Wie Bremen das EM-Viertelfinale erlebt hat

6 Jul 2024

Begeisterung vor dem Feldmann's an der Schlachte. Die Deutschen erzielen den Ausgleich. Christina Kuhaupt

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Foto WESER-KURIER

Die Stimmungslawine kommt nur langsam voran. Aber dann entlädt sie sich. Halb Bremen steht Kopf, als Deutschland gegen Spanien kurz vor Ende der Partie den Ausgleich schafft. An der Schlachte sind es Hunderte, die so lange auf den Treffer warten müssen. Sie schreien ihre Begeisterung heraus, als es doch noch gelingt. Und schreien vor Enttäuschung, als die Spanier zum Schluss der Verlängerung den Siegtreffer erzielen. Wie war der Fußballabend in Bremen?

Stille legt sich über die Stadt. Gespannte Stille. Auf den Straßen deutlich weniger Verkehr. Der Marktplatz mehr oder weniger verwaist. Eine Stunde vorher wuselten die Menschen noch umher, haben schnell was erledigt oder sich bereits aufgemacht zu dem Ort ihrer Wahl. Fußball schauen. Nicht zu Hause, allein oder mit ein paar Freunden, sondern mit den vielen, die ein Gemeinschaftserlebnis suchen.

Deutschland gegen Spanien, Viertelfinale bei der Fußball-EM. Die Paarung schlechthin nach dem bisherigen Turnierverlauf. Das Thema des Tages. Es wird nach einem Tipp gefragt, wie das Spiel ausgeht. Vor allem aber danach: „Wo guckst Du?“

Ein paar Hundert haben sich für die „White Pearl“ entschieden, den Beach Club am ­Weserufer im Schatten der „Umgedrehten Kommode“. Bei den Spieltagen vorher mussten Gäste abgewiesen werden. Ausverkauft. 700 Sitzplätze, alle besetzt. Das ist dieses Mal anders. Einige Bänke und Liegestühle sind leer geblieben. „Das Wetter“, sagt Betreiber Milan Mitrovic. Er hat zwar ein Zelt und eine große Markise aufgestellt, die meisten Besucher würden bei Regen aber nass werden. Diese Gefahr scheint gebannt, zwar tröpfelt es bei Spielbeginn noch ein wenig, hört dann aber ganz auf.

Sie suchen länger und finden schließlich eine Bank weit vorne. Ein Trupp von Arbeitskollegen, angeführt von Karin, einer Frau aus dem Viertel. „Eigentlich wollten wir auf die Breminale, aber da ist nichts los“, sagt sie. Also mit der Fähre rüber zum Public Viewing. Das Schiff hat auf der Weser ein paar Extrarunden gedreht, weil jemand aus der Gruppe Geburtstag hat. Dennis ist 35 geworden. Zum Feiern bringt das Spiel ihn bisher nicht, und die Preise – „büschen happig“, murrt er, „fünf Euro Eintritt, sechs Euro fürs Bier.“

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Foto WESER-KURIER

Im Beach Club ”White Pearl” bleiben beim Public Viewing wegen des unsteten Wetters einige Plätze frei.

Foto: Christina Kuhaupt

Etliche Reihen höher, direkt unter den Wagen mit Speisen und Getränken, sitzen Sebastian (35) und Uwe (67), sein Schwiegervater in spe, verrät der Jüngere. Sebastian war beim Spiel der Deutschen gegen die Dänen am vergangenen Wochenende auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg. Das große Public Viewing, Tausende. „War super“, sagt er, „gab es in Bremen früher auch.“ Stimmt, auf der Domsheide. Die beiden Männer haben einen tollen Ausblick über die Menge hinweg, zur Weser und auf die Breminale. Von dort wummern die Bässe herüber. Beats statt Ballsport, übertragen wird auf dem Festival nicht.

Als das Spiel läuft, kommt kaum Stimmung auf, sie ist so mau wie der Fußball in der ersten Halbzeit. Die Leute schwatzen, trinken, essen und lassen das Spiel mehr oder weniger über sich ergehen. Nur einmal, bei einer klitzekleinen Torchance der deutschen Mannschaft, kommen einige aus ihren Liegestühlen hoch und stöhnen, als der Ball daneben geht.

Nicht anders an der Schlachte, wo sich Biergarten an Biergarten reiht. Auch dort ist von Überschwang nichts zu spüren. Dabei stimmt jetzt alles – Wetter und Ambiente. Vor dem Feldmann’s sind es Hunderte, die sich vor dem großen Schirm drängen. Sie stehen, sitzen auf Stühlen oder hocken auf dem Boden. Aufwallung natürlich, als Spanien kurz nach der Halbzeit das 1:0 schießt. Sonst aber zunächst nicht viel, doch das soll sich ändern.

Chance um Chance jetzt, die Deutschen drehen auf, und die Bremerinnen und Bremer tun es auch. Immer wieder ein qualvolles Geraune, wenn es wieder nicht klappt. „Die brauchen 600 Jahre, um ein Tor zu schießen“, haut jemand auf den Bierbänken seinen Frust raus. Es wird gebangt und gezittert. Schreie, als beste Möglichkeiten vergeben werden – nicht kläglich, sondern weil Pech im Spiel ist.

Und dann, kurz vor Schluss, entlädt sich an der Schlachte und überall sonst die ganze Spannung. 1:1! Die Deutschen haben das lang ersehnte Tor geschossen. Jetzt ist es ein einziger Schrei, ein einziger Jubel. Wie die Derwische springen die Menschen vor dem Feldmann’s auf, liegen sich in den Armen, ballen die Fäuste. Für ein, zwei Minuten geht alles drunter und drüber. Und dann mal Luft holen. Verlängerung. Ist noch Bier im Glas?

Am Ende ist das Glas leer, das Spiel verloren. Den Spaniern gelingt in der Verlängerung auf den letzten Drücker der Siegtreffer. Fassungslosigkeit. Was für ein Pech.

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