Langjähriger Nobelpreisfavorit: Albanischer Schriftsteller Ismail ...

2 Tage vor

Der albanische Schriftsteller Ismail Kadare ist tot. Der Autor sei am Montagmorgen im Alter von 88 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben, teilten Kadares Verleger und ein Krankenhaus der Nachrichtenagentur AFP mit. Kadare sei »ohne Lebenszeichen« in ein Krankenhaus in der albanischen Hauptstadt Tirana eingeliefert worden, gab die Klinik an. Eine Herzdruckmassage sei erfolglos geblieben und der 88-Jährige gegen 8.40 Uhr verstorben, hieß es. Sein Verleger Bujar Hudhri bestätigte den Tod.

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Foto DER SPIEGEL

Der Schriftsteller sezierte in seinen in mehr als 40 Sprachen übersetzten Werken die Mechanismen des Totalitarismus. Der Diktator Enver Hodscha regierte Kadares Heimatland Albanien von 1944 bis 1985 mit eiserner Hand.

»Die kommunistische Hölle ist wie jede andere Hölle erstickend«, hatte der Schriftsteller in einem seiner letzten Interviews im Oktober der AFP gesagt. »Aber in der Literatur verwandelt sich das in eine Lebenskraft, eine Kraft, die dir hilft zu überleben, die Diktatur mit erhobenem Kopf zu besiegen.«

Kadare wurde schon seit Jahren immer wieder als möglicher Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt und stand auf den Favoritenlisten der Wettbüros im Spitzenfeld.

Kadare im Pariser Exil: Zwiespältiges Verhältnis zum Hodscha-Regime

Foto: Rebecka Oftedal / TT / IMAGO

International wahrgenommen wurde Ismail Kadare erstmals mit dem Roman »Der General der toten Armee«, der 1963 in Albanien erschien. In den staatsoffiziellen Medien wurde er ignoriert, aber nach der Veröffentlichung einer französischen Übersetzung dort sehr stark rezipiert und mit Michel Piccoli und Marcello Mastroianni verfilmt.

Nach Frankreich floh Kadare auch 1990, wenige Monate nach dem Sturz des kommunistischen Regimes. Kritiker hatten ihm oft zu große Nähe zu Hodschas stalinistischer Herrschaft vorgeworfen. Als Mitglied der kommunistischen »Partei der Arbeit« war er 1970 bis 1982 Parlamentsabgeordneter und gehörte als zweiter Vorsitzender der »Nationalen Front« (1989 gewählt) der politischen Elite des Regimes an.

Ismail Kadare - Figure 2
Foto DER SPIEGEL

Dennoch war er über Jahre Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt, erhielt 1975 zeitweise Publikationsverbot und wurde aufs Land verbannt. Seit Mitte der Achtzigerjahre kritisierte Kadare die stalinistischen Dogmen, und seine Gegner fürchteten ihn nunmehr als »Albaniens Václav Havel«. So war Kadare, bis er ins französische Exil ging, »Aushängeschild des Regimes und Gefangener seiner Rolle«, so die »Süddeutsche Zeitung« 1991.

Eine »Verwilderung der ganzen Gesellschaft« konstatierte der Schriftsteller 1997 für Albanien. In das Vakuum, das der Zusammenbruch des Kommunismus hinterlassen hatte, habe sich ein »vollständiger Amoralismus« eingeschlichen.

Kadare kurz nach der Ausreise nach Paris: Rückkehr kurz vor dem Tod

Foto: Sophie Bassouls / Sygma / Getty Images

Zuletzt war Ismail Kadare aus Paris nach Tirana zurückgekehrt, wo ihn der französische Präsident Emmanuel Macron bei einem Staatsbesuch als Großoffizier der Ehrenlegion ehrte.

Seine über 80 Romane, Theaterstücke, Gedichte, Essays und Erzählungssammlungen wurde in 45 Sprachen übersetzt. Damit ist er mit Abstand der meistübersetzte Autor albanischer Sprache. Popstar Dua Lipa, in London geborene Tochter einer Familie aus dem Kosovo, betonte einmal, sie habe durch Kadares Romane die Sprache und die Kultur ihres Heimatlandes kennengelernt.

»Albanien und die Albanier haben ihr Genie der Worte verloren, ihren spirituellen Befreier«, würdigte Albaniens Präsident Bajram Begaj den Verstorbenen. Der Balkan verliere den Poeten seiner Mythen, Europa und die Welt einen der höchst angesehenen Vertreter der modernen Literatur, so Begaj in einer Mitteilung seines Amtes.

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