Springsteen in Düsseldorf: Weil doch die Nacht den Liebenden gehört

Bruce Springsteen

Alle Musiker sind schwarz gekleidet, als Letzter kommt Bruce Springsteen auf die Bühne. Sie beginnen mit „The Ties that Bind“, einem Lied vom Album „The River“ aus dem Jahr 1980. Das ist programmatisch zu verstehen. Bei Springsteens Konzerten geht es viel um das Verhältnis zu seinen Anhängern, um die Beziehung zu den Fans, um Zuneigung, die verbindlich und dauerhaft ist. Nach fast drei Stunden Konzert wird der Boss allein mit seiner Gitarre auf der Bühne stehen und das letzte Lied des jüngsten Albums „Letter to You“ von 2020 spielen. Es heißt „I’ll See You In My Dreams“. Auch dieses spiegelt die Sympathie wider, die er für seine Fans hat.

Oft ist in dem Konzert die Symbiose zu spüren, sind die Beziehungen erkennbar, die das Publikum seit Jahrzehnten mit dieser Musik verbinden. Das Lied „The River“ ist an dem Abend der erste Song, den die meisten Besucher auswendig können und mitsingen. Bei der Setlist fällt auf, dass manche Zusammenstellungen stiefmütterlich behandelt werden. Das Zwillingsalbum „Human Touch“ und „Lucky Town“ von 1992 wird nicht erwähnt, von „Tunnel of Love“ von 1987 erklingt ebenfalls kein Lied. Das ist schade, denn die Songs „Man’s Job“, „Local Hero“ oder auch „Tougher Than the Rest“ hätten das Programm sinnvoll ergänzt.

Die Dramaturgie zielt auf den Schluss

Springsteens Balladen aus den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren wären dadurch betont worden. Dafür spielt Springsteen mit seiner E Street Band allein in der Zugabe vier Songs vom Album „Born in the U.S.A.“ von 1984. Auffällig ist die Betonung der Siebzigerjahre. Die Schwerpunkte liegen bei den Sammlungen „Born to Run“ von 1975 und „Darkness on the Edge of Town“ von 1978. Ein Auftritt mit der E Street Band ist ein historisches Ereignis; innerhalb der drei Stunden, die das Konzert dauert, wird die Geschichte der Gruppe dargestellt.

Die Dramaturgie der Veranstaltung zielt auf den Schluss des Konzerts, bei dem sich auch die sitzenden Gäste erhoben haben. Spätestens mit dem Klassiker „Because the Night“ beginnt Springsteen, die über 40.000 Menschen in der ausverkauften Merkur Spiel-Arena an diesem Abend zu begeistern. Die folgenden Lieder „Wrecking Ball“, „The Rising“, „Badlands“ und „Thunder Road“ sind Klassiker in seinem Werk. Was der Boss mit seiner Band als Zugabe spielt, sind seine berühmtesten Songs, unter anderem „Born to Run“, „Born in the U.S.A.“, aber auch „Dancing in the Dark“. Ein Glanzpunkt an diesem Abend ist die Coverversion „Nightshift“ von den Commodores, ein Lied, das dem damals gerade verstorbenen Marvin Gaye gewidmet ist. Wenn es in dem Text über den Soulsänger heißt „And he could sing his song / his heart in every line“, dann fällt auch dies zurück auf den Sänger und die Band, die gerade auf der Bühne stehen.

Einerseits wird an dem Einsatz der Blechbläser der musikalische Einfluss der Soulmusik deutlich. Andererseits sieht man Springsteen an dem Abend häufiger sich mit der Faust auf die Brust schlagen, den Ort der Seele oder des Herzens damit andeutend. Bei ihm und seiner Band kann dieses Organ nur physisch altern. Der Gang vom Boss ist schleppender geworden, der Gitarrist Steven van Zandt wirkt mit seinem Kopftuch inzwischen wie ein Pirat im Ruhestand. Der Schlagzeuger Max Weinberg, der auf der Bühne im Herzen der Band zu finden ist, sieht aus wie ein Chefarzt im Urlaub.

Die Kraft in den Übergängen

Aber diese Eindrücke sind lediglich das Abbild der digitalen Leinwände. Die Musik spricht eine andere Sprache. Wer die Songs von Bruce Springsteen in den letzten Jahren und Jahrzehnten gehört und geschätzt hat, wird diesen Abend in bleibender Erinnerung behalten. Selbst wenn man manchmal nicht unterscheiden konnte, ob die Akustik im Stadion die Musik verzögernd wiedergab oder die Mitglieder der Band vielleicht hinter ihren Einsätzen zurückblieben, so gehörte die letzte Stunde des Auftritts zu den Naturereignissen der Rockmusik und sorgte für Wellen der Emotionen. Dabei lag die Kraft in den Übergängen. Der schnelle Wechsel von „Born in the U.S.A.“ auf „Born to Run“ wirkte unmittelbar einleuchtend, obwohl doch beide Lieder außer dem ähnlichen Satzbau im Titel wenig verbindet.

An das Publikum richtete sich Springsteen vor dem Song „Last Man Standing“. Er handelt von seiner ersten Band im Jahr 1965, in der er als Teenager spielte und die drei Jahre existierte. Von dieser Gruppe ist er mittlerweile der letzte Überlebende, also tatsächlich der „Last Man Standing“. Auch hier wird eine Parallele im Konzert deutlich. Vor dem letzten Lied des Abends, das er allein spielt, verabschiedet er alle Musiker seiner Band. Am Schluss umarmt er den Saxophonisten Jake Clemons, den Neffen des verstorbenen Mitglieds Clarence Clemons. Der „Last Man Standing“ ist an diesem Abend Bruce Springsteen.

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