MDRfragt zu Bundesregierung: Vertrauensfrage kommt vielen zu spät
Am 16. Dezember steht es auf der Bundestags-Tagesordnung: Kanzler Olaf Scholz stellt die Vertrauensfrage. Wenn es nur um die Arbeit des Bundeskanzlers ginge, dann wäre ihm die Stimme von jeder und jedem Vierten aus der MDRfragt-Gemeinschaft sicher. Konkret gaben 27 Prozent der Befragten an, sie würden Scholz das Vertrauen aussprechen, damit er länger im Amt bliebe. Heißt im Umkehrschluss aber auch: Ein Großteil der Befragten (69 Prozent) würde dem SPD-Politiker nicht das Vertrauen aussprechen.
Warum der Kanzler von einigen das Vertrauen bekäme...Für einige MDRfragt-Mitglieder kommt das Vertrauen für Scholz aus der Abwägung mit den Alternativen. So bringen einige Befragte Argumente vor, warum aus ihrer Sicht der Amtsinhaber aus ihrer Sicht besser wäre als sein derzeit aussichtsreichster Herausforderer Friedrich Merz (CDU). Zu ihnen gehört etwa Dieter (83) aus Magdeburg: "Scholz ist das kleinere Übel, mit Merz droht ein weiterer Sozialabbau."
Ein ganz anderes, aber sehr oft vorgetragenes Argument in der Abwägung dieser beiden Spitzenkandidaten: der Blick auf die deutsche Unterstützung für die Ukraine, die sich seit fast drei Jahren gegen einen russischen Angriff verteidigt. Wer Scholz sein Vertrauen aussprechen würde, begründet das sehr oft mit dessen Kurs in der Ukraine-Politik.
Immer wieder schwingt die Angst mit, die von CDU-Chef Friedrich Merz angekündigte stärkere Unterstützung der Ukraine könnte Deutschland doch noch in den Krieg verwickeln, sollte die Union den nächsten Regierungschef stellen. Stellvertretend dafür steht zum Beispiel der Kommentar von Monika (66) aus Dessau-Roßlau: "Ich finde es wichtig und richtig, dass der Kanzler die Taurus-Lieferung verweigert."
Andere finden Scholz als Persönlichkeit und Kanzler überzeugend, wie zum Beispiel Klaus (63) aus dem Landkreis Harz: "Ein besonnener Politiker, ohne Hang zur Selbstdarstellung." Und Roland (67) aus dem Saale-Holzland-Kreis formuliert es so: "Er ist ein sehr bedachter Kanzler."
Hinweis
Die Stimmungsbilder von MDRfragt sind auch dank der hohen Teilnehmendenzahl aussagekräftig.
Dieses Mal sind es mehr als 24.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Da alle MDRfragt-Mitglieder ihre Meinung einbringen können und sollen, werden keine Zufalls-Stichproben gezogen.
Die Ergebnisse sind damit nicht repräsentativ. Um mögliche Verzerrungen durch die Zusammensetzung der Befragten zu verringern, werden die Befragungsergebnisse nach bewährten wissenschaftlichen Methoden gewichtet. Zudem erlauben die Begründungen und Kommentare der Befragten, die Stimmungstendenzen einzuordnen. Mehr zur Methodik von MDRfragt am Ende des Artikels.
Auch unter jenen, die angegeben haben, sie würden Olaf Scholz als Person nicht das Vertrauen aussprechen, gibt es verschiedene Begründungen. Die einen finden, Scholz habe als Kanzler nicht überzeugt. Zu ihnen gehört zum Beispiel Oliver (49) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, der über den aktuellen Bundeskanzler und früheren Hamburger Bürgermeister schreibt: "Olaf Scholz scheint als Bürgermeister gut regieren zu können. Doch ein ganzes Land, damit ist er überfordert."
Ein 'Sachbearbeiter', dem alles fehlt, um das Land voranzubringen.
Doch genau wie es Befragte gibt, die Scholz vertrauen, weil er mit dem Ukraine-Krieg umgeht, wie er es tut, gibt es auch MDRfragt-Mitglieder, denen genau das missfällt.
Edith (72) aus dem Landkreis Leipzig gehört zu den Befragten, die finden, dass Scholz Ängste schürt und dabei selbst wenig vertrauenswürdig agiert: "Er tritt kaum in Erscheinung und wenn, dann macht er Wahlkampf. Das Volk soll ihm vertrauen, obwohl er nichts erklärt und keine Zukunftspläne zeigt. Was er gut kann, ist Angst machen." Und noch deutlicher wird in dieser Argumentation unter anderem Reinhard (80) aus dem Landkreis Stendal: "Er ist zu feige und vertraut nicht auf die Stärke der EU sowie der Nato."
Auch Karin (64) aus dem Landkreis Zwickau findet, Scholz habe bisher eher gezeigt, "dass er es nicht kann. Ein 'Weiter so' wäre für Deutschland und Europa katastrophal". Und Lothar (71) aus dem Salzlandkreis formuliert eine immer wieder vorgetragene Sicht in seinem Kommentar so: "Kein Mut, keine Vision, keine Führung. Ein 'Sachbearbeiter', dem alles fehlt, um das Land voranzubringen."
Damit spielen Karin und Lothar auf einen Aspekt an, den viele Befragte nennen: Dass Kanzler Scholz es nicht geschafft hat, die immer wieder heftigen Streitigkeiten in der Ampel-Koalition zu schlichten. So meint Matthias (68) aus dem Landkreis Börde: "Er hat nur geredet und zerredet, die Ampel nicht im Zaum gehalten. Ich glaube, einen blasseren Kanzler hat die Republik noch nicht gehabt."
Und manche argumentieren ganz grundsätzlich mit der Ampel-Regierung, warum der Kanzler als deren Chef nicht ihr Vertrauen genießt: "Der Kanzler steht für eine Regierung, die sich kein Vertrauen verdient hat", formuliert es etwa Claudia (49) aus dem Altenburger Land.
Kanzler überzeugt mehr Befragte als die RegierungTrotz vieler kritischer Kommentare: In der Gunst der MDRfragt-Gemeinschaft kommt Scholz besser weg, als die Ampel-Regierung im Ganzen. Die Arbeit der Bundesregierung in diesem Jahr bewerten die mehr als 24.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen überwiegend negativ: Nur neun Prozent gaben an, mit der Arbeit von Scholz und seinem Kabinett in 2024 zufrieden oder eher zufrieden zu sein. Der erhebliche Rest (88 Prozent) gab hingegen an, unzufrieden oder eher unzufrieden zu sein.
Dabei zeigt sich: Je älter die Befragten sind, desto größer die Unzufriedenheit. Auch wenn die Bilanz für die Arbeit der Bundesregierung in allen betrachteten Altersgruppen überwiegend negativ ist, sind doch bei den Unter-30-Jährigen immer noch 17 Prozent mit der Arbeit vom Scholz-Kabinett zufrieden oder eher zufrieden. Bei den 30- bis 49-Jährigen sinkt dieser Anteil schon deutlich auf 10 Prozent. Bei den noch älteren Befragten ist der Anteil der positiv gestimmten Befragten einstellig.
Zu den wenigen zufriedenen MDRfragt-Mitgliedern gehört Constantin (31) aus Leipzig: "Viele Gesetze, die entstanden sind, sind zukunftsorientiert. Positive Entwicklung der Energiewende." Auch Erik (46) aus Chemnitz zieht ein eher positives Fazit: "Man hatte sich extrem viel vorgenommen, davon absolut gesehen sogar viel umgesetzt."
Im großen Rund derjenigen, die mit der Arbeit der Bundesregierung in diesem Jahr unzufrieden sind, kommen ganz viele Argumente, die sich auf das Schlagwort: "lähmender Streit" zusammenfassen lassen.
Auf der Stelle treten und streiten, bis der Arzt kommt.
So meint Kathrin (37) aus dem Landkreis Zwickau: "Durch ständigen internen Streit wusste man nie, welche Regelungen wirklich kommen, und auf was man sich einstellen kann. Gerade für die langfristige Planung, zum Beispiel beim Kauf einer Heizung, ist das schlecht."
Und Jörg (50) aus dem Altmarkkreis Salzwedel fasst ganz viele Kritikpunkte der MDRfragt-Gemeinschaft in einem Kommentar zusammen: "Schlecht vorbereitete Gesetze. Zu viel Streit in der Koalition. Eine FDP, die fast alles blockiert hat. Man hätte sich eher trennen müssen." Falko (45) aus Suhl formuliert es so: "Weil mir die politische Innovation fehlte, die politische Kreativität und die nötigen richtigen Impulse der Bundesregierung ausblieb. Stattdessen auf der Stelle treten und streiten, bis der Arzt kommt."
Andere MDRfragt-Mitglieder begründen ihre Unzufriedenheit stärker inhaltlich. Zu ihnen gehört Franziska (43) aus dem Burgenlandkreis: "Firmeninsolvenzen, Preiserhöhung in allen Bereichen des Lebens, Angst vor Krieg." Gerade die schwächelnde Wirtschaft wird immer wieder der Verantwortung der Ampel-Regierung zugeschrieben.
Vertrauensfrage kommt den meisten zu spätFast zwei Drittel der Befragten (63 Prozent) gaben an, sie hätten sich gewünscht, dass Scholz die Vertrauensfrage eher stellt. Für etwa jede und jeden Fünften (20 Prozent) kommt die Vertrauensfrage ungefähr zur richtigen Zeit. Und kaum jemand findet, die Vertrauensfrage komme zu früh (7 Prozent).
Vorgezogene Neuwahlen heißt Winter-WahlkampfWahlwerbung auf dem Weihnachtsmarkt? Im Schneesturm am Wahlkampfstand anhalten? Wenn der bisher ausgehandelte Plan aufgeht, dann sind das realistische Szenarien. Denn statt Ende September wird schon Ende Februar gewählt.
Macht es den Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen etwas aus, wenn in der dunklen Jahreszeit statt im Hochsommer um ihre Wählergunst gebuhlt wird? Die MDRfragt-Gemeinschaft tendiert zu: eher nein.
Zwar gab rund jede und jeder Fünfte an (19 Prozent), es mache einen Unterschied, dass dieses Mal in der Advents- und Winterzeit der Wahlkampf laufe. Gleichzeitig gab aber der deutlich größere Teil der Befragten an: Wahlkampf im Winter sei für sie kein Problem (79 Prozent).
Wahltermin stößt auf geteiltes EchoOkay, die MDRfragt-Gemeinschaft hätte sich mit großer Mehrheit einen früheren Termin für die Vertrauensfrage gewünscht. Beim anvisierten Wahltermin, dem 23. Februar, scheiden sich hingegen die Geister: Gut die Hälfte der Befragten (51 Prozent) findet den Wahltermin tendenziell gut, gut jede und jeder Dritte (31 Prozent) findet ihn eher schlecht. Fast jede und jeder Fünfte (18 Prozent) positioniert sich in dieser Frage nicht.
Je nach Bundesland gibt es marginale Unterschiede mit Blick auf den Wahltermin: In Sachsen finden im Vergleich etwas weniger Befragte den Wahltermin gut oder eher gut (48 Prozent) als in Sachsen-Anhalt (54 Prozent) oder Thüringen (53 Prozent).
In der sächsischen MDRfragt-Gemeinschaft ist der Unmut über den Wahltermin etwas höher als in den anderen beiden Bundesländern. Wenn man aber bedenkt, dass Sachsen das einzige Bundesland ist, in dem der Wahltermin mitten in den Winterferien liegt, fällt der zusätzliche Unmut jedoch kaum ins Gewicht.
Was am Wahltermin kritisiert wirdGerade von Befragten aus Sachsen — aber bei Weitem nicht nur — wird der Termin genau deshalb kritisiert: weil er genau in die Mitte der Winterferien im Freistaat fällt. So meint Stefanie (42) aus Dresden: "Mitten in den sächsischen Schulferien. Ungünstig für Wähler und Wahlhelfer."
Viele finden den Zeitpunkt auch aus anderen Gründen als den Ferien unglücklich gewählt: "Mitten in der Karnevalszeit 'ne Wahl!? Keine Zeit für Wahlkampf und die Ferien sind da auch in der Zeit. Sehr schlecht gewählte Zeit", meint etwa Anke (65) aus dem thüringischen Ilm-Kreis. Für Patrick (49) aus Leipzig gilt, die Wahl "hätte im März, April sein sollen, damit über Weihnachten die Familien nicht von Wahlkämpfen geplagt werden".
Manchem missfällt, dass der Termin für die vorgezogenen Neuwahlen die Bundestagswahlen jetzt grundsätzlich erst einmal vom Herbst in den Winter verschoben hat. Daniel (35) aus dem Altmarkkreis Salzwedel meint: "Es wird jetzt immer so gewählt. Bei jeder Bundestagswahl. Das möchte ich nicht."
Anderen kommt die Bundestagswahl insgesamt zu kurzfristig. So argumentiert nicht nur Martin (37) aus Jena: "Zu kurze Fristen für kleinere Parteien, um Unterstützungsunterschriften zu sammeln."
Andere finden den Wahltermin hingegen schlecht, weil es ihnen mit den Neuwahlen nicht schnell genug gehen kann. So finden sich immer wieder Kommentare wie den von Nicole (44) aus dem Salzlandkreis: "Zu spät, viel zu spät!"
Für die meisten ist der Termin hingegen nicht so wichtig. So meint Stefan (41) aus dem Landkreis Sömmerda: "Ist mit total egal, wann gewählt wird."
Über diese Befragung Die Befragung: "Vertrauensfrage im Bundestag: Wird nach der Neuwahl alles besser?" lief vom 6. bis 9. Dezember. Insgesamt haben 24.211 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.
Bei dieser Befragung haben sich 27.666 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.