„The Death of Slim Shady“: Wie Eminem mit seinem neuen Album ...

13 Jul 2024

Es gibt da ein Bild, ein ikonisches Bild, dass sehr viel mehr über den jungen Eminem erzählt, als jeder Text es auch nur ansatzweise könnte. Dieses Bild zeigt ihn, wie er sich verstanden wissen will; es zeigt ihn, wie er in blauer Latzhose auf einer Bühne steht, Kettensäge in der Hand, Eishockeymaske im Gesicht, eine Selbstinszenierung als Serienkillerhybrid, eine Mischung aus Jason Voorhees („Freitag, der 13.“), Chucky, der Mörderpuppe, und Leatherface („Texas Chainsaw Massacre“), allesamt popkulturelle Personifikationen des immer wiederkehrenden und nicht auslöschbaren Bösen. Aber so ganz richtig ist das nicht. In Wahrheit zeigt das Bild nicht Eminem. Es zeigt Slim Shady.

Eminem - Figure 1
Foto DIE WELT

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Slim Shady, so könnte man sagen, ist die Kunstfigur der Kunstfigur. Marshall Mathers, der Mensch, hat Eminem, den Rapper, erschaffen, und Eminem, der Rapper, hat ebenfalls eine Kunstfigur geschaffen, nämlich Slim Shady, der im Eminemschen Oeuvre nicht nur für die harten, sondern für die allerhärtesten Lyrics zuständig ist. Der über Dinge rappt, die selbst einer Kunstfigur wie Eminem zu hart wären, der Themen wie Gewalt, Sex und Drogenkonsum drastisch überspitzt und jede Minderheit angreift, einfach nur, weil sie eine Minderheit ist.

Jetzt hat Eminem ein neues Album auf den Markt gebracht und es trägt den Titel „The Death Of Slim Shady (Coup de Grâce)“. Auf dem Cover sieht man Slim Shady mit offenen Augen und offenem Mund in einem schon halb verschlossenen Leichensack, so richtig tot sieht er allerdings nicht aus und, um das vorwegzunehmen, das ist er auch nicht. Im Gegenteil: Er ist so lebendig, wie seit zwei guten Jahrzehnten nicht mehr; es ist eben, wie es mit dem Bösen in der Popkultur so ist: Es will einfach nicht vergehen und je mehr man es bekämpft, desto mehr Fortsetzungen fordert es ein.

Die erste Single zu seinem neuen Album hat Eminem mit einem Social-Media-Post angekündigt, „…and for my last trick!“, teast er da den Song „Houdini“ an, ohne dass einem damals schon bewusst war, dass sein vermeintlich letzter Trick bloß ein Vorbote zu seinem größten Meisterstück werden sollte. Denn Eminem hat es geschafft mit „The Death Of Slim Shady“ das politisch unkorrekteste Album, das es seit langer Zeit im US-Mainstream gegeben hat, zu veröffentlichen und dafür dennoch selbst im progressiven Spektrum Applaus zu bekommen. Was für eine Meisterleistung.

Raptechnische Brillanz verbunden mit einem inszeniert-provokativen Auftritt

Um zu verstehen, wie ihm dieser Trick gelungen ist, muss man einen Blick zurück auf seine Karriere werfen. Mit der Veröffentlichung seiner „Slim Shady-LP“ Anfang 1999 erfährt Marshall Mathers erstmals eine breite, globale Rezeption. Schon zu dieser Zeit lässt er neben Eminem auch dessen Alter Ego Slim Shady erscheinen. Slim Shady ist ein unkontrollierbares, anarchistisches und triebgesteuertes, von zahlreichen drogeninduzierten Psychosen unkontrollierbar gewordenes lyrisches Geschöpf, dass die Grenzen des Sagbaren überschreitet, während Eminem zunächst eher über gesellschaftliche, später über private, noch später über politische Themen rappt.

Sein größter Trick: The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)

Quelle: dpa/Universal Music Group

Gerade mit Slim Shady verband Mathers eine bis dahin noch nie erreichte (und bis heute nicht eingeholte) raptechnische Brillanz, mit einem bewusst inszenierten provokativen Auftritt, der in seinem Zusammenspiel den Kunstbegriff der Popkultur (zumindest in den USA) soweit erweiterte, dass die Spielformen der lyrischen Verbalaggression im HipHop als etwas artifizielles begriffen und akzeptiert wurden.

Man begriff: Rap ist Kunst und das, was auf einem Rapsong durch eine Kunstfigur in überspitzter Form verbalisiert wird, ist nicht zwangsläufig das, was der Mensch hinter der Kunstfigur denkt und tut. Genauso wenig, wie ein Horrorfilm die Realität widerspiegelt oder man Al Pacino für die Taten eines Tony Montana in Haftung nehmen würde. Der Grundstein für den zehn Jahre später erfolgenden, endgültigen Durchbruch des HipHop als omnipotente und alles dominierende Jugendkultur war gelegt

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Nach seiner Frühphase und einer selbstauferlegten fünfjährigen Bühnenpause beginnt 2009 mit der Veröffentlichung von „Relapse“ die zweite große Eminem-Phase. Die klassische Phase. Die Zeit der übergroßen Pop-Hits wie „Love The Way You Lie“ oder „The Monster“. Sein Sound passt sich dem Mainstream an; Mathers, mittlerweile clean und bürgerlich angekommen, hat seine Sturm-und-Drang-Phase hinter sich gelassen und so ist auch Slim Shady in seinem Werk kaum noch präsent. Die Kunstfigur Eminem ist erwachsen geworden und trifft erneut den Zeitgeist, denn besonders in den Vereinigten Staaten prägt eine neue Ernsthaftigkeit das kulturelle Klima. Der Begriff der political correctness schwappt erstmals aus universitären Kreisen in einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Und Eminem passt sich ein Stück weit diesem Mainstream an.

Auch Zwerge, Prostituierte und Behinderte werden angegriffen

Ab dem Jahr 2017 und der Veröffentlichung seines von Kritikern (zu Unrecht) verrissenen Albums „Revival“ ist Eminem in seiner Spätphase angekommen. Auf seinen letzten drei Alben griff er Motive seiner Frühphase auf und vermengt sie mit der Ernsthaftigkeit seiner klassischen Periode, ein ständiges, ewig auf sich selbst verweisendes Referenzspiel. Eminem zitiert sich, modisch, musikalisch, inszenatorisch, fügt seiner Figur, jedoch nichts Neues mehr hinzu. Er ist zu einem Gesamtkunstwerk geworden, das sich in seiner kompletten Ästhetik gegen den Zeitgeist stellt, sich dem Diktum der ewigen Veränderungen, Anpassung und Evolution verweigert.

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Dass er alleine damit genauso provoziert und polarisiert wie vor 20 Jahren mit seinen lyrischen Mordfantasien, die heute anerkannter Teil der Popkultur geworden sind, verrät sehr viel über die gesellschaftlichen Umbrüche und die neuen zivilisatorischen Spannungsverhältnisse in einer Welt, die von dem ewigen Wunsch nach Veränderung getrieben ist, aber in Konflikt mit denen gerät, die an traditionellen Werten festhalten wollen. Im Internet entbrannte ein superheiliger Krieg darüber, wie einer wie Eminem es wagen könne, noch so zu rappen, wie er schon vor 20 Jahren gerappt habe, statt sich einem musikalischen Zeitgeist anzupassen, der mehr Wert auf Vibe als auf Technik legt.

Interessanterweise spielte in diesen Debatten der Sound eine größere Rolle als die Lyrics. Und jetzt kommt „The Death Of Slim Shady“, sein letzter großer Trick, in dem Eminem noch einmal einen Fokus auf genau diese verbalexpliziten Inhalte legt. Ob Zwerge, Prostituierte, Behinderte, die „Political-Correctness-Polizei“ oder Frauen, sie alle bekommen auf dem neuen Album einen ab.

Mit der Leichtigkeit eines Mixtapes bringt Eminem die Nullerjahre zurück

Allerdings lässt Marshall Mathers hier Slim Shady nicht völlig unkontrolliert von der Leine, sondern zwingt ihn wieder und wieder in ein Zwiegespräch mit einem gereiften Eminem, der die Aussagen einfängt, relativiert, verurteilt oder in einen Kontext setzt. Das ist der doppelte Boden, das Meisterstück. Eminem schafft es mit diesem Album, jedem Hörer das zu geben, was er gern haben will, ohne dabei auch nur im Ansatz beliebig zu wirken. Ihm gelingt es, um sich zu schlagen, ohne dafür haftbar gemacht zu werden.

Ansonsten ist „The Death of Slim Shady“ ein dichtes Gespann an Referenzen zu seinem Frühwerk, musikalisch setzt er nicht mehr auf Hits, sondern auf die musikalische Anarchie der frühen Nullerahre. Man wird auf dem Album so gut wie keine mainstreamtauglichen Hooks („Temporary“ und „Somebody Save Me“) noch radiotaugliche Singles finden, es hat insgesamt mehr die Leichtigkeit eines Mixtapes, als die Schwere eines Albums. Insgesamt klingt „The Death Of Slim Shady“ wie eine Verneigung vor den unbeschwerten Nullerjahren, in denen eine popkulturelle Anarchie herrschte wie nie zuvor und nie mehr danach. Eminem bringt genau diese Anarachie ein Stück weit zurück, eingerahmt in der Reflexionssehnsucht des modernen Zeitgeistes.

Well played, Shady Houdini.

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