Bundesliga: Wie Bayern zum Feindbild wurde
Uli Hoeneß versöhnte sich am Ende mit seinen großen Rivalen Christoph Daum und Willi Lemke, verlor sie jedoch innerhalb von zwei Wochen. Ihre Rivalität in den 1980ern formte das Bild des FC Bayern als verhasstes Imperium und prägt die Bundesliga-Geschichte bis heute.
Am Ende war Uli Hoeneß versöhnt mit seinen beiden großen Feinden - und es wurde zur tragischen Pointe, dass er beide Weggefährten innerhalb von zwei Wochen verlor. Am Samstag starb Christoph Daum, zwölf Tage zuvor Willi Lemke, der frühere Manager von Werder Bremen, dem langjährigen Hauptkonkurrenten des FC Bayern.
Wie sehr die damaligen Rivalitäten Hoeneß, die Bayern und die gesamte Fußball-Nation geprägt haben, kann sich kaum jemand vorstellen, der die Geschichten nur als Erzählungen von früher kennt. Das Bild des FC Bayern, wie man es heute kennt, als Fan oder als Gegner, wurde nachhaltig geformt in den 80er-Jahren, in denen erst Lemkes Bremen und dann der 1. FC Köln mit dem damaligen Jungcoach Daum zur Jagd auf ihn bliesen.
FC Bayern wurde zum verhassten Imperium
Man muss sich in Erinnerung rufen: Zwar standen die Bayern mit ihrem legendären Ensemble um Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller sowie den jungen Hoeneß und Paul Breitner schon in den Siebzigern jahrelang an der Spitze der Bundesliga und Fußball-Europas.
Trotz der drei berühmten Landesmeister-Titel in Serie zwischen 1972 und 1974 war die Dominanz aber noch nicht gefestigt. Borussia Mönchengladbach war mit fünf Titeln in dieser Ära noch erfolgreicher, danach eroberte der HSV mit den Trainern Branko Zebec und Ernst Happel dreimal die Schale. Die Bayern hatten nach ihrer ersten goldenen Ära teils heftige Ausschläge nach unten.
Erst nach dem Umbruch mit Jungmanager Hoeneß wurde Bayerns nationaler Erfolg zur absoluten Konstante: In den Jahren 1984 bis 1990 holten die Münchner in fünf von sechs Saisons den Titel, lösten den 1. FC Nürnberg als Rekordmeister ab. Allein Werder Bremen hielt mit dem Titelgewinn 1988 dagegen.
In dieser Zeit änderte sich die Wahrnehmung der Bayern: Sportliche Rivalitäten, Folklore auf dem Level von „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, das gab es vorher auch. In den Achtzigern aber fügte sich alles zu einem größeren, politisch aufgeladenen Ganzen zusammen. Die Bayern als verhasstes Fußball-Imperium, das es zu stürzen gilt - dieses Bild gewann erst damals an Kontur. Und Lemke und Hoeneß führten dabei die Pinsel.
Willi Lemke erzählte die Geschichte, die nachhallt
Lemke zeichnete die Bayern immer wieder als den vom Geld begünstigten Bösewicht und seine Bremer als den Gegenentwurf: „Der FC Bayern München - das sind die Reichen, die Starken, die Großen“, sagte er einst: „Das sind die, die mit breiten Ärmeln und Ellbogen kämpfen.“ Sein Klub dagegen wolle anders sein: „Bodenständig, volksnah, die Jungs von nebenan.“
Der langjährige Bremer Trainer Otto Rehhagel passte in die Erzählung: Der im Krieg aufgewachsene Bergmannssohn und gelernte Maler und Lackierer betonte stets seine einfachen Wurzeln und seine Aversion gegen das, was er für die Arroganz der Macht hielt.
Lemke, schon in jungen Jahren Landesgeschäftsführer der Bremer SPD, vertrat seine Sicht teils aus Überzeugung, teils aus Kalkül: Die Geschichte von Arm gegen Reich, Bodenständig gegen Abgehoben, war eine Art, die Fans zu mobilisieren und den Gegner zu reizen.
Und Hoeneß ließ sich reizen.
Hoeneß sah sein Werk unfair verzerrt
Einen „Volksverhetzer“ nannte CSU-Anhänger Hoeneß den Sozialdemokraten Lemke, der ihn umgekehrt als „Totengräber des Fußballs“ schmähte. Hoeneß fand Lemke scheinheilig und war auch persönlich gekränkt von der Art und Weise, wie Lemke seinen Klub zeichnete.
Hoeneß wusste noch gut, dass er den Klub 1979 in finanziell marodem Zustand mit Millionenschulden geerbt hatte. Dass Lemke ihn ein paar Jahre darauf als überprivilegierten Geldadel zeichnete, sah er als unfaire Verzerrung und Herabwürdigung seines jungen Lebenswerks.
Die Konsequenz, die er daraus zog: Er verteidigte es umso überzeugter, ging aggressiv zum Gegenangriff über - und bestärkte damit Bayern-Fans und -Gegner in ihren jeweiligen Überzeugungen. Der Mythos der „Abteilung Attacke“ und zum Teil auch der des bayerischen „Mia-san-mia“-Selbstbilds hat seinen Ursprung in der Lemke-Hoeneß-Rivalität.
Morddrohungen gegen Augenthaler als Tiefpunkt
Die Feindschaft war in ihrer heißesten Phase mehr als nur Fußball-Folklore: Sie hatte „Züge, die einfach nicht mehr lustig waren“, erinnerte sich der damalige Bayern-Spieler Dieter Hoeneß, Ulis Bruder und Sebastians Vater.
Besonders hässlich wurde es, nachdem der damalige Bayern-Kapitän Klaus Augenthaler Werder-Stürmer Rudi Völler 1985 mit einem heftigen Foul schwer verletzt hatte, das von Hoeneß und Trainer Udo Lattek als „normal“ heruntergeredet wurde (Lattek: „Wir spielen ja nicht Schach“).
Augenthaler erhielt infolge der aufgeheizten Stimmung Morddrohungen, die der Verein als so ernstzunehmend einstufte, dass er Personenschutz bekam.
Daum hatte andere Motive als Lemke
In ähnlicher Manier kochten die Emotionen einige Jahre später zwischen Hoeneß und Daum über - wobei es dem damaligen Köln-Coach weniger um Sozialromantik und mehr um psychologische Kriegsführung und eine extrovertierte Show ging. Der berühmte Gift-Gipfel im ZDF-Sportstudio war der Höhepunkt.
Trotz der späteren, heftigen Verwerfungen rund um Daums Kokain-Affäre heilten die Wunden zwischen Hoeneß und Daum schneller. Viele Jahre später nannte Hoeneß Lemke immer noch einen „Feind“ und Daum nur einen „mit Abstrichen“.
Erst 2015, nach Hoeneß' Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, begruben auch Lemke und er das Kriegsbeil. Mit den Toden von Lemke und Daum rückt eine intensive Bundesliga-Ära nun noch weiter in die Vergangenheit.
Eine Vergangenheit, die allerdings tief in die Gegenwart hineinwirkt.