Moritz Rinke: Für Hersh - und eine Revolution | SV Werder Bremen

9 Stunden vor
Werder-Bremen

Hersh war Werder-Fan. Und seine Geschichte ist auch eine Geschichte des Hamas-Angriffs, der sich in diesem Oktober zum ersten Mal jährte. Am 7. Oktober reiste Hersh mit seinem besten Freund Aner Shapira auf das Supernova-Festival in Re’im. Als die Terrororganisation Hamas die Festivalbesucher angriff, liefen Hersh und Aner in einen kleinen, halboffenen Luftschutzbunker, doch die Terroristen warfen Panzerfäuste hinein. Aner versuchte, die Granaten mit den Faustpatronen wieder hinauszuwerfen, sieben Mal gelang ihm das, bei der achten starb er. Hersh, der genau hinter ihm stand, verlor seine Hand. Dann fassten ihn die Terroristen. Das Foto vom blutenden Hersh als Geisel auf dem Pick-up der Hamas ging um die Welt.

Hershs Vater sagte später: „Du lebst in einer Realität, in der du hören willst, dass dein Kind von der Hamas entführt und nach Gaza gebracht wurde, denn das ist besser als die Alternative.“ Dieser Satz des Vaters sagt so viel über diesen unfassbaren 7. Oktober. Wie weit muss es gekommen sein, dass Menschen noch Kraft schöpfen, wenn sie sehen, dass ihr Sohn lebt und mit einem abgetrennten Glied auf einem Pick-up der Hamas liegt und verschleppt wird?

Im April, nach über 200 Tagen, hatten die unermüdlich um die Freilassung ihres Sohns kämpfenden Eltern noch ein Lebenszeichen von Hersh erhalten. Die Hamas veröffentlichte ein Video: Hershs Wuschelhaar war abrasiert, der linke Arm war amputiert. Das Video ist kaum zu ertragen – wie alles, was mit diesem 7. Oktober begann.

Bremer Fans waren schon seit einigen Jahren nach Israel gereist, um sich mit Anhängern von Hapoel Jerusalem anzufreunden, darunter auch Hersh, der ebenfalls mehrmals nach Bremen reiste, Spiele im Weserstadion sah und Fan wurde. Mit seinen neuen Bremer Freunden organisierte er Fußballturniere, auch im Westjordanland. Und man hört von Hersh, dass er das Anliegen der Palästinenser für gerechtfertigt hielt; dass er sich in der Ultragruppe „Brigade Malcha“ für Fußballspiele zwischen israelischen und palästinensischen Kindern einsetzte. Aner Shapira, sein Freund, der durch sein mutiges Vorgehen im Schutzbunker etwa zwanzig Menschen rettete, war sogar ein Linker, er demonstrierte für die Zweistaatenlösung und gegen die Justizreformpläne der israelischen Regierung.

Und dennoch las man von sogenannten deutschen Linken dieses ganze gefühlstote Zeugs über Hersh und seinen Freund. Dass sie doch das System symbolisiert hätten, weil sie Soldaten gewesen seien (wie im Übrigen alle jungen Israelis zum Militärdienst müssen); dass Hershs Geschichte ja nur das Leid der Palästinenser schmälern solle; dass ihm recht geschehen sei und so weiter. Es ist eine der erschreckendsten Folgen des 7. Oktobers, dass selbst Intellektuellen (oder sogenannten Linken) ihre Menschlichkeit abhandenkam. Und sie dort Mitgefühl verweigerten, wo man als Mensch eigentlich zu nichts anderem aufgerufen war. Dabei war Hershs friedlicher, stiller Weg so richtig, so voller Menschlichkeit und einer Vision: Fußballspiele zwischen palästinensischen und jüdischen Kindern. Und Jon Polin, Hershs Vater, war immer wieder auf die verzweifelte Lage der Palästinenser im Gazastreifen eingegangen. Im Wettstreit der Schmerzen, sagte er, gebe es keine Gewinner.

Die israelische Armee fand die Leiche seines Sohns sowie die von fünf weiteren Geiseln in einem Tunnel in Rafah. Laut einem Militärsprecher seien sie mit einem Kopfschuss hingerichtet worden, kurz bevor die Armee sie erreichen konnte.

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