VW-Dieselskandal: „Deutliche Lücken in Anklage gegen Winterkorn“

14 Tage vor

Am zweiten Prozesstag im VW-Dieselskandal hat sich der Angeklagte selbst zu Wort gemeldet. Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn zeigt sich betroffen von den Vorwürfen. Laut seines Verteidigers weist die Anklage erhebliche Lücken auf.

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Foto manager-magazin.de

04.09.2024, 13.19 Uhr

Verantwortlich oder nicht? Dem ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn wird vorgeworfen, die Auslieferung von manipulierten Autos wider besseres Wissen nicht gestoppt zu haben

Foto: Fabian Bimmer / REUTERS

Im Prozess um die Aufarbeitung des Dieselabgasskandals hat der frühere VW-Chef Martin Winterkorn (77) die gegen ihn erhobenen Vorwürfe umfassend zurückgewiesen. Vor dem Landgericht Braunschweig betonte er am Mittwoch, er habe als Konzernchef in erster Linie strategische Entscheidungen getroffen: „Dagegen ist es nicht Aufgabe eines Vorstandsvorsitzenden, einzelne Herausforderungen an eine technische Entwicklung persönlich zu bewältigen.“

Er sei in die Entscheidungen über die Entwicklung und den Einsatz einer „irregulären Softwarefunktion bei den neuen VW-Dieselmotoren nicht eingebunden“ gewesen, sagte Winterkorn in seinem langen Statement weiter, das in Teilen auch von seinen Anwälten vorgelesen wurde. „Ich bin kein Motorenentwickler, ich bin kein Spezialist für Abgasreinigung und auch kein Softwareexperte, der sich mit der Steuerung von Motoren und Abgasreinigungssystemen befasst hat.“

Folglich habe er damals auch nicht verstanden, worin die technischen Probleme lagen. Er habe auch nicht erkannt, „dass VW schon seit einigen Jahren mit regelwidrigen Softwareapplikationen in den USA auf dem Markt war“. Dazu erforderliche Erläuterungen seiner Techniker habe er nicht erhalten.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, er habe gebotene Handlungen unterlassen, Kunden und Aktionäre getäuscht und geschädigt und sich damit strafbar gemacht, treffe ihn „ganz erheblich“, führte Winterkorn noch aus. Er habe mit seinem Rücktritt 2015 und auch finanziell „Verantwortung für dieses Desaster“ übernommen. „Ich halte es aber für fernliegend, mir einen strafrechtlichen Vorwurf zu machen, wie es die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit ihren Anklagen versucht.“

In dem Strafverfahren muss sich Winterkorn wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Marktmanipulation und uneidlicher Falschaussage vor Gericht verantworten. Das Landgericht Braunschweig hat dazu 89 Termine angesetzt. Winterkorn habe seit Mai 2014 davon gewusst, dass Dieselautos des Wolfsburger Herstellers in den USA nicht den Vorgaben entsprochen hätten, sagte Staatsanwalt Andy Belke bei der Verlesung der Anklageschrift. Ab 2015 sei ihm klar gewesen, dass das auch für Fahrzeuge in Europa gelte. Winterkorn habe die Auslieferung der Autos nicht gestoppt und damit die Käufer getäuscht.

Anwalt: „Deutliche Lücke in der Anklage“

Winterkorns Anwalt sieht unterdessen deutliche Lücken in der Anklage. Von den vorgebrachten Vorwürfen sei „wenig bis gar nichts belegt“, sagte der Verteidiger Felix Dörr am Mittwoch laut Redemanuskript. Das sei auch dem Umstand geschuldet, dass die Anklageschriften vor Jahren angefertigt und in der Zwischenzeit mehr Erkenntnisse gewonnen worden seien. Winterkorn werde die Anschuldigungen zurückweisen.

Zugleich habe der mittlerweile 77-Jährige ein Interesse daran, dass die Vorwürfe geklärt würden. „Das Thema Diesel sollte dann – jedenfalls in Bezug auf die Person unseres Mandanten – neun Jahre nach Beginn der Ereignisse endlich zum Abschluss gebracht werden. Auch unser Mandant möchte irgendwann mit diesem Thema abschließen können.“

Dörr sagte weiter, in der öffentlichen Wahrnehmung sei Winterkorn für alles verantwortlich gemacht worden, was bei Volkswagen im Diesel-Komplex falsch gelaufen sei. Das sei aber nicht richtig. „Derjenige, der an der Spitze einer Organisation steht, ist verantwortlich für deren Führung und Überwachung“, sagte Dörr. „Macht er dabei Fehler, haftet er gegenüber der Organisation, er macht sich aber nicht zwangsläufig strafbar wegen Betrugs zum Nachteil von Kunden oder der Kapitalanleger der Gesellschaft. Dazu müsste die Anklage schon so viel an Tatsachen gesammelt haben, dass zumindest mit 50 plus einem Prozent Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung anzunehmen wäre. Davon sind wir weit entfernt.“

Volkswagen hatte 2015 auf Druck der US-Umweltbehörde EPA zugegeben, Diesel-Abgaswerte durch eine Software manipuliert zu haben. Diese sorgte dafür, dass die Motoren die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand zwar einhielten, auf der Straße aber ein Vielfaches dieser Abgase ausstießen. Winterkorn musste seinen Posten abgeben. Der Skandal löste eine Vielzahl von Prozessen aus. Im Juni 2023 wurde der frühere Chef der Volkswagen-Tochter Audi, Rupert Stadler (61), vom Landgericht München zu einer Bewährungsstrafe und einer millionenschweren Geldauflage verurteilt.

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