Eminem gibt Slim Shady den Gnadenschuss

13 Jul 2024

Auf Eminems neuem Album „The Death Of Slim Shady (Coup de Grâce)“ kämpfen ein Rapper und sein Alter Ego gegen die Political Correctness und die eigenen Dämonen.

Eminem - Figure 1
Foto FM4

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Die Aufregung ist 1999 groß: Da kommt dieser Detroiter Rapper, der seine unglaublich scharfe Zunge auf unzähligen Freestyle-Battles im Midwest trainiert hat. Er ist weiß, wird aber von Dr. Dre protegiert, einem respektierten und extrem erfolgreichen schwarzen HipHop-Produzenten aus Compton. Und er sagt Dinge, die vor ihm noch wenige Rapper in Songs von sich gegeben haben. Sein erster großer Hit „My Name Is“ beginnt etwa berühmterweise mit diesen Zeilen:

Hi, kids, do you like violence? Wanna see me stick nine-inch nails through each one of my eyelids?

Als Vehikel für die besonders geschmacklosen und unerhörten Texte dient ihm das Alter Ego Slim Shady, das sein ungefiltert ehrliches Es (nach Freud) darstellen soll. Eminem sucht den Skandal, legt sich öffentlichkeitswirksam mit Berühmtheiten wie Limp Bizkit, Moby und Mariah Carey an. Falsch dargestellte Einzelheiten aus seinem Privatleben bringen ihm Verleumdungsklagen von, unter anderen, seiner Mutter und seiner Ex-Frau ein.

Trotzdem oder gerade deshalb wird der Rapper Anfang des Jahrtausends zu einem der meistverkauften und -ausgezeichneten Popkünstler, zu dutzenden Grammys kommt 2002 sogar ein Oscar für den Titelsong im Biopic „8 Mile“. In den Jahren danach verkaufen sich seine Platten weiterhin sehr gut, seine Relevanz in der HipHop-Kultur schwindet aber, weil einerseits wieder neue Künstler nachkommen (etwa auch der von ihm geförderte 50 Cent), aber zudem, weil Eminem jetzt auch selbst produziert und dabei manchmal zu viel auf radiotaugliche Refrains setzt.

Eminem

Auf eine gewisse Weise verspricht das neue, zwölfte Eminem-Album eine Rückkehr, ist doch Slim Shady im Titel (und auch am Cover) vertreten. Scheinbar ist der böse Zwilling aus den frühen 2000ern irgendwie ins Jetzt gekommen und bringt Eminem mit seinen rückwärtsgewandten Ansichten über Homosexualität und Menschen mit Beeinträchtigungen in Bedrängnis. Der Titel „The Death of Slim Shady“ verrät uns aber schon, wie dieser Konflikt ausgehen wird.

Anfangs wirkt es vor allem so, also fühle sich Eminem von der so genannten political correctness police und der Gen Z verfolgt. Deshalb hat er den bösen alten Slim Shady reaktiviert, um endlich wieder alles sagen zu dürfen, was er will. So dick, wie der Rapper am Anfang des Albums mit den unkorrekten Punchlines gegen blinde oder im Rollstuhl sitzende Menschen aufträgt, kann das aber natürlich nicht ernst gemeint sein. Mit Songtiteln wie „Evil“, „Lucifer“ und „Antichrist“ stilisiert er sich als Bösewicht, dazwischen redet ihm Slim Shady ins Gewissen – der ganze große Erfolg sei schließlich vor allem sein Verdienst.

Mit der Figur des Slim Shady hat Eminem auch einige seiner musikalischen Ideen von vor 20 Jahren zurückgebracht: Die Single „Houdini“ erinnert an den Hit „Without Me“ und der Showdown der Platte im Song „Guilty Conscience Pt. 2“ schließt nahtlos an den ersten Teil von 1999 an.

Eminem ist noch immer ein technisch brillanter Rapper und auf dieser Platte stellt er sein Talent auch in den Dienst der Musik, anstatt nur noch schneller und noch komplexer zu rappen. Die ständigen Rants gegen die political correctness und cancel culture, ob nun ernst gemeint oder ironisch, verderben den Spaß an vielen der Songs aber. In Zeiten, wo die Grenzen des Sagbaren tatsächlich ständig in die hasserfüllte Richtung verschoben werden, ist diese Wehleidigkeit eines Multimillionärs ein Ärgernis.

Aber: Wenn am Ende der Platte dann der geläuterte, neue Eminem zu hören ist, wünscht man sich trotz der lobenswerten Aufarbeitung seiner Tablettensucht einen Schuss Slim Shady zurück. Denn das ist doch eindeutig zu dick aufgetragen!

Publiziert am 13.07.2024

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