Scholz' Vertrauensfrage: Alles, was Sie wissen müssen

Vertrauensfrage Scholz

Es wird das sechste Mal sein: Ein Bundeskanzler stellt dem Parlament die Vertrauensfrage. Am Mittwoch stellt Olaf Scholz einen entsprechenden Antrag – mit dem Ziel, am Ende zu scheitern. Alles Rechtliche und Wissenswerte zur Vertrauensfrage.

Es ist der erste formelle Schritt auf dem Weg zur Neuwahl des Bundestages: Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird am Mittwoch gemäß Art. 68 Grundgesetz (GG) bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) beantragen, dass das Parlament ihm das Vertrauen ausspricht. Sein Ziel ist aber, dass die Abgeordneten bei der Abstimmung am Montag genau das Gegenteil tun. Dann wäre der Weg für die angepeilten Neuwahlen im Februar 2025 frei.

Scholz will nach dem unrühmlichen Aus seiner Ampel-Koalition inklusive Rausschmiss von FDP-Finanzminister Christian Lindner erreichen, dass der Bundestag etwa sieben Monate früher als ursprünglich geplant neu gewählt wird – am 23. Februar 2025 statt im September 2025. Derzeit führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit besitzt und deswegen ohne zeitweilige Unterstützung aus der Opposition nichts mehr durchsetzen kann. Ein Scheitern bei der Vertrauensfrage ist für den Kanzler eine Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen.

Zuletzt verfuhr Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 so. Dieses Vorgehen, das Jurastudenten auch als "unechte Vertrauensfrage" bekannt ist, gilt jedoch als verfassungsrechtlich umstritten, weil es nicht – wie eigentlich im Grundgesetz intendiert – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen. Vielmehr soll gerade das Gegenteil erreicht werden, nämlich die für die Vertrauensfrage nötige Mehrheit zu verfehlen. Das Bundesverfassungsgericht billigte dies 2005 jedoch grundsätzlich ("Vertrauensfrage II", Urt. v. 25.08.2005, Az. 2 BvE 4/05 und 2 BvE 7/05).

Neben Schröder, der schon 2001 bereits die Vertrauensfrage stellte, verfuhren zuvor bereits Brandt (1972), Schmidt (1982) und Kohl (1982) ebenso. Scholz reiht sich damit in eine unfreiwillige Parteitradition ein: Alle Kanzler der SPD haben es in unterschiedlichen Konstellationen nicht vermocht, ihre Regierungen bis zum Ende zu führen.

Ist eigentlich sicher, dass Scholz keine Mehrheit bekommt?

Der Bundestag wird am kommenden Montag, den 16. Dezember, über den Antrag abstimmen. Scholz wird den Abgeordneten seine Gründe für die Vertrauensfrage in einer Rede erläutern. Anschließend wird es noch eine etwa 90-minütige Aussprache geben. Danach entscheidet der Bundestag voraussichtlich in namentlicher Abstimmung. Das bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten mit etwas Verzögerung veröffentlicht wird.

Dass Scholz die Mehrheit wie beabsichtigt verfehlt, ist ziemlich sicher, auch wenn es noch einen Unsicherheitsfaktor gibt. Dem Bundestag gehören 733 Abgeordnete an. Um das Vertrauen des Parlaments zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit aller Parlamentarier, auch "Kanzlermehrheit" genannt. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Die Grünen, der noch in der Regierung verbliebene Juniorpartner der SPD, haben sich noch nicht entschieden. Ihre Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hatte zwar kurz nach dem Ampel-Aus verkündet, dass die Grünen ebenfalls für Scholz stimmen würden. Inzwischen ist aber auch eine Enthaltung im Gespräch.

Das liegt an der AfD. Sollten SPD und Grüne geschlossen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Die AfD hat 76 Abgeordnete und könnte theoretisch Scholz zu einer Mehrheit verhelfen. Das wäre zwar irrational, weil die Partei die rot-grüne Minderheitsregierung ja eigentlich loswerden will. Aber mit Jürgen Pohl hat schon ein AfD-Abgeordneter angekündigt, für Scholz stimmen zu wollen, weil er für ihn verglichen mit dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz das kleinere Übel sei. AfD-Chef Tino Chrupalla äußerte zudem, dass jedenfalls kein Fraktionszwang gelte. Es ist also gut möglich, dass die Grünen auf Nummer sicher gehen und mit der SPD vereinbaren, dass sie sich enthalten.

Wie es nach der Vertrauensfrage weitergeht

Scholz wird nach verfehlter Mehrheit in der Vertrauensfrage Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen, wozu dieser dann drei Wochen Zeit hat, also bis zum 6. Januar. Wenn sich der Bundespräsident dafür entscheidet, muss die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden.

Der Bundespräsident kann sich aber auch gegen die Auflösung entscheiden – zumindest theoretisch. Denn in Art. 68 GG steht nur, dass der Bundespräsident den Bundestag auflösen "kann" – nicht, dass er ihn auflösen "muss". Dass Steinmeier die Auflösung verweigert, ist aber praktisch ausgeschlossen. Er hat bereits wissen lassen, dass er den angestrebten Neuwahltermin am 23. Februar für realistisch hält. Zudem hat er erklärt, nach welchem Maßstab er entscheiden werde: "Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung." Dies ist seit dem Ampel-Crash am 6. November nicht mehr gegeben.

Bis Ende Februar werden dann, teils noch im Dezember (CDU/CSU und SPD), teils erst im Januar (Grüne, BSW und AfD), die Wahlprogramme beschlossen und Kanzlerkandidaten der Parteien bestimmt.

Bundestag und Bundesregierung bleiben handlungsfähig

"Der 'alte' Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen", heißt es in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Das Parlament kann jederzeit wieder zusammentreten, es kann weiter Gesetze beschließen, auch seine Gremien wie Untersuchungsausschüsse bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Dieses Ende ist mit dem ersten Zusammentreten des neu gewählten Bundestages erreicht.

Auch die Bundesregierung ist weiterhin im Amt – und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestages endet laut Art. 69 GG das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Sie bekommen dann vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunden überreicht.

Der neue Bundestag tritt nach Art. 39 GG spätestens am 30. Tag nach seiner Wahl zusammen. Wegen der sich oft in die Länge ziehenden Koalitionsverhandlungen ist es üblich, dass die neue Regierung zu diesem Zeitpunkt noch nicht steht. Dann kann der Bundespräsident den Kanzler ersuchen, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. Dazu ist dieser dann verpflichtet, gleiches gilt für die Minister.

jb/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Mittwoch beantragt, Montag gestellt: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56079 (abgerufen am: 11.12.2024 )

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