VW und Wolfsburg: „Die Stimmung in der ganzen Stadt ist gedrückt“
Krise bei Volkswagen
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Auch im Stammwerk der Volkswagen AG in Wolfsburg fürchten sich die Mitarbeiter vor Stellenstreichungen und Gehaltskürzungen.
Quelle: Jan Wöller
62.000 Menschen arbeiten im VW-Stammwerk in Wolfsburg, einer Stadt mit gerade einmal 127.000 Einwohnern. Existenzangst, Wut, Resignation treibt die Menschen seit dem großen Volkswagen-Knall um. Kulturbetriebe fürchten um ihre Förderung. Die Krise eines Konzerns wird zur Krise einer Stadt.
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Wolfsburg. Das Flutlicht der Volkswagen Arena strahlt in den ansonsten schwarzen Abendhimmel. Grün-weiß ist das Stadion beleuchtet und zeigt, wer hier das Sagen hat: der VfL Wolfsburg. Am Abend trifft der Verein im DFB-Pokal auf Borussia Dortmund. In der Dunkelheit zieht es Zehntausende über den gepflasterten Weg zum Stadioneingang. Regentropfen glitzern im Licht der Laternen. Es ist ein trister, dunkler, nasser Oktoberabend, doch die Fans in schwarz-gelb und grün-weiß, sie sind voller Vorfreude auf das Spiel. Sie lachen, torkeln, schwätzen. Für viele ist es Ablenkung. Ein bisschen Fußball in Zeiten der Krise, die eine Stadt trifft, die wie kaum eine andere abhängig ist von einem einzigen Arbeitgeber.
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„Die Stimmung in der ganzen Stadt ist gedrückt“, sagt ein VfL-Fan, der anonym bleiben möchte. Er arbeite zwar nicht bei VW, nehme aber wahr, dass sich die Krise des Autoherstellers negativ auf sein Umfeld auswirke. Michael Taeschner trägt seinen VfL-Schal mit Stolz. Seit 25 Jahren arbeitet er bei dem Autohersteller, erzählt er kurz vor dem Spiel. Erst kürzlich habe er sein Jubiläum gefeiert. Nun fürchte er um seine Altersteilzeit.
„Das geht allen Mitarbeitern so. Wir sind extrem verunsichert, dass etwas passieren wird“, sagt der Entwicklungsingenieur. „Die Stimmung war schon vorher schlecht und seit den neuesten Ankündigungen ist es noch schlimmer geworden.“ So ist das auch bei einem Mitarbeiter eines VW-Zulieferers, der seinen Namen nicht nennen will. In der Firma seien kürzlich hunderte Stellen gestrichen worden, erzählt er nordisch-nüchtern und redselig zugleich. Deshalb hätten nun alle Angst, wie es weitergeht.
WOLFSBURG, GERMANY - OCTOBER 29: Fans of Borussia Dortmund display protest banners during the DFB-Pokal match between VfL Wolfsburg and Borussia Dortmund at Volkswagen Arena on October 29, 2024 in Wolfsburg, Germany. (Photo by Stuart Franklin/Getty Images)
Quelle: Getty Images
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Deutschlands größter Autohersteller, die Volkswagen AG, steckt in der Krise. Die Fahrzeugverkäufe gehen zurück und auch im für VW wichtigen Markt China läuft es schlecht. Im dritten Quartal sackte der Konzerngewinn um 64 Prozent auf 1,58 Milliarden Euro ab. Damit übertrifft die Realität noch die Befürchtungen der Analysten. Erst vor einem halben Jahr hatte die Volkswagen AG 4,5 Milliarden Euro an ihre Aktionäre für das Geschäftsjahr 2023 ausgeschüttet. Nun will der Vorstand laut dem Konzernbetriebsrat womöglich mehrere deutsche Werke schließen oder verkleinern. Zehntausenden Beschäftigten soll gekündigt werden. Auch deutliche Gehaltseinbußen um bis zu 18 Prozent werden befürchtet.
Von außen wirkt alles wie immer. In den meisten Fenstern des Volkswagenwerks an der Aller brennt am Abend kaum ein Licht. Krähen kreisen am grauen Himmel über dem roten Backsteingebäude, an dem blau-weiß das VW-Logo prangt. Weißer Rauch steigt die gemauerten Türme empor. Doch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben erbitterten Widerstand angekündigt und fordern umfassendere Rezepte als nur die Arbeits- und Fabrikkosten in den Blick zu nehmen. Sie waren ohnehin gerade in den Verhandlungen um einen neuen VW-Haustarif, zusammen mit der Gewerkschaft IG Metall, als der große Knall kam.
Ohne Volkswagen gäbe es die Stadt Wolfsburg nichtWer verstehen will, was die VW-Krise für Wolfsburg bedeutet, muss einen Blick in die Geschichte werfen. Ohne das Werk gäbe es die Stadt Wolfsburg nämlich gar nicht. Adolf Hitler wünschte sich buchstäblichen einen Volkswagen, ein Auto für die breite Masse, das sich jeder leisten können sollte. Ferdinand Porsche plante sodann den sogenannten „KdF-Wagen“ – benannt nach der NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Das Auto kam später als VW Käfer auf den Markt. Für die Produktion wurden 1938 zwei Werke gebaut, das Vorwerk in Braunschweig und das Volkswagenwerk bei Fallersleben. Daraus entstand Wolfsburg.
Dennis Weilmann,
Oberbürgermeister Wolfsburg
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Heute arbeiten in der 127.000-Einwohner-Stadt rund 62.000 Menschen im VW-Stammwerk. Bis zur Eröffnung der Tesla Gigafactory in Texas im Jahr 2022 war das Stammwerk von VW die größte Fabrik der Welt. Statistisch gesehen hat jede Bewohnerin und jeder Bewohner von Wolfsburg, vor allem in Fußballkreisen oft spöttisch „Golfsburg“ genannt, ein Familienmitglied, das bei VW arbeitet. Hinzu kommen Menschen, die bei Zulieferern oder Logistikunternehmen arbeiten. Die gesamte Stadt ist auf dem Erfolg des VW-Konzerns gebaut. Und vieles auch von dem dort verdienten Geld.
Bestseller wie Golf und Passat haben den Konzern schon durch einige Krisen gebracht. Doch jetzt schwächelt das Kerngeschäft und die Herausforderungen wachsen. In Wolfsburg heißt es aktuell immer wieder: „Dieses Mal ist es anders“.
„Die Unsicherheit in der Belegschaft und in ganz Wolfsburg ist groß“, sagt Wolfsburgs Oberbürgermeister Dennis Weilmann dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Als OB appelliere er an die Verantwortlichen, die Arbeitsplätze in Wolfsburg und dem Umland zu sichern. Es gelte, gemeinsam konstruktive und soziale Lösungen zu finden, um Perspektiven für die Mitarbeitenden zu schaffen. Gleichzeitig gelte es, Volkswagen für die kommenden Jahrzehnte zukunftsfähig aufzustellen. „Die Stärke von Volkswagen war es immer, dass Vorstand und Betriebsrat gemeinsam die besten Entscheidungen für das Unternehmen getroffen haben. Aufgrund der großen Unsicherheit braucht es jetzt eine schnelle Verständigung“, sagt Weilmann weiter.
Im Schatten des Werks an der Aller – wo die Verhandlungen geführt und Pläne geschmiedet werden – steht der Wolfsburger Hauptbahnhof, direkt davor ein Mitarbeiterparkplatz von VW. Am Dienstagabend parken dort – wenig überraschend – überwiegend Autos des Wolfsburger Herstellers. Doch nicht nur. Auch die Logos von Audi und Skoda sind zu sehen, auch Marken des Konzerns. Obwohl jede und jeder eine eigene Marke präferiert, sind sich die Mitarbeitenden von VW in einem Punkt einig: Sie wollen nicht mit der Presse sprechen, sich nicht zur Stimmung im Unternehmen äußern. Sie sagen: „lieber nicht“, „noch nicht“ oder sie dürften gar nicht, selbst wenn sie wollten, so stehe es im Vertrag. Nur ein Mann mit zurückgekämmten, blonden Haaren, in den späten Dreißigern, sagt, es laufe „bestens“ – und geht grinsend weiter.
Volkswagen fördert Bildungs- und Kultureinrichtungen in der StadtIn der Vergangenheit wuchs Wolfsburgs Stadtgesellschaft durch den Erfolg des Autoherstellers. Mit den Jahren kamen zahlreiche Freizeitangebote, oft nicht nur durch die Stadt selbst forciert, sondern auch durch die Volkswagen AG. Das passierte einerseits durch Steuern, die der Stadt einen gewissen Wohlstand brachten, andererseits durch kulturelle Förderprogramme von VW. Nebst der eigenen Autostadt, ein Themenpark mit Museum, Renn-Simulation und Spielangeboten, unterstützt VW eine Schule, das Kunstmuseum, den Kunstverein, die Städtische Galerie sowie das Wissenschaftsmuseum Phaeno, direkt am Hauptbahnhof gelegen.
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Das Wissenschaftsmuseum Phaeno in Wolfsburg wird von der Volkswagen AG finanziell unterstützt.
Quelle: Janina Snatzke
„Die Steuereinnahmen der Stadt sind die Grundlage für die städtische Unterstützung von vielen Einrichtungen. Und es ist kein Geheimnis, dass die Steuern sowohl direkt durch VW als auch indirekt durch Zulieferer, Dienstleister und natürlich durch die Mitarbeitenden in all diesen Unternehmen bestimmt werden“, sagt Michael Junge, Geschäftsführer vom Phaeno, der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“, Partner des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir sind besorgt, wie alle anderen in dieser Stadt und in ganz Niedersachsen. Volkswagen ist das wirtschaftliche Herz, der Motor dieser ganzen Region.“ Jeder sei über die eigene Arbeit, über Verwandte, Freunde oder Nachbarn von der Krise betroffen.
Wolfgang Palm,
Autoverkäufer aus Wolfsburg,
Über dem Wolfsburger Automuseum bricht die Dämmerung herein. Auch das Museum gebe es ohne den Autohersteller nicht. Auf dem Parkplatz beleuchten Straßenlaternen einen weißen Käfer in einem Glaskasten. Es ist der Zehnmillionste, der vom Band ging. Baujahr 1965. Das Museum hat bereits geschlossen. Zwischen Hecken schräg gegenüber dem Eingang sitzen zwei junge Männer. Sie hätten nicht mitbekommen, dass sich die Stimmung in der Stadt verändert habe, sagen sie. Allerdings arbeite auch niemand aus ihrem Umfeld bei VW. Zwei Männer in Anzügen huschen über den Parkplatz. Zur „Stimmung in Wolfsburg“, sagen sie, könnten sie nichts sagen.
„Wenn VW leidet, leiden alle“Vom Automuseum die Daimlerstraße runter zweigt der Maybachweg ab. Schaufenster und Scheinwerfer beleuchten den Parkplatz des Gebrauchtwagenhändlers Autoplus. Ohne erkennbares Muster stehen die Autos verschiedener Marken zur Abholung bereit. Viele von Volkswagen. „Wenn VW leidet, leiden alle“, sagt Automobilkaufmann Marcel Schindler. Werden bei Volkswagen Stellen abgebaut, bräuchten sie weniger Material von den Zulieferern. „Dann bauen auch die Stellen ab – zum Beispiel bei Brose Sitech, Edag, Volke und Bertrandt. Die werden alle darunter leiden.“
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Marcel Schindler (25) ist gelernter Automobilkaufmann und arbeitet als Service-Berater bei Autoplus.
Quelle: Jan Wöller
Schindler hat Recht: Anfang Oktober berichtete der NDR, dass der Automobilzulieferer Bertrandt am Standort Tappenbeck, keine zehn Kilometer von Wolfsburg entfernt, rund 600 Stellen streichen will. Am Standort gebe es schlicht weniger zu tun, weil Autohersteller Projekte ins Ausland verlagert hätten. Auch neue Bedürfnisse der Hersteller und Handelsstreite spielten eine Rolle.
Schindler hat all das auch schon erlebt. Ein Bekannter habe bis vor drei Monaten als Lackierer bei VW in Zwickau gearbeitet. „Dann kam die Kündigung. Da wurden viele Stellen gestrichen.“ Bei Autoplus selbst machten sie sich bislang noch keine Sorgen. „Wir warten erstmal ab, wie sich das entwickelt“, sagt Schindler.
Autoverkäufer Palm macht junge Arbeitnehmende für die Krise mitverantwortlichWolfgang Palm ist seit Jahrzehnten im Geschäft. 80 Jahre ist er heute, aber noch immer verkauft er Autos. „Die Autos sind zu teuer und die Jungen wollen weniger arbeiten. Die Ansprüche von Mitarbeitenden sind oftmals zu hoch. Da muss was passieren“, sagt der Wolfsburger. Er, der aus einer anderen Generation kommt, kann die Einstellung der jungen Leute zur Arbeit nicht nachvollziehen. Kürzlich, sagt er, hätte ihm ein Teamleiter von VW erzählt, dass sich sein Mitarbeiter geweigert habe, bei einem Notfall ins Werk zu kommen. „Er wollte lieber an seinem Carport arbeiten.“
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Wolfgang Palm (80) ist trotz seines hohen Alters noch als selbstständiger Autoverkäufer in Wolfsburg tätig.
Quelle: Jan Wöller
Auch wenn es den Leuten bei VW „nicht ganz schlecht“ gehe, wie Palm es formuliert, hätten die Menschen nun Existenzängste. Die Tochter eines Kollegen arbeite bei VW, sie bange um ihre Stelle. Und selbst wenn die Stelle sicher wäre, heißt es noch lange nicht, dass sie künftig genauso viel verdienen wird wie heute.
Die Volkswagen AG hält 100 Prozent der Anteile des Profibereichs des VfL WolfsburgGesellschaft, Wirtschaft, Kultur, in Wolfsburg alles hängt an VW. Auch der Sport. Der VfL Wolfsburg ist quasi ein Produkt des Konzerns, der Vorgängerverein wurde durch die Betriebssportgruppe WKG VW Stadt des KdF-Wagens gegründet. Heute ist er nebst Bayer 04 Leverkusen der einzige Proficlub in Deutschland, der von der 50+1-Regel ausgenommen ist. Die Volkswagen AG hält 100 Prozent der Anteile an der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH, die sich um die Lizenzspielerabteilung kümmert.
2009 wurde der VfL Wolfsburg deutscher Fußballmeister, 2015 Pokalsieger. Doch an die Erfolge kann der Verein aktuell nicht anknüpfen. In der Bundesliga dümpelt man auf Rang 14. Immerhin – am Dienstag, unter den Augen von Michael Taeschner und den anderen Grün-Weißen, zog der VfL ins Pokalachtelfinale ein. Anders als für die Belegschaft und die Region sieht es für den VfL zumindest finanziell nicht so düster aus: Erst vor wenigen Monaten hat die Volkswagen AG ihre jährliche Zahlung an den Bundesligisten erhöht hat: 80 Millionen Euro bekommt die GmbH künftig, zehn Millionen mehr als im vergangenen Jahr. Die BVB-Fans hatten im Stadion eine Lösung für das Problem: „VW: Kosten sparen, Wolfsburg-Sponsoring beenden, Arbeitsplätze erhalten, 50+1 stärken.“