Wer hat Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente?

Erwerbsunfähigkeit Erwerbsminderungsrente – die Rente vor der Rente

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Rückenschmerzen können ein Grund sein, warum man seinen Beruf nicht mehr ausüben kann

© IMAGO / Panthermedia

von Olaf Wittrock

01.07.2024, 19:30 3 Min.

Wer zu krank ist, um voll zu arbeiten, könnte Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente haben. Antrag und Voraussetzungen sind allerdings nicht ohne

Burn-out, Rücken, Krebs – es gibt viele gesundheitliche Gründe dafür, dass Menschen nicht mehr arbeiten können. Und es sind beileibe keine Ausnahmefälle: 170.000 Menschen müssen nach Angaben des Arbeitsministeriums in Deutschland jedes Jahr vor der Rente ihren Job quittieren, weil sie nach einem Unfall oder wegen einer Krankheit einfach nicht mehr weitermachen können. In etwa doppelt so viele, nämlich rund 338.000, haben im vergangenen Jahr einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gestellt, die in solchen Fällen unterstützen kann – und rund 1,8 Millionen Deutsche beziehen die Hilfsleistung bereits heute.

Hilfe klingt gut. Doch schon das Wort Erwerbsminderungsrente lässt ahnen, dass die Sache kompliziert werden könnte – und tatsächlich lehnt die DRV fast jeden zweiten Antrag ab. Es stecken gleich drei Begriffe in dem Wort, die dafür verantwortliche sein könnten. Sie machen die Erwerbsminderungsrente zu einer Leistung, auf die Rentenversicherte zwar Anspruch haben, die aber gar nicht so leicht zu bekommen ist.

Ein Erwerb ist kein Beruf

Da ist zunächst die Frage: Was ist eigentlich Erwerb? Viele denken dabei an ihren Beruf – das ist aber nicht dasselbe. Einfach gesagt, ist der Beruf das, was man mal gelernt hat, eine Erwerbstätigkeit kann aber irgendein Job sein. Kommt eine Dachdeckerin nicht mehr die Leiter hoch, kann sie womöglich trotzdem noch im Supermarkt arbeiten, und der Tischler findet nach einem Unfall vielleicht immer noch was im Callcenter. Solche Menschen sind dann womöglich berufsunfähig, aber nicht erwerbsgemindert – und wären damit auch kein Fall für die Erwerbsminderungsrente.

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Wer in psychologischer Behandlung war, hat schlechte Chancen, einen Berufsunfähigkeitsschutz zu bekommen. In welchen Fällen es trotzdem klappen kann.

Eine Sonderregel gilt für Menschen, die vor dem 2. Januar 1961 geboren wurden. Sie haben nicht nur Anspruch auf Rente bei Erwerbsminderung, sondern auch schon dann, wenn sie nur nicht mehr im angestammten Beruf arbeiten können – so ähnlich wie bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung. „Bei diesen Altfällen gibt es allerdings oft Streit darum, welche Tätigkeiten noch vergleichbar und zumutbar sind“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK. Wer aus diesem Grund mit seinem Antrag nicht durchkommt, sollte einen Widerspruch prüfen, rät sie.

Der zweite Knackpunkt ist die „Minderung“. Auch hier ist eine feine Unterscheidung nötig. Es geht nicht darum, gar nicht mehr arbeiten zu können, sondern bloß weniger. Schwer erkrankt zu sein allein, das reicht aber auch nicht aus. Im Amtsdeutsch heißt das Prozedere dazu „Feststellung der Leistungsfähigkeit“. Zuständig dafür ist ein Arzt oder einer Ärztin, die die DRV beauftragt. Die medizinische Frage lautet: Wie viele Stunden pro Tag kann die betroffene Person dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen? Sind es weniger als drei Stunden täglich, spricht man von voller, bei drei bis höchstens sechs Stunden nur von teilweiser Erwerbsminderung. Dann gibt es bloß Anspruch auf die halbe Rente – es sein denn, man findet keinen passenden Teilzeitjob. Wer nur „gemindert“ ist in seiner Erwerbstätigkeit, kann folgerichtig auch etwas zur Rente hinzuverdienen – in diesem Jahr bis zu 35.647,50 Euro bei halber und bis zu 17.823,75 Euro bei voller Erwerbsminderung.

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Geld bekommen nur Rentenversicherte

Dritter Bestandteil des Wortungetüms ist schließlich: Rente. Das verweist darauf, dass Erwerbsminderungsrenten nur Beschäftigten zustehen, die auch in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt haben. Die Voraussetzungen lauten: Es kommen insgesamt mindestens fünf Beitragsjahre zusammen. Erziehungszeiten sind dabei eingerechnet. Und: In den vergangenen fünf Jahren wurden mindestens drei Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt. Lediglich bei Arbeitsunfällen oder anerkannten Berufskrankheiten sind Ausnahmen on diesen Regeln möglich.

Die Berufsunfähigkeitsversicherung gehört zu den wichtigsten Policen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gerade Job-Einsteiger sollten Tarife vergleichen und sie abschließen

Wem das schon kompliziert genug vorkommt, der kennt noch nicht mal die Details des Antragwesens. Um das Formular auszufüllen, dem neben Nachweisen über die Versicherungszeiten auch eine möglichst lückenlose Krankenakte beizufügen ist, sollte man sich schon mal eine Stunde Zeit nehmen. Und dann prüft die Deutsche Rentenversicherung nicht mal nur die medizinische Lage – sondern auch noch die Chancen, die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen: „Der Grundsatz lautet: Reha vor Rente“, erklärt VdK-Präsidentin Bentele. Bedeutet: Nicht selten endet der Antrag auf Erwerbsminderungsrente mit einer Aufforderung zur medizinischen oder beruflichen Reha. Und selbst wenn der Antrag durchkommt, ist er in der Regel befristet: Geld gibt es also nur, bis sich der Gesundheitszustand bessert.

Wie viel Erwerbsminderungsrente es gibt, ist übrigens genau wie bei der Altersrente abhängig von den eingezahlten Beiträgen und vom Rentenniveau, das von mehreren Faktoren wie der Lohnentwicklung abhängt. Außerdem gibt es noch einen Abschlag für die Zeit bis zum eigentlichen Rentenbeginn. Im vergangenen Jahr lag die Erwerbsminderungsrente bundesweit im Schnitt bei 933 Euro.

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