Tiktok-Verschwörung „National Rape Day“: Ein gefährliches Gerücht

Kolumne Auf Tiktok kursiert eine grausame Botschaft: Der 24. April soll „National Rape Day“ sein, ein Tag, an dem sexualisierte Gewalt angeblich nicht geahndet werde. Was hat es mit diesen Fake News auf sich?

National Rape Day - Figure 1
Foto Freitag - Das Meinungsmedium

Wurde das Gerücht ursprünglich in die Welt gesetzt, um auf sexualisierte Gewalt gegen Frauen hinzuweisen?

Foto: Vittorio Zunino Celetto

Tiktok ist gemacht für Gerüchte. Während in den USA aktuell die Lossagung vom chinesischen Mutterkonzern Bytedance diskutiert wird, verbreitet sich auf der Plattform eine grauenhafte Botschaft: In einem Video soll eine Gruppe Männer den 24. April als „National Rape Day“ ausgerufen haben – Frauen und Mädchen werden angehalten zuhause zu bleiben oder sich zu bewaffnen. Das Phänomen schlägt inzwischen derart Wellen, dass die Berliner Bildungssenatorin 800 Schulen angeschrieben hat, um vor möglichen Auswirkungen zu warnen.Neu ist dieses Gerücht nicht. Bereits 2021 und 2023 kursierten in verschiedenen Sozialen Medien angstschürende Appelle wie: „if anyone got plans on April 24th DONT GO OUT!!!!“. Verwiesen wurde damals auf das gleiche Video wie heute: Eine Gruppe von sechs Männern soll darin andere Männer auffordern, am 24. April Frauen zu vergewaltigen. Die Begründung? An diesem Tag sei sexualisierte Gewalt legal. Dieser makabre Aufruf wurde aber bereits 2021 von verschiedenen Faktenchecks und Tiktok selbst als Hoax deklariert – das Video hat es nie gegeben. Ursprung des Gerüchts sei demnach wahlweise ein gefälschter Eintrag bei Urban Dictionary oder ein Tweet vom 11. April 2021, in dem vor einem „National Rape Day“ gewarnt wird.

Warum eigentlich der 24. April?

In den derzeit zirkulierenden Clips, die auf Tiktok unter #April24 mehrere Millionen Klicks bekommen, sind vor allem Reaktionen von Frauen zu sehen: Manche filmen mit angsterfüllter Musik unterlegt spärlich beleuchtete Straßenzüge, Unterführungen oder Zimmerecken. Andere geben sich kämpferisch und drängen zur Bewaffnung mit Messern, Pfefferspray oder schlichtweg der geballten Faust. Dazwischen trifft man vereinzelt auch auf Männer, die mitleidig oder aggressiv in die Kamera starren, Solidarität zeigen oder Verteidigung anbieten. Selten findet man einen Clip, in dem für den „National Rape Day“ geworben wird. Dafür umso mehr Clips von feministischen Influencerinnen und Aufklärungsaccounts, die versuchen, dem Trend ein Ende zu setzen. Doch warum eigentlich der 24. April?

Genau klären ließ sich das bisher nicht. In den vergangenen Jahren mutmaßte man, dass die Wahl des Tages mit dem Monat April in den USA als offiziellem Monat zur Sensibilisierung für sexuelle Übergriffe zu tun hat. Was bisher übersehen wurde: Im März 2021 veröffentlichte eine Frau namens Effie ein Video auf Facebook, in dem sie US-Schauspieler Armie Hammer vorwarf, sie am 24. April 2017 über mehrere Stunden sexuell missbraucht und geschlagen zu haben. Effie ist nicht die einzige Frau, die solche Vorwürfe gegen Hammer erhebt. Bisher blieb der Schauspieler jedoch straffrei. Ein möglicher Grund also, zu behaupten, am 24. April seien sexuelle Übergriffe legal und damit straffrei. Daran würde sich die Frage anschließen: Wurde das Gerücht ursprünglich in die Welt gesetzt, um auf drastische Weise darauf hinzuweisen, wie alltäglich sexualisierte Gewalt gegen Frauen und wie gering der Widerstand dagegen ist?

Unabhängig des initialen Grunds: In den tausenden Reactionvideos erkennt man, wie das Gerücht zum wiederkehrenden Trend wird. Die Angst vor sexuellen Übergriffen und die weitverbreitete Erfahrung mit misogyner Gewalt machen die unglaublich brutal anmutende Mär vom „Rape Day“ gerade für Frauen und Mädchen zur realen Bedrohung. Davon zeugen auch weitere aktuelle Tiktok-Trends: In den letzten Wochen häufen sich Clips, in denen junge Frauen davon erzählen, wie sie auf offener Straße von Männern attackiert wurden. Im Januar waren es Männer, die in schlimmster Incel-Manier mit ihren Fantasien prahlten, Frauen auf Dates einzuladen, um sie anschließend auf besonders grausame Weise zu ermorden.

Gefährlich ist auch die Form der Verbreitung

Trends wie diese sind nicht nur erschreckend in ihren Inhalten, sondern auch gefährlich in ihrer Form und Verbreitung. Dafür sorgt die Funktionsweise von Tiktok: Im cross-medialen Dschungel der Plattform geht der Ursprung des Gerüchts verloren. Das dichte Gewirr aus Reactionvideos verstellt den Blick. Orientierung bieten nur noch Stimmen, die angstschürend flüstern oder besonders brutal brüllen. Widerhall finden sie, wo die Gesellschaft scheitert: Auch wenn der „National Rape Day“ nicht real ist, das Gerücht kann schnell zur Self-fulfilling Prophecy werden. Ein Massenphänomen ist der Tiktok-Trend nicht, sexualisierte Gewalt an Frauen hingegen schon.

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