Antilopen Gang mit drei Akkorden gegen den „Muttertag“

12 Mai 2024

Das kommende Album der Antilopen Gang wird „Alles muss repariert werden“ heißen und am 13. September erscheinen. Wie man bereits weiß, wird es zu einer Hälfte aus Rap-Tracks und zur anderen aus Punk-Songs bestehen. Nun teilen sie – kurz vor dem Muttertag am Sonntag – den ersten Punk-Song daraus. Und der heißt: „Muttertag“. Darin gibt’s eine frontale Geschichtsstunde, die sich vor allem auf die deutsche Historie des Muttertags konzentriert. Ursprünglich stammt die Idee eines solchen Tages aus der US-amerikanischen Frauenbewegung, wurde dann aber zuerst von einer amerikanischen Methodistin namens Anna Maria Reeves Jarvis im Jahr 1907 als Ehrentag eingeführt.

Zum Muttertag - Figure 1
Foto DIFFUS
Von Blumenhändlern und Nazis

In Deutschland fand die Idee zuerst Anfang der 20er-Jahre bei den Blumenhändlern Anklang, deren Handelsverband Plakate mit Slogans wie „Ehret die Mütter!“ drucken ließen, um den Verkauf anzukurbeln. Wenig später wurde der Muttertag dann von den Nazis vereinnahmt und in die Lehre der germanischen Herrenrasse eingeordnet. Das misogyne Frauenbild der Nazis, das sie auf bloße Arbeitskräfte und Gebärmaschinen reduzierte, stand fortan im Mittelpunkt. Die linke Tageszeitung „taz“ schrieb schon 2005 sehr treffend: „Die Nazis wollten Frauen als Kameradinnen, noch lieber aber als Gebärmaschinen. Die Mutter war eine Heilige im völkischen Wahn, geehrt zum Muttertag, dem zweiten Sonntag im Mai. Warum wird er heute noch gefeiert, allem Feminismus zum Trotz?“ Tja, gute Frage. In der DDR wurde der Muttertag übrigens nicht mehr als Feiertag zelebriert – sondern stattdessen der internationale feministische Kampftag am 8. März, der ja zumindest in Berlin auch schon Feiertag ist.

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Die Antilopen Gang nimmt in „Muttertag“ vor allem diese Nazi-Verbindung ins Visier (wie man schon im Video sieht) und haut uns in einer knappen Minute das um die Ohren, was man mal sagen bzw. brüllen sollte: „(Hey, hey) Wir hol’n keine Blum’n / (Hey, hey) Wir hol’n keine Pralin’n / (Hey, hey) Keine Ehre und kein Ruhm / (Hey, hey) Es wird kein Mutterkreuz verlieh’n.“ Im Chorus heißt es dann einfach viermal kurz und bündig: „Muttertag, Muttertag, Nazidreck.“

Muss noch etwas repariert werden?

Man darf gespannt sein, wie der kleine, wütende Song „Muttertag“ ankommen wird. Was in diesem Fall völlig unabhängig vom Song selbst ist. Aber mit Blick auf den Titel des kommenden Albums – „Alles muss repariert werden“ – kann man durchaus festhalten, dass es noch reparationswürdige Dinge gibt. Ihr letzter Song „Oktober in Europa“ hatte vor allem in linken Kreisen, denen die Antilopen Gang ja entstammt, für wilde Schreierei, Diskussionen, Anfeindungen und Beleidigungen gesorgt.

Die Antilopen Gang bekam Zuspruch von jenen, die sonst eher ihre Feinde sind: von der Springer-Presse, die sich traditionell solidarisch mit Israel zeigt, und von anderen eher konservativen Zeitungen. Von der eigenen Bubble wurde sie aber hart attackiert.

„Oktober in Europa“ entstand recht unmittelbar nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und nimmt mit kontroversen Lines, über die man durchaus diskutieren sollte, vor allem ins Visier, dass dieser Angriff und die Entwicklungen danach für viele zur Einladung wurden, antisemitische Narrative zu verbreiten – oder noch schlimmer: diesen Taten folgen zu lassen. Der Song ist – geglückt oder nicht – zumindest Beweis dafür, dass die linke Bubble bei diesem seit Jahrzehnten währenden Konflikt sehr gespalten ist und bei Diskussionen oft eine kurze Zündschnur besitzt. Der Song versucht aber eben NICHT, den Israel-Palästina-Konflikt zu lösen. Und er sagt eben auch NICHT, dass die Art der Kriegsführung, die aktuell für unfassbar hohe Zivilopferzahlen sorgt, korrekt oder menschlich ist. Er sagt auch NICHT, dass eine der beiden Konflikt-Parteien im Recht ist. Aber das ging im Geschrei alles ein wenig unter. Mal schauen, wie das jetzt bei „Muttertag“ oder bei den weiteren Singles sein wird.

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