Scholz verliert bei Vertrauensfrage – was kommt nun auf uns zu?

gestern
Vertrauensfrage Scholz

Bundeskanzler Olaf Scholz hat wie erwartet - wie angestrebt - die Vertrauensfrage verloren. Was in Erinnerung bleiben wird, sind die gegenseitigen Attacken in der Bundestagsdebatte vor der Abstimmung. FDP-Chef Christian Lindner, Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen, Unions-Kanzler-Kandidat Friedrich Merz und der Bundeskanzler von der SPD haben jeweils dem politischen Gegner bzw. Ex-Koalitionspartner die Schuld an der Misere gegeben.
Was nehmen wir mit von der Debatte gestern im Bundestag? Darüber hat SWR-Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch mit dem Freiburger Politikwissenschaftler Uwe Wagschal gesprochen.

SWR Aktuell: War der Ton gestern im Bundestag dem Ereignis angemessen?

Uwe Wagschal: Es ging schon sehr rau zur Sache. Ich fand, es war der absolute Wahlkampfauftakt. Es ging ja schon vorher los. Aber gestern hat man schon gemerkt: Die älteren Männer, so möchte ich es mal sagen, haben sich da sehr, sehr aggressiv präsentiert. Und es war doch eine harte Auseinandersetzung. Man hat schon gemerkt: Es ist nur noch kurz hin bis zur Wahl

SWR Aktuell: Ist die Schlussfolgerung deshalb: Der Wahlkampf wird heftig laut, schmutzig?

Wagschal: Das kann man so sagen. Das hat man schon gemerkt, auch an den persönlichen Angriffen. Merz hat gesagt, Scholz solle sich „fremdschämen“. Scholz wiederum hat gesagt, Lindner fehle die sittliche Reife. Da war schon Sachen dabei, die gingen in Richtung Schläge unter der Gürtellinie.

SWR Aktuell: Das ist, was wir gestern im Bundestag, auf dieser Theaterbühne, gehört gesehen haben. Ein bisschen später dann am Abend, in den Fernsehinterviews, klang das schon ein bisschen differenzierter. Da hat Bundeskanzler Olaf Scholz beispielsweise von Respekt gesprochen, genauso wie auch Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz:

O-Ton Friedrich Merz: Und dazu fordere ich auch den Bundeskanzler auf, dies einzuhalten, nicht immer mehr darüber zu reden, sondern es einzuhalten - und respektvoll auch mit denen umzugehen, die in der Sache anderer Meinung sind als er.

SWR Aktuell: Also Friedrich Merz fordert von Scholz Respekt. Wen hat Merz da im Blick? Ist es eine große Koalition, vielleicht schon nach dem 23. Februar? Oder ist es die Gewissheit, dass Streitereien unter der Gürtellinie vor allen Dingen beim Wähler nicht so gut ankommen?

Wagschal: Ja, der Wähler hat lieber die Harmonie. Das ist genau richtig. Aber es geht natürlich jetzt auch darum, für die Kandidaten sich irgendwo in Stellung zu bringen. Das funktioniert oftmals aus Sicht der der Kandidaten dann mit sogenannten „Negativ-Campaigning“- das heißt, man äußert sich negativ über den Kontrahenten. Ich halte das für wenig glücklich, weil wir da ja auch Auseinandersetzungen haben, die ein schlechtes Bild auf dem Parlamentarismus werfen und auf den Umgang miteinander. Vorher war man ja in der Koalition, und man war auch ja davor in der großen Koalition, und auf einmal sind da große Gräben zu entdecken. Aber am Ende des Tages wird man wieder zusammengehen müssen. Und rechnerisch wird es wohl auf eine sogenannte Große Koalition - wie groß die denn dann sein wird, wird man sehen - hinauslaufen - oder eben Schwarz-Grün. Das werden die Optionen sein. Viel Auswahl hat man nicht, weil die politischen Ränder sehr stark geworden ist. Man schließt eine Koalition mit dem BSW aus, man schließt eine Koalition mit der AfD aus. So viel bleibt dann nicht mehr übrig, sodass man am Ende eben nur bei diesen zwei Möglichkeiten landen wird.

SWR Aktuell: Der Bundestagswahlkampf hat spätestens gestern mit der Abstimmung über die Vertrauensfrage im Bundestag so richtig begonnen. Das ist ja etwas Besonderes in der 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das hat es erst sechsmal gegeben. Werden wir uns vielleicht darauf einstellen müssen, dass das in Zukunft häufiger passiert, weil, wie Sie es ja eben schon gesagt haben, die politischen Ränder stärker werden?

Wagschal: Genau das wird ein Problem sein, weil wir natürlich sozusagen keine großen Mehrheiten mehr haben. Früher hatten wir über 90 Prozent für CDU, CSU und SPD zusammen, mit einer kleinen FDP. Heute ist es sehr viel ausdifferenzierter. Bei der letzten Wahl waren 47 Parteien am Start. Wir sehen das aber auch in ganz vielen anderen Ländern - schauen wir gerade mal rüber über den Rhein nach Frankreich: Instabile Regierungen, auch schnell Regierungswechsel. Jetzt gerade am Wochenende wieder ein neuer Premier in Belgien, in den Niederlanden … überall schwache Konstellationen. Die Österreicher kommen nicht zu Potte mit einer Regierungsbildung. Also: Wir haben das nicht nur in Deutschland. Und das ist natürlich für Europa auch schlecht, weil wir dann keine stabilen Verhältnisse mehr haben. Und wir galten eigentlich machen als Hort der Stabilität.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche