England – Slowakei: Nobody's Darling

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England Slowakei - Figure 1
Foto ZEIT ONLINE

Kurz vor Schluss verhindert Jude Bellingham Englands Blamage. Viele hätten der trägen Mannschaft das Aus gegönnt. Nun könnte England sogar richtig weit kommen.

1. Juli 2024, 7:39 Uhr

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Harry Kane und Jude Bellingham haben Freude. © Eddie Keogh - The FA/​Getty Images

Gelsenkirchen war zu Beginn der ungeliebte Ort der Engländer, vielleicht weil er sie an Birmingham, Sheffield oder Blackpool erinnert. Nun wurde es zur Stätte des Glücks. Die Engländer sind bekannt für tragisches Scheitern. Verschossene Elfer, Torwartpatzer, unnötige Rote Karten, das ganze Repertoire. Diesmal lief es gegensätzlich.

Nach ihrer Wiederbelebung sangen die englischen Fans einen alten Beatles-Hit. Hey Jude, die Ode an Jude Bellingham, klang durch die Arena in Gelsenkirchen. Ihr Star hatte mit einem Fallrückzieher in der fünften Minute der Nachspielzeit den Ausgleich erzielt und eine weitere Blamage der englischen Nationalmannschaft verhindert. Es war kein gutes Spiel von Bellingham, aber ein spektakuläres Tor und eine historische Tat.

Der Jubel der Fans, halb Triumph, halb Erleichterung, hielt bis in die Pause zwischen Ende der regulären Spielzeit und der Verlängerung an. Der übliche englische Defätismus wich einer Zuversicht, die sich umgehend bewahrheiten sollte. Nicht lange nach dem Wiederanpfiff traf Harry Kane mit dem Kopf zum 2:1. Direkt vor der englischen Kurve. Fortan verteidigte England den Vorsprung mit viel Einsatz und Gottvertrauen.

Viele hätten der Mannschaft von Gareth Southgate das frühe Aus gegönnt. England ist nicht Everybody's Darling, seine Fans tragen keine Röcke. Bei diesem Turnier wird auch noch offensichtlich, wie einfallslos die Mannschaft spielt. Doch nun könnten die Engländer richtig weit kommen.

Im Falle einer Niederlage wäre eine andere Szene sinnbildlich für den Auftritt Englands geworden. In der ersten Halbzeit entschloss sich Kieran Trippier, einen sich eher verirrenden Diagonalpass von Bellingham direkt zu nehmen. Der Ball flog gut zehn Meter über das Tor. Das hätte nicht mal beim Rugby gezählt.

England trat nicht wie ein Favorit auf. Die Slowaken stießen leicht durch Mittelfeld und Abwehr der nicht gut sortierten Engländer, bis sie durch Ivan Schranz verdient in Führung gingen. Es war sein drittes Tor bei dieser EM, mehr hat bislang keiner.

Besonders schwer fiel England der Spielaufbau. Die Geduld der Zuschauer wurde durch langatmige Passorgien zwischen den Verteidigern ohne Raumgewinn strapaziert. Das, was am meisten Bewegung in die Sache brachte, war das ständige Gefuchtel von Jordan Pickford, dem englischen Keeper. Damit signalisiert er seinen Mitspielern irgendetwas, vielleicht handelt es sich auch bloß um Übersprungshandlungen.

Das Mittelfeld um Declan Rice, den hoch gehandelten Sechser, dem aber sämtliche Feinheiten abgehen, stockte. Bukayo Saka kam nicht in Gang, Phil Foden war auf sich allein gestellt. Kane spielte ohne Dynamik. Der beste Angriff endete mit einem Tor von Foden, das aber wegen Abseits zurückgenommen wurde. Rice traf aus der Distanz den Pfosten. Kane köpfte knapp vorbei.

Die Slowakei, mit Tschechien zusammen 1976 Europameister, hatte schon Belgien geschlagen. Den Engländern war sie spielerisch überlegen. In der Verlängerung hätte der Ausgleich fallen können, England schaffte in 30 Minuten nicht mal einen Konter.

Nach seinem Tor beließ es Bellingham nicht dabei, seine Freude auszudrücken. Er betonte hinterher seine Genugtuung über die angeblich unberechtigte Kritik. Auf dem Platz verhöhnte er beim Jubel die slowakische Bank. Er verspielt gerade Sympathien.

Der Sieg wird die Kritiker in England nicht besänftigen. "Wir waren 30 Sekunden vor dem Aus", sagte Jude Bellingham, der Spieler des Spiels, der Presse. "Dann hätten wir uns wieder den ganzen Müll anhören müssen." Der Sieg sei eine gute Antwort darauf gewesen, mit dem Tor und seinem Jubel habe er etwas zurückwerfen können. 

In England wird viel auf Gareth Southgate geschimpft. Seine Mannschaft enttäuscht viele, wobei der hohe Marktwert manches englischen Spielers über seine wahre Qualität hinwegtäuscht. England wird der am schlechtesten gelaunte Viertelfinalist.

Das ändert nichts daran, dass die Mannschaft gute Chancen hat. Sie trifft nun auf die Schweiz, die zwar gut drauf ist, aber es hätte im Viertelfinale auch schwerere Gegner geben können. Im Halbfinale kämen Rumänien, Türkei, die Niederlande oder Österreich infrage. Der Turnierbaum meint es nicht schlecht mit den Engländern, auch wenn es viele vor einem Finale mit ihnen graut.

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