Ausverkauf der deutschen Wirtschaft?
Stand: 02.10.2024 10:11 Uhr
Der Ölriese Adnoc will das Leverkusener Unternehmen Covestro für bis zu 16 Milliarden Euro kaufen. Zuletzt waren mehrere deutsche Konzerne das Ziel von Übernahmen. Was sagen Experten dazu?
Lange war spekuliert worden, lange war verhandelt worden. Nun ist es offiziell: Mit dem Ölkonzern Adnoc will erstmals ein arabisches Staatsunternehmen einen DAX-Konzern übernehmen, den Kunststoffspezialisten Covestro. Eine Sensation, möchte man meinen, doch in der Geschäftswelt gibt man dem Deal einen Anstrich der Normalität.
"Ich sehe es erstmal ganz neutral - auch, weil es sich wohl um eine freundliche Übernahme handelt", sagt Thomas Fräbel, Leiter Kapitalmarktrecht bei der Münchner Kanzlei Rödl und Partner. Es gehe zwar um einen arabischen Investor, aber man habe offenbar Vorgespräche geführt und sei nicht mit Vorstellungen um die Ecke gekommen, ohne sich mit dem Management abzusprechen. So solle etwa die Unabhängigkeit von Covestro gesichert werden.
Schon jetzt viele ausländische Großinvestoren im DAX etabliertEinvernehmen und genaue Absprachen stehen bei dem Deal also im Vordergrund, dem noch die Bundesregierung und die Aktionäre zustimmen müssen. Kräftige Kursgewinne folgten als Reaktion auf die Kaufofferte. Von einem vermeintlichen Ausverkauf der deutschen Wirtschaft will man an der Börse nichts wissen.
"Der Ausverkauf der deutschen Wirtschaft wird nicht mit Covestro, sondern mit anderen Aktien gemacht", betont Jürgen Molnar, Kapitalmarktstratege bei RoboMarkets. "Dann sind die raus und jemand anderes kommt neu in den DAX - Thema erledigt."
Worauf der Experte anspielt: Mehr als die Hälfte der DAX-Aktien sind bereits in ausländischer Hand. Und bei einigen Konzernen haben sich ausländische Investoren als sogenannte Anker-Aktionäre fest etabliert - allen voran das Emirat Katar, das unter anderem 17 Prozent an VW, acht Prozent an der Deutschen Bank und mehr als drei Prozent am Technologiekonzern Siemens hält. Über Sitze im Aufsichtsrat können Großaktionäre Kontrolle über die Konzerne ausüben und die Geschäfte mitbestimmen.
Deutsche Konzerne als SchnäppchenUnd trotzdem: In jüngster Zeit sind einige Großübernahmen hinzugekommen. So kauft die dänische Konkurrenz den bahneigenen Logistik-Konzern Schenker, Chinesen übernehmen den Autozulieferer Leoni und damit sensible Technologie. Die italienische Großbank UniCredit reckt sich nach der Commerzbank, und Adnoc schafft mit der Covestro-Übernahme Tatsachen.
Das hat doch etwas von einem Ausverkauf der deutschen Wirtschaft, meint Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der niederländischen Großbank ING. "Was deutlich wird: Es gibt immer noch Unternehmen, die attraktiv genug sind für ausländische Investoren. Gleichzeitig müssen wir in Deutschland aufpassen, dass nicht der Ausverkauf bevorsteht." Andere Staaten seien protektionistischer unterwegs, wenn es um die unternehmerischen Kronjuwelen des Landes gehe.
Und um die scheint es zunehmend zu gehen, wofür Beobachter auch die angespannte Lage der deutschen Wirtschaft verantwortlich machen. Deutsche Unternehmen sind im internationalen Vergleich ein Schnäppchen. Dabei sind sie in vielen Bereichen Technologieführer. Brzeski vermisst da eine klare politische Kante: "So haben wir jedes Mal die Beurteilung von Einzelfällen. Es fehlt aber doch ein großes Stück einer gesamtheitlichen Industriestrategie."
"Strategie eins zu eins reinverhandelt"Gestern war bekannt geworden, dass das staatliche Ölunternehmen Adnoc aus den Vereinigten Arabischen Emiraten den deutschen Kunststoffkonzern Covestro übernehmen will. Die Araber bieten 62 Euro je Aktie und bewerten die Anteile des DAX-Konzerns mit 11,7 Milliarden Euro, wie die Unternehmen mitteilten. Außerdem will die Firma aus Abu Dhabi über eine Kapitalerhöhung neue Aktien im Umfang von knapp 1,2 Milliarden Euro von den Leverkusenern kaufen. Zusammen mit den Covestro-Schulden von rund drei Milliarden Euro will Adnoc also fast 16 Milliarden Euro investieren.
Die Übernahme war schon lange erwartet worden. Nun ist der Ölriese nach langem Werben am Ziel. Rund zehn Jahre nach dem Börsengang im Jahr 2015 könnte die ehemalige Bayer-Tochter damit einen neuen Eigentümer bekommen. Den Abschluss des Deals erwartet Covestro-Chef Markus Steilemann erst im zweiten Halbjahr 2025, wie er im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters sagte. "Ich glaube, dass es genau der richtige Schritt ist, um Covestro nicht nur auf Wachstumskurs zu halten, sondern auf die Überholspur zu bringen." Gleichzeitig blieben "Kultur und Werte unseres Unternehmens, die für uns nicht verhandelbar waren", bestehen. "Wir haben unsere Strategie eins zu eins reinverhandelt."