene Bubrowksi, stellvertretende Chefredakteurin der Plattform „Table Media“. Scholz verabreiche der Bevölkerung eine „Beruhigungspille“, indem er zusagt, „alles wird gut in diesem Land, ihr müsst euch keine Sorgen machen“, doch diese habe mittlerweile ihre Wirkung eingebüßt. Die Menschen bekämen stattdessen den Eindruck, er sage „schlicht nicht die reine Wahrheit“. Dadurch entstehe hierzulande „erst recht eine Verunsicherung“, weil der Mensch „mit einer ernsten und schlechten Wahrheit besser leben kann als mit einer Unwahrheit“, sagte Bubrowski.

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Zur unausgesprochenen Realität gehöre etwa der demographische Wandel. Für Bubrowksi sei es „gerade die Aufgabe der SPD“, das Sozialsystem zu reformieren, zukunftsfest zu machen sowie der „eigenen Klientel“ zu erklären. Stattdessen verkünde Olaf Scholz, das Rentenniveau langfristig zu stabilisieren, was er „in Wahrheit natürlich nicht versprechen“ könne. „Wir müssen andere Wege der Finanzierung finden – lieber heute als morgen“, stimmte Moritz Schularick in die Kritik mit ein. Es sei „keine nachhaltige Politik“, die Rente für sicher zu erklären. Das im Rentenpaket II festgelegte ergänzende Generationenkapital sei „im Prinzip eine gute Idee, aber lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein“, urteilte der Volkswirt.

„Es gibt keinen Zweifel daran, wo die SPD und die Bundesregierung steht“

Neben der Rentenpolitik richtete Miosga ein besonderes Augenmerk auf die Rolle der Sozialdemokraten bei der Unterstützung der Ukraine. „Es gibt keinen Zweifel daran, wo die SPD und die Bundesregierung steht: An der Seite der Ukraine“, versicherte Klingbeil. Sowohl seine Partei als auch die Ampel hätten seit Beginn der russischen Invasion etwa in Form des Sondervermögens einen weiten Weg zurückgelegt. Dank Olaf Scholz habe der überfallene Staat eine „wirkliche“ EU-Beitrittsperspektive. Dennoch habe er „manchmal den Eindruck, man wartet in Diskussionen darauf, dass jemand einen falschen Halbsatz“ sage, bemängelte der SPD-Vorsitzende, „und dann auf ihn mit Gebrüll.“

Lars Klingbeil - Figure 3
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Letzteres bezog Klingbeil vor allem auf die Kritik an dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der am Donnerstag im Bundestag appelliert hatte, darüber nachzudenken, „wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann“. Die Rede seines Kollegen werde verkürzt und gezielt missinterpretiert, rügte der SPD-Vorsitzende. Vielmehr habe sich Mützenich „sehr klar für die Waffenlieferungen ausgesprochen“ und in keiner Weise angedeutet, dass „wir über die Köpfe der Ukrainer entscheiden“. Dennoch werde der Fraktionsvorsitzende für seinen Beitrag zur legitimen Frage angegangen, wie Frieden erreicht werden könne. „Was ist denn das für eine Debattenkultur in diesem Land?“, fragte Lars Klingbeil perplex.

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Moritz Schularick betonte die Bedeutung der Verteidigungsausgaben, die ihm zufolge deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel liegen müsse. Zudem beharrte er auf eine „dezidierte Wachstumsagenda“, Arbeitsanreize für Rentner sowie Zuwanderung im „ureigensten ökonomischen Interesse“. Mit seiner Forderung nach einem „starken Staat“ und seiner Infragestellung der Schuldenbremse gebe Klingbeil dagegen das „Spiegelbild dieser gelähmten Republik“ ab, in der eine Seite die Sozialausgaben für „sakrosankt“ erkläre und die andere die Schuldenbremse. Für den Volkswirt sei nun die „Veränderungsbereitschaft“ entscheidend, um nicht als „Wohlstandsmuseum mit Weihnachtsmarkt und Wagner“ zu enden. „Nach vorne gucken, nicht auf das, was mal war.“

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