Selbstbestimmungsgesetz: Arbeit für den Weihnachtsmann?
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ist ein letztes progressives Aufbäumen der Scheidenden Drei Koalitionäre. Ob sie dem Weihnachtsmann ein unliebsames Abschiedsgeschenk hinterlassen haben, klären Andreas Zöllner und Hendrik Schwager.
Dass der altmodische Allheilsbringer gewiss nicht die Symbolfigur des Fortschritts ist, stellt er Jahr für Jahr erneut unter Beweis: Noch immer scheint der restaurative Rumpelbock von überkommenen Unsitten wie etwa der Körperstrafe nicht ganz ablassen zu können. Und so sitzt bei ihm die Reisigrute genauso locker wie das Kuhhorn bei Borkumer Halbstarken – freilich unter dem Deckmantel der Traditionspflege. Immerhin: Anders als auf der Ostfrieseninsel spielt dabei unter der Nordmanntanne die Frage des Geschlechts keine große Rolle.
Doch auch insoweit könnte der progressive Geist der zukünftigen Weihnacht das ungehobelte Urgestein bald eingeholt haben. Denn nicht nur bei der Auswahl von Prügelknaben droht das umstrittene Gesetz die bunte Weihnachtswelt des greisen Gabenbringers mal wieder kräftig durcheinanderzuwirbeln. Während nicht nur konservative Kulturkriegerinnen, sondern auch feministische Menschenrechtlerinnen gegen das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) Sturm laufen, weiß ein jedes Kind, dass die Änderung des Geschlechtseintrags vor allem bei einem alten weißen Mann für erhebliche Verwirrung sorgen dürfte.
Geschlechtswechsel alle Jahre wieder?Doch stehen nun wirklich alle Jahre wieder ein Geschlechtswechsel und böse Überraschungen in der Mädchenumkleide zu befürchten?
Das SBGG soll zunächst die geschlechtliche Selbstbestimmung stärken. Während das nun abgelöste Transsexuellengesetz noch diskriminierende Hürden wie medizinische Gutachten vorsah, ermöglicht das SBGG ein niedrigschwelliges Verfahren. Dabei geht es nur um die Änderung des amtlichen Geschlechtseintrags und damit verbunden die Vornamenswahl – medizinische Fragen regelt das SBGG ausdrücklich nicht. Wer indes polemisch tönt, das SBGG "stellt Weichen" für Geschlechts-OPs, will sich damit vielleicht auch nur lieb Kind bei einem alten roten Haudegen machen.
Jede Person, deren amtlicher Geschlechtseintrag nicht mit ihrer -identität übereinstimmt, kann jenen beim Standesamt ändern lassen in "männlich", "weiblich" oder "divers"; auf einen Eintrag kann auch ganz verzichtet werden (damit hätte übrigens auch das geschlechtslose Christkind die Möglichkeit auf eine identitätsentsprechende Registratur). Die Person muss sodann erklären, welche geschlechtsentsprechenden Vornamen sie künftig führt.
Tatsächlich ermöglicht § 5 SBGG auch die wiederholte Änderung nach einjähriger Sperrfrist. Wer nun allerdings das Standesamt so regelmäßig frequentiert, wie manch schlittenkutschendes Schleckermaul die Weihnachtsbäckerei, bei dem könnte der Amtsschimmel gewiss Anhaltspunkte für einen Missbrauch vermuten – wenn solche objektiv und konkret vorliegen, darf die Behörde die Änderung ablehnen.
Auch der Kernkundschaft des speckigen Spielzeugspediteurs eröffnet das SBGG neue Freiheiten. Minderjährige können die Änderung selbst beantragen, wenn sie mindestens 14 Jahre alt sind, benötigen jedoch die elterliche Zustimmung. Bei jüngeren ist es umgekehrt: Die gesetzlichen Vertreter geben hier die Erklärung ab, es bedarf aber des Einverständnisses des Kindes, wenn es mindestens fünf Jahre alt ist.
SBGG als Fluchtroute bei der Rutenflucht?Ein zentraler Einwand gegen das SBGG lautete nun, Kriminelle könnten Strafverfolgungsbehörden künftig qua amtlicher Geschlechts- und Namensänderung hinters Lichtlein führen. Das befürchtet jedenfalls Sachsens Innenminister Armin Schuster. Lassen sich nun also zwischen Oberlausitz und Erzgebirge alle reuelosen Ronnys plötzlich zu frommen Veronnykas umtaufen? Bei dieser Vorstellung fällt freilich auch dem konservativen Kuchenliebhaber vom klirrendkalten Nordkap vor Schreck der Bart ab, trennt der schwerfällige Scherge doch anhand einer Namensliste die Kinderlein in Artige und Unartige auf.
Wir sagen Euch an den lieben Ad-Wendt"Fürchtet euch nicht!", schallt es da ausgerechnet vom heiligen Schutzmann aus dem Abendland, Rainer Wendt. Der ansonsten gern rigorose Redenschwinger (also Rainer Wendt) sieht im SBGG "keine Sicherheitsgefahr" und stimmt damit auch den runden radikalen Rutenschwinger (also den Weihnachtsmann) milde. Weitere wichtige Merkmale bei der Identifizierung von Unholden würden Wendt zufolge durch das SBGG nicht angetastet, etwa Nachname oder Aussehen.
Doch halt! Hat die sonst so antriebslose Ampelkoalition dem zipfelmützigen Züchtiger mit den jüngst verabschiedeten Reformen zum Familiennamen ein weiteres Mal in den Punsch gespuckt? Auch hier kann das schnaufende Schwergewicht wohl aufatmen. Zwar sind Familien ab 1. Mai 2025 viel freier darin, sich einen oder mehrere Nachnamen zu geben. Jedoch haben Kinder bis zur Volljährigkeit – anders als bei Vornamen und Geschlecht – keine Möglichkeit, ihren Familiennamen eigeninitiativ zu ändern (§ 1617i BGB n.F.). Da der leibesfüllige Landstreicher zudem üblicherweise Einkehr über den Kamin sucht, ist auch nicht zu befürchten, dass man an Heiligabend einen verwirrten Greisen vor dem Klingelschild rätseln sieht – außer, Opa Erich hat in der Feiertagshektik mal wieder seine Brille vergessen und lädt sich bei den Nachbarn zu Kaffee und Keksen ein.
Schließlich dürfte das letzte von Wendt genannte Identifizierungsmerkmal für den Weihnachtsmann gesetzlich auf alle Zeit unangetastet bleiben: Anders als Polizei oder Justiz erkennt der vollbärtige Vollstrecker alle Halunken wohl auch weiterhin an der Nasenspitze.
Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommt der Bescheid?Wer all das nicht glaubt und noch immer darauf beharrt, das SBGG ermögliche Schelmenpack, der Maßregelung durch den pummeligen Peiniger zu entfliehen, der kann zumindest in diesem Jahr noch in himmlischer Ruh schlafen: Das Gesetz trat erst am 1. November in Kraft, nach der erstmaligen Anmeldung der Namens- und Geschlechtsänderung muss man aber drei Monate warten, ehe die Änderung verbindlich erklärt werden kann (§ 4 Satz 1 SBGG). Die ersten Umtaufen delinquenter Dreschflegel finden also frühestens an Mariä Lichtmess statt.
Die Wartezeit zwischen Anmeldung und endgültiger Erklärung darf übrigens sechs Monate nicht übersteigen. Damit wird die angespannte Lage in vielen Bürgerämtern eine Änderung faktisch ohnehin unmöglich machen. Jedenfalls in Berlin, wo nun der Andrang auf die Standesämter besonders groß ist, muss der drakonische Dickwanst also auch künftig keine Bange haben, dass ihm Unholde mithilfe des SBGG durch seine fleischigen Finger flutschen: "Kriej‘n Se da ma innerhalb von sechs Monaten ’n Termin!"
Und auch das SBGG selbst öffnet dem wortlauttreuen Rechtsausleger ein Hintertürchen, um männliche Naseweise zu entlarven, die da meinen, sie könnten sich kurz vor Heiligabend mir nichts, dir nichts umbenennen, um nun im weiblichen Gewand den kurzsichtigen Kaventsmann um den Finger zu wickeln: Gemäß § 9 SBGG bleibt es trotz amtlicher Änderung bei der Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall – der dürfte bei den meisten Familien während der Feiertage nach alter Väter Sitte regelmäßig ausgerufen werden.
Doch du weißt ja unsren Wunsch, kennst ja unsre HerzenDa fällt dem kurvigen Klops gleich ein Stein vom Herzen. Doch noch ist die Christmette nicht gelesen. Dass sich die präsentbepackte Pausbacke bei der Auswahl seiner Geschenke gern von abgedroschenen Geschlechterklischees leiten lässt, ist nicht nur am Nordpol ein offenes Geheimnis. Aber ist ein phlegmatisches "Weiter so" möglich angesichts der neuen Flexibilität bei Geschlechtseintragungen, die das SBGG vermittelt?
"Seien Sie unbesorgt", wird der frostige Olaf den aufgedunsenen Angsthasen beschwichtigen: "Diese Reformen bedrohen niemanden." Hat der SBGG-Gesetzgeber also ein Schlupfloch für den properen Plauzenträger gelassen?
Wer den Geschlechtseintrag ändern lassen möchte, muss nach § 2 Abs. 3 SBGG nämlich auch Vornamen wählen, die dem "Geschlechtseintrag entsprechen". Das spielt dem starrsinnigen Stereotypentypen natürlich in die weidlich abgegriffenen Karten: Reithelme für Rebeccas, Fußballtrikots für Finns – mit diesen Klischeegaben à la "Dit ham wa schon immer so jemacht" wird der Weihnachtsmann versuchen, durchzukommen. Doch schon die ersten Kays und Kims dürften ihm Schweißperlen auf die feiste Stirn treiben.
Als wäre das nicht genug, muss er sich nun womöglich gar mit einer ganz neuen Form des Weihnachtswunsches herumärgern. Personen, die ihr Geschlecht als divers angeben oder ganz auf einen Eintrag verzichten, dürften bei der Suche nach einem kongruenten Vornamen, die ihnen der Gesetzgeber abverlangt, genauso ratlos vor dem Namenslexikon sitzen wie Opa vor dem Steam-Winter-Sale. Was läge da näher, als sich vertrauensvoll Hilfe bei dem allwissenden Adipösen zu holen? Schon ist’s Essig mit der vermeintlichen Arbeitsersparnis.
Sandra Claus?Eine handfeste Identitätskrise sollte sich die wankelmütige Wuchtbrumme übrigens besser vom eigenen, gut gefüllten Leibe halten – und das nicht nur wegen der verblüffenden Ähnlichkeit zu Onkel Wolfgang. Denn der gravitätische Geschenkbote selbst dürfte es trotz SBGG schwer haben, seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Sogar das größte deutsche Genderwörterbuch, das wohl nicht gerade als Propagandablatt der Reaktion gelten darf, merkt unter dem Stichwort "Weihnachtsmann" an: "Der Begriff ist historisch und sollte nicht ersetzt werden. Weihnachtsfrau oder Weihnachtsmensch ist absurd." Auch dem letzten linksgrün-versifften Weihnachtsrechtsforscher dürfte damit nun endlich der Glühweinhahn abgedreht sein …
Die Offenbarung des Johannes?Die Kopplung der Geschlechtseintrags- an eine Vornamensänderung ist indes nicht unumstritten. Hält man beides mit guten Gründen für zwei zu trennende Aspekte der Persönlichkeitsentfaltung, läge es nahe, § 2 Abs. 3 SBGG aufzuheben. So wünschenswert dies zur Stärkung der Selbstbestimmung wäre, bliebe es doch weihnachtsrechtlich problematisch.
Aus Datenschutzgründen ist dem indiskreten Interessenignoranten natürlich jegliche Einsichtnahme in den aktuellen Geschlechtseintrag verwehrt. Und nicht nur das: Das Offenbarungsverbot des § 13 Abs. 1 S. 1 SBGG schiebt allfälligen Versuchen des neugierigen Nimmersatts, frühere Geschlechtsangaben und Vornamen auszuforschen, einen Riegel vor. Bis zu 10.000 € Strafe (§ 14 SBGG) winken dem senilen Sackträger obendrein, wenn er Max auf der Schulweihnachtsfeier "versehentlich" als frühere Mona outet – Eltern ist daher davon abzuraten, den konzilianten Kamintorpedo mit entsprechenden Informationen auszustatten. Und so könnte der zerstreute Zottelbart am Heiligen Abend eine ähnlich hilflose Figur abgeben wie manche nichteheliche Lebensgemeinschaft auf der Suche nach einer Herberge.
Wachet auf, ruft uns die StimmeHalten wir fest: Auch diese Gesetzesnovelle ist keine Bedrohung für das Weihnachtsfest, wohl aber für manch überkommenes Denkmuster des alten weißbärtigen Mannes.
Aber wie auch er nie den Glauben an das Gute in einem jeden frechen Gör aufgibt, sind wir ebenfalls zuversichtlich, dass der stämmige Stiefelträger weiter schritthalten will, um das Recht jeder Person auf einen respektvollen Umgang mit ihrer Geschlechtsidentität zu wahren. Und so wird der konservative Klinkenputzer auch in diesem Jahr Friede und Freud an den kunterbunten Gabentisch bringen – falls da nicht bereits Robert Habeck Platz genommen hat.
Die Autoren Andreas Zöllner und Hendrik Schwager sind Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg bei der Professur für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Sie forschen bereits seit Jahren zu Rechtsfragen rund um die Tätigkeit des Weihnachtsmannes.
Zitiervorschlag
Der Weihnachtsmann und das Selbstbestimmungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56183 (abgerufen am: 24.12.2024 )
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