Ampel-Aus: Politikprofessor hält das System "Vertrauensfrage" für ...

12 Nov 2024
Vertrauensfrage
Dass der Kanzler nicht ohne einen mehrheitsfähigen Gegenvorschlag abgewählt werden kann, ist eine Lehre aus der Weimarer Republik.Experten befürworten dieses sogenannte konstruktive Misstrauensvotum, kritisieren jedoch das System der Vertrauensfrage.Ein Politikprofessor von der Uni Halle-Wittenberg vermutet Taktik hinter dem von Scholz' gewähltem Zeitpunkt für die Vertrauensfrage.

Dass ein Kanzler auch bei fehlender Mehrheit schwer zu stürzen ist, liegt an Erfahrungen der Weimarer Republik, sagt Hubertus Gersdorf, Staatsrechtler an der Universität Leipzig. "Nach der Weimarer Verfassung war es möglich, den Reichskanzler schlicht abzuwählen. Und das wurde auch von der Opposition so häufig gemacht, dass trotz ganz unterschiedlicher politischer Überzeugung die Opposition sich einig war bei der Abwahl."

Gleichzeitig aber konnte sich die Opposition nicht auf die Wahl eines neuen Reichskanzlers verständigen, sagt Gersdorf. So zum Beispiel in der Septemberkrise 1932: In seiner ersten regulären Sitzung nach der Wahl sorgt der Reichtstag gleich für den Sturz der Regierung von Papen. Den Misstrauensantrag stellt die kommunistische KPD. Doch mit ihr geben auch die Nationalsozialisten ihre Stimmkarten ab. Hermann Göring von der NSDAP verkündet das Ergebnis im Deutschen Reichstag: "Abgegeben worden sind 550 Karten. Davon haben fünf sich der Stimme enthalten, 32 mit Nein und 513 mit Ja gestimmt."

Die Bilanz von nur 13 Jahren Weimar lautet am Ende: 21 Regierungen unter 11 verschiedenen Kanzlern. Das Ansehen der Demokratie wird dadurch schwer beschädigt, die Machtergreifung Hitlers möglich.

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Konstruktives Misstrauensvotum: Deutsche Version zur Stabilitätssicherung verbreitet sich

In unserem Grundgesetz, erklärt Politikprofessor Volker Best von der Uni Halle-Wittenberg, steht deshalb von Beginn an "eine echte verfassungspolitische Innovation, dass man eben nur den Kanzler stürzen kann, in dem man eben mit gleicher Abstimmung sozusagen einen neuen Kanzler an seine Stelle setzt, das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum".

Das macht Schule – auch Spanien und Belgien übernahmen die Idee, so Best. Beide von MDR Aktuell befragte Experten, Best und Gersdorf, halten das konstruktive Misstrauensvotum weiterhin für zeitgemäß und stabilitätssichernd.

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Kritik am System Vertrauensfrage: Unwahrhaftig

Ein wenig kritischer sieht Best die zweite Option, die Vertrauensfrage, mit der ein Bundeskanzler seine Abwahl selbst einleiten kann. Best kritisiert nicht die Vertrauensfrage an sich, sondern, wie sie oft genutzt wurde – und wie auch Scholz sie im Januar nutzen wird. Die Regierungsparteien stimmen dann gegen den eigenen Kanzler – nur, um Neuwahlen zu ermöglichen. "Es ist dann sehr umständlich und hat so was Unwahrhaftiges durch das Abstimmungsverhalten gegen die eigenen Überzeugungen", so Best.

Best hielte es für ein ehrlicheres und damit zustimmungsfähigeres Instrument, wenn das Parlament über seine eigene Existenzdauer entscheiden könne. Funktionieren könne das nur, wenn gleichzeitig Regierungsparteien den Bundestag nicht aus taktischen Gründen auflösen könnten – etwa, wenn gerade die Zustimmungswerte steigen.

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Experte: Scholz taktiert beim Vertrauensvotum

Ein wenig Taktik unterstellt übrigens Staatsrechler Gersdorf auch Bundeskanzler Scholz beim geplanten Vertrauensvotum. Scholz' Argument, vorher noch wichtige Abstimmungen organisieren zu wollen, ziehe nicht. "Ob die Vertrauensfrage in der nächsten Woche oder erst im Januar gestellt wird: Der Bundeskanzler ist, um seine Projekte zu realisieren, in beiden Fällen auf die Opposition, das heißt auf die CDU/CSU-Fraktion angewiesen", argumentiert Gersdorf. Daher gäbe es keinen Sachgrund, das Votum hinauszuschieben.

Scholz bleibe ohnehin im Amt, bis das Parlament seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger wählt, sagt Gersdorf. Denn die große Lehre aus Weimar sei eben: keine Abwahl ohne Neuwahl.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 11. November 2024 | 06:06 Uhr

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