Das Milliardengeschäft mit der Droge Captagon und die Spuren ...

8 Stunden vor
Captagon
Billige Herstellung – Millionengewinne auf der Straße

Seit Jahren beobachten Ermittler den internationalen Weg von Captagon, bei dem Deutschland ein wichtiges Transitland ist. Bisher war es so: Die kleinen Pillen mit dem markant eingeprägten Doppel-C werden in Syrien oder dem Libanon hergestellt. Dann werden sie mittels Land- oder Seeweg nach Mittel- und Nordeuropa gebracht. Hier werden sie mit neuer Tarnware umverpackt und in die Abnehmerländer auf der arabischen Halbinsel gebracht. Das Ganze ist ein Milliardengeschäft: Denn die Pillen sind billig in der Produktion und teuer auf der Straße. Ermittler gehen davon aus, dass 100 Kilogramm Captagon etwa 50.000 Euro in der Herstellung kosten, aber beim Verkauf auf der Straße insgesamt mehrs als acht Millionen Euro einbringen können.

BKA: Sehen nur 10 Prozent des Drogengeschäfts

Lutz Preisler ist Sachgebietsleiter beim Bundeskriminalamt (BKA) für den Bereich synthetische Drogen, zu denen auch Captagon zählt . Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Schmuggel der Droge. Dabei seien "zehn Prozent das, was wir als Hellfeld kennen, der Rest ist Dunkelfeld", sagt der BKA-Beamte.

Das bedeutet: 90 Prozent des Handels der Droge dürfte den Ermittlern in Deutschland verborgen bleiben. Das könnte eine enorme Menge sein, denn in den vergangenen drei Jahren  haben Zoll und Polizei rund 1,2 Tonnen Captagon in Deutschland sichergestellt – das wären die zehn Prozent des Hellfelds, von denen Preisler spricht. Die Zahl macht deutlich, was offenbar von den syrischen und libanesischen Captagon-Kartellen durch Deutschland als Transitland geschmuggelt wird.

Täter nutzen Tarnware für Schmuggel

Genau das hatten die beiden Syrer Bilal M. und Alaa H. im Regensburger Fall mit der Spur nach Nossen gemacht. Denn die Ermittler fanden bei der Durchsuchung der Halle in Nossen nur Säcke mit Natursplit und Maisstärke, aber kein Captagon. Bei den späteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass diese Stoffe offenbar als Tarnware genutzt worden sind. Die Captagontabletten werden untergemischt. Auf diesem Weg wollen die Schmuggler vermeiden, dass beim Röntgen der Container in den Häfen in Saudi Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten etwas auffällt. Klar wurde bei den Ermittlungen, dass das Captagon aus Nossen in eine weitere Halle in die Nähe von Regensburg gebracht worden ist. Unklar bleibt aber bis heute, ob es davor bereits einen Schmuggel mit den Tabletten über die Halle in Nossen durch Bilal M. und mutmaßlich weitere Komplizen gegeben hat.

Spuren führen zum Flughafen Leipzig/Halle

Ein gutes Jahr nach der Durchsuchung in Nossen schlugen Zollfahnder am Flughafen Leipzig/Halle zu. Dort fanden sie in einer Ladung mit Duftkerzen rund 32 Kilogramm Captagon. Bei den Ermittlungen wurde klar: die Droge sollte über den Flughafen nach Saudi Arabien geliefert werden und war Teil eines ganzen Schmuggelnetzwerkes. Die Spuren aus Leipzig führten zum insgesamt bisher größten Fund von Captagon in Deutschland. Am Ende war es insgesamt eine knappe halbe Tonne der Droge, die in Nordrhein-Westfalen und Sachsen gefunden worden waren, mit einem Marktwert von rund 60 Millionen Euro. Vier Syrer müssen sich deswegen seit Ende Juli dieses Jahres vor dem Landgericht Aachen verantworten.

Verbindung zu weiterem komplexen Captagonfall

Doch dieser Fall birgt eine bisher neue Verbindung: Denn die Recherchen von BR, MDR, RBB, SWR, FAZ und Mediengruppe Bayern zeigen, dass der bisher größte Fund der Droge in Deutschland mit einem weiteren komplexen Captagonverfahren zusammenhängt. In diesem geht es um die Produktion von Captagontabletten in Deutschland. Im Sommer vergangenen Jahres hob das BKA in Regensburg eine Produktionsstätte aus. In dem Fall wurden 270 Kilogramm teils fertig gepresste Tabletten und 2,5 Tonnen Grundstoffe für die weitere Herstellung gefunden. Die Stoffe wie auch die Tablettiermaschine kamen aus den Niederlanden. Bei der kriminaltechnischen Untersuchung fanden die Ermittler DNA-Spuren, die zu einem der Angeklagten in dem Captagon-Verfahren am Landgericht Aachen gehören.

Internationale Netzwerke werden kaum aufgeklärt

Unklar ist, was genau er dort gemacht hat. Bisher soll es dazu auch keine weiteren Ermittlungen gegeben haben. Etwas, was bei den Recherchen immer wieder auffällt. Es werden bundesweit enorme Funde gemacht, regional wird ermittelt, Täter werden vor Gericht gestellt, doch die Netzwerke dahinter werden kaum aufgeklärt. Wie auch beim Fall im sächsischen Nossen, in dem es kein Folgeverfahren der Polizei gab. Doch nach Recherchen des Teams der ARD, der F.A.Z. und der Mediengruppe Bayern könnten bisher als lose Gruppen agierende, vorwiegend syrische Dealer in Deutschland sich untereinander nicht nur kennen, sondern auch mit den verschiedenen Geschäften in Verbindung stehen.

Kein Transitland wird ein Transitland bleiben (...)

Ex-DEA-Agent: "Alle Länder sollten sich Sorgen machen"

Antonio Hubbard ist Ex-Agent der amerikanischen Drogenbehörde DEA. 25 Jahre war er unter anderem in Kolumbien, Afghanistan und zuletzt als stellvertretender Operationsleiter für Afrika unterwegs. Hubbard macht sich in Bezug auf Deutschland, Europa und die mögliche Verlagerung der Captagon-Produktion keine Illusionen. "Kein Transitland wird ein Transitland bleiben", sagt er in einem Gespräch mit der ARD, der FAZ und der Mediengruppe Bayern.

Während hiesige Behörden wie das BKA bisher davon ausgehen, dass es in Deutschland so gut wie keinen Konsum von Captagon gibt, ist Hubbard aufgrund seiner Erfahrung davon überzeugt, dass Kriminelle Teile der geschmuggelten Drogen einbehalten und auf den Markt bringen.

Etwas, was das BKA bisher so nicht bestätigen will. Bisher gebe es keinen erkennbaren Markt, so BKA-Ermittler Preisler. Doch Ex-DEA-Agent Hubbard bleibt pessimistisch: "Alle Länder sollten sich über den Aufstieg von Captagon Sorgen machen."

Produktion der Droge könnte sich weiter nach Deutschland verlagern

Die Anzeichen, dass die Produktion der Droge sich zunhemend  nach Deutschland und Europa verlagern könnte, mehren sich. Dem Rechercheteam von ARD, FAZ und Mediengruppe Bayern ist es gelungen, mit einem Captagondealer in Deutschland zu sprechen.

Er berichtet, dass seine Hintermänner in den syrischen und libanesischen Captagon-Kartellen ihm erklärt hätten, dass von dort nur noch das Pulver nach Europa kommen solle. Die Tabletten sollten hier hergestellt und dann weiter vertrieben werden. Das wird auch in einem weiteren großen, inzwischen abgeschlossenen Capatgonverfahren in Bayern deutlich. Dort skizzierte einer der mutmaßlichen Hintermänner seine Pläne. Dabei sollten entsprechende Maschinen nach Österreich gebracht und alle 20 Tage bis zu eine Tonne Captagon produziert werden.

Assad-Clan und Hisbollah verdienen am Drogenhandel

Allerdings gehen Experten davon aus, dass das fertige Pulver für das Tablettieren der Pillen nicht mehr nur aus Syrien oder dem Libanon, sondern auch aus Laboren in den Niederlanden nach Deutschland kommt. Nach ihren Einschätzungen versuchen die Kartelle offenbar, sich damit unabhängiger von Regierungssystemen, wie dem des syrischen Assad-Clans, zu machen.

Laut Ex-DEA-Agent Hubbard verdient das Assad-Regime an dem Handel bis zu 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Auch die libanesische Hisbollah hält bei den Capatagon-Geschäften demnach die Hand auf. Geld, das sich die Kartelle sparen könnten, wenn die Produktion in Länder wie Deutschland verlagert wird.

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