Ampelkoalition am Ende: Volker Wissing verlässt FDP und bleibt ...
Austritt aus der Partei: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (im Bild) will seinem entlassenen Parteichef Christian Lindner nicht folgen
Foto: Tobias Schwarz / AFPEiner der letzten großen Ampel-Fans in der FDP zieht nach dem Koalitionsbruch Konsequenzen: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (54; FDP) tritt aus der FDP aus und bleibt bis zur geplanten Neuwahl im Amt. Kanzler Olaf Scholz (66; SPD) habe ihn gefragt, ob er bereit sei, das Amt unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing in Berlin. Er habe darüber nachgedacht und dies Scholz gegenüber bejaht.
Wissing hatte zuletzt im Gegensatz zu vielen Parteifreunden für einen Verbleib der FDP in der Ampelkoalition geworben. Er will der Regierung nun als Parteiloser angehören, wie er weiter mitteilte. „Ich möchte keine Belastung für meine Partei sein.“ Daher habe er Parteichef Christian Lindner (45; FDP) seinen Austritt aus der FDP mitgeteilt. „Ich distanziere mich damit nicht von den Grundwerten meiner Partei und möchte nicht in eine andere Partei eintreten.“ Dies sei eine persönliche Entscheidung, die seiner Vorstellung von Verantwortung gerecht werde. „Ich möchte mir selbst treu bleiben.“
Nachdem Wissing im Herbst 2020 von seinem Freund und Parteichef Lindner zum Generalsekretär gemacht wurde, half Wissing, das liberale Profil der Bundespartei zu schärfen und die FDP zu 11,4 Prozent bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 zu führen. Als es dann um die Verhandlungen über eine mögliche Ampel-Koalition ging, rückte Wissing besonders in den Fokus, denn er hatte bereits Erfahrung mit einem solchen Bündnis: Von 2016 bis Frühjahr 2021 war er in der rheinland-pfälzischen "Ampel" Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau. Gerne berichtete er, dass es mit SPD und Grünen in seinem Heimatbundesland gut funktioniere.
Der promovierte Jurist, ausgebildete Kirchenmusiker und Weingutbesitzer Wissing war nach Stationen als Staatsanwalt, Hochschullehrer und Richter 2004 erstmals in den Bundestag gekommen und blieb dort, bis die FDP 2013 den Wiedereinzug ins Parlament verpasste.
Staatssekretäre folgen Wissing nichtFDP-Fraktionschef Christian Dürr (47) hatte am Vorabend noch angekündigt, alle Minister seiner Partei wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen. Die Ampel war am Mittwoch zerbrochen. Nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik kündigte Kanzler Scholz an, Finanzminister Lindner aus dem Kabinett zu entlassen. Die Wählerinnen und Wähler können sich nun voraussichtlich im März auf Neuwahlen einstellen.
Wissings Staatssekretärin und Staatssekretäre, Daniela Kluckert (44), Oliver Luksic (45) und Gero Hocker (49), erklärten dagegen, dass sie nicht Teil der Regierung bleiben wollen. Wie Kluckert auf der Plattform X mitteilte, baten die drei FDP-Politiker den Minister, ihre Entlassung beim Bundespräsidenten zu veranlassen. „Wir haben nach seiner einsamen Entscheidung kein Vertrauen mehr in Volker Wissing“, schrieb Kluckert dazu auf X.
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Auch Luksic kritisierte Wissings Schritt. Der „Rheinischen Post“ sagte er: „Verantwortung heißt für mich, sich nicht an ein Amt zu klammern, der Souverän muss jetzt schnell entscheiden.“
Der Minister sprach von schwierigen Zeiten. Er sei überzeugt, dass die Regierung mehr Chancen gehabt hätte, wenn sie gemeinsam stärker zusammengearbeitet hätte. Um erfolgreich zu sein, müsse es Kompromissbereitschaft geben.
In der Ampel hat es wiederholt öffentliche Streitigkeiten gegeben. Beim Koalitionsausschuss gipfelte der Streit in der Frage, ob die Schuldenbremse ausgesetzt werden soll, vor allem für Hilfen für die Ukraine. Scholz wollte dies, Lindner lehnte ab. Wiederholt hatte der frühere FDP-Generalsekretär auf den Erfolg der Ampel in Rheinland-Pfalz verwiesen.
Der Verkehrsminister, der auch für Digitales zuständig ist, hatte sich Anfang November in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für einen Verbleib der Liberalen in der Koalition ausgesprochen. Am selben Tag wurde ein Lindner-Papier bekannt gemacht, in dem er eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik forderte – was den schon lange schwelenden Koalitionsstreit weiter anfeuerte.
Minister will Bahn-Sanierung vorantreibenWissing nannte als eine wichtige Aufgabe als Minister bis zu Neuwahlen die sogenannte Korridorsanierung bei der Bahn. Bis 2030 sollen besonders belastete Strecken grundlegend saniert werden – Mitte Juli hatte die Sanierung der ersten Strecke begonnen, die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Sie wird dafür bis Mitte Dezember komplett gesperrt. Ziel der Sanierungen ist es, dass die Bahn pünktlicher wird.
Der Minister hatte im September gesagt, er habe die Bahn zu seinem Amtsantritt 2021 in einem schwierigen Zustand vorgefunden, die Infrastruktur sei desolat gewesen. Der Bund habe der Bahn zusätzliche Milliarden zur Verfügung gestellt, gesetzliche Reformen zur Finanzierung des Schienennetzes umgesetzt. Es sei außerdem eine neue Infrastruktursparte gegründet worden.
DeutschlandticketIn die Amtszeit Wissings fällt auch die Einführung des Deutschlandtickets im Nahverkehr. Das Ticket soll vom kommenden Jahr an 58 Euro pro Monat kosten und damit 9 Euro mehr als bisher, wie die zuständigen Verkehrsminister der Länder entschieden hatte. Die Länder fordern vom Bund seit Langem generell mehr Geld für den Nah- und Regionalverkehr.
Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange (55) sagte der dpa: „Wissing muss weg.“ Wissing habe bisher in seinem Bereich nichts auf die Beine gestellt, nur eine Bilanz des Scheiterns. „Die Bahn ist seit Jahren im Chaos, die Digitalisierung hängt, Automobilindustrie und Luftverkehr kehren Deutschland den Rücken. Es ist eine bodenlose Frechheit, dass Wissing in dieser Lage Minister bleiben will. Mal abgesehen von seinem Versagen als Verkehrsminister ist es auch ein charakterloser Loyalitätsbruch gegenüber seiner ihn tragenden FDP.“
Historische VorbilderEs ist nicht das erste Mal, dass ein amtierender FDP-Minister seine Partei verlässt und Teil der Bundesregierung bleibt. 1956 spaltete sich die sogenannte Euler-Gruppe von der FDP im Streit um ihr Verhältnis zur gemeinsamen Regierung mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) ab. Die Gruppe, darunter die vier amtierenden Bundesminister der FDP, blieb im Gegensatz zum Rest der Partei Teil der Regierungskoalition und gründete daraufhin die Freie Volkspartei.
Am 15. Januar will Scholz die Vertrauensfrage im Bundestag stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Der Bruch der ersten Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene war am Mittwochabend nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik erfolgt.