Antonio Rüdiger, der leise Leader: Wie er die deutsche Abwehr ...

Was soll man über Toni sagen? Puh, gar nicht so leicht, jedenfalls nicht, wenn man den Anspruch hat, etwas Neues oder Überraschendes beizutragen. Schließlich ist über Toni Kroos ziemlich viel gesagt worden in den vergangenen Tagen und Wochen. Und so sagt Antonio Rüdiger nach ein bisschen Überlegen auch nur das, was man schon vielfach zu hören bekam über seinen Teamkollegen bei Real Madrid, der wie er und die Dortmunder Kollegen am Mittwoch im Teamcamp der Nationalmannschaft in Herzogenaurach eingetroffen ist. Dass Kroos ein „sehr feiner Kerl“ sei, ein „Familienmensch“, und als Fußballer ein „stiller Leader, keiner, der viel redet, der aber auf dem Platz immer vorangeht.“ So weit, so bekannt.

Antonio Rüdiger - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Was soll man über Toni sagen? Das wird schon eine spannendere Frage, wenn Antonio Rüdiger nicht über Toni Kroos, sondern über den anderen Toni im Team spricht: über sich selbst. Vor allem war es aufschlussreich, auf die Details zu hören bei der Pressekonferenz am Mittwochmittag. Dazu, wie Rüdiger sich in der deutschen und globalen Fußballlandschaft einsortiert. Zuerst, als es um seinen Nebenmann im Nationalteam ging, Jonathan Tah, und Rüdiger über den Leverkusener sagte, er sei „der beste Verteidiger in Deutschland“, das aber schnell noch präzisierte zu „in der Bundesliga“ – nur, um mögliche Missverständnisse gleich mal auszuräumen. Als also geklärt war, dass Rüdiger schon sich selbst für den besten deutschen Verteidiger hält, wurde der Spielraum noch erweitert: Ob er sich vielleicht sogar als den besten der Welt sehe? „Ich finde, dieses ,Beste der Welt‘ und alles, das wechselt immer sehr häufig“, antwortete er. „Letztes Jahr war es jemand anderes, jetzt bin ich es. Also ich mache mir, was das angeht, jetzt nicht so viel Gedanken.“ Widerspruch klingt anders.

Ihr Urteil gesprochen haben in dieser Sache gerade andere, nämlich insgesamt 227 Bundesligaprofis in der Umfrage des „Kicker“, von denen die meisten, 22,5 Prozent, Rüdiger ihre Stimme gaben bei der Frage nach dem „derzeit besten Defensivspieler der Welt“. Selbst wenn das einen leichten deutschen Bias beinhalten mag, kann man über Rüdiger und das vergangene Fußballjahr sagen: Läuft.

Externer Inhalt von Youtube

Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen .

Beim Champions-League-Siegeszug mit Real, der mit dem Finaltriumph am Samstag gegen Borussia Dortmund endete, gehörte er zu den zentralen Figuren: Im Viertelfinale gegen Manchester City ohne Gegentor gegen Erling Haaland, im Rückspiel den entscheidenden Schuss im Elfmeterschießen gesetzt, im Halbfinal-Rückspiel Joselus Siegtor gegen die Bayern eingeleitet, im Finale gegen Dortmund ohne Fehl und Tadel.

Zwar sollte man ehrlicherweise auch aus dieser Heldenerzählung ein wenig deutschen Bias herausrechnen (anstelle Haalands hatten im Hinspiel Bernardo Silva, Foden und Gvardiol getroffen, im Rückspiel hatte Rüdiger durch einen Fehler den Rückstand begünstigt), aber auch dann bleibt immer noch das Bild eines imposanten Verteidigers – und eines gereiften Profis, der mit nun 31 Jahren den Eindruck vermittelt, in sich selbst zu ruhen. Der in vier der fünf großen Ligen gespielt und aus allen etwas mitgenommen hat, wie er erzählte, am meisten aus der italienischen, weil es sein robustes Naturell um taktisches Verständnis erweitert habe, die Fähigkeit, „das Spiel mehr zu lesen“. Was die Nationalmannschaft von Real mitnehmen könne? „Den Killerinstinkt.“

In Spanien nennen sie ihn „El Loco“, den Verrückten

Ein Spieler, dem man auf dem Platz nicht so gerne begegnet, war Rüdiger schon immer. Auch an gesundem Selbstbewusstsein hat es ihm nicht gemangelt. Aber noch bis vor ein, zwei Jahren war Antonio Rüdiger auch jemand, der zumindest im Nationalteam einen ambivalenten Ruf genoss. Weil man nie wusste, ob nicht doch ein Aussetzer, welcher Art auch immer, alles einreißen würde, was er und das Team vorher aufgebaut hatten. Davor, so wirkt es, muss sich bei dieser Europameisterschaft niemand mehr fürchten. Weil Rüdiger, der in Spanien „El Loco“ genannt wird, der Verrückte, lange nichts Verrücktes mehr getan hat, jedenfalls nicht in diesem Sinne.

Am Mittwoch besuchte Gordon Herbert das Nationalteam in Herzogenaurach, der Weltmeister-Trainer der Basketballspieler, an dessen Prinzip der (klaren) Rollenverteilung  Julian Nagelsmann sich orientiert hat. Rüdiger fand dafür lobende Worte. Ein  „Loco“ soll er bei Nagelsmann naturgemäß nicht sein, dafür umso mehr ein „Leader“. Das habe der Bundestrainer ihm gleich mit auf den Weg gegeben, als er seinen Posten im September antrat. Tatsächlich macht es derzeit den Eindruck, als seien er und  Tah („auch ein Leader“) als Team die beste Antwort seit längerem auf die Frage, wer in der deutschen Defensive den Ton angibt. 

Wobei das mit dem Ton so eine Sache ist. Es gebe zwei Sorten von Leadern, sagte Rüdiger am Mittwoch. „Es gibt den einen, der redet. Das bin ich definitiv nicht. Und dann gibt es die emotionalen, die einfach auf dem Platz vorangehen, so sehe ich mich.“ Einer, der nicht redet wie ein Boss, aber so spielt? Das kann man, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, über den einen wie den anderen Toni sagen.  

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche