Bundeskanzler Scholz verliert Vertrauensfrage im Bundestag

3 Stunden vor
Vertrauensfrage Scholz

Stand: 16.12.2024 18:04 Uhr

Kanzler Scholz hat die Vertrauensfrage im Bundestag wie beabsichtigt verloren. Nach der Abstimmung traf er Bundespräsident Steinmeier, um ihm die Auflösung des Bundestags vorzuschlagen.

Der Bundestag hat Kanzler Olaf Scholz das Vertrauen entzogen und damit den Weg zu einer Neuwahl bereitet. Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage votierten 207 Abgeordnete für Scholz und 394 gegen ihn. 116 enthielten sich, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bekannt gab.

Der Kanzler verfehlte damit wie beabsichtigt die notwendige Mehrheit von mindestens 367 Stimmen deutlich. Die Enthaltungen wirken bei der Vertrauensfrage wie ein Nein.

Neuwahl am 23. Februar geplant

Scholz traf nach der Abstimmung Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue, um diesen um die Auflösung des Bundestags zu bitten. Damit wäre der Weg für Neuwahlen frei. Sie sind für den 23. Februar 2025 geplant.

Steinmeier hat nun 21 Tage Zeit zu entscheiden, ob er zustimmt und eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen ansetzt. Da es im Bundestag eine große Einigkeit darüber gibt, dass die ursprünglich für den 28. September 2025 geplante Bundestagswahl vorgezogen werden soll, gilt die Zustimmung des Bundespräsidenten als sicher. Er hat auch schon signalisiert, dass er mit dem angestrebten Termin einverstanden ist.

Drei AfD-Abgeordnete stimmen für Scholz

Bei der Abstimmung gaben drei AfD-Abgeordnete und drei Fraktionslose ihre Stimme für Scholz ab. Unter Letzteren war der aus der FDP ausgetretene Verkehrs- und Justizminister Volker Wissing. Von der AfD sprachen die Abgeordneten Christina Baum, Edgar Naujok und Jürgen Pohl dem Kanzler das Vertrauen aus, der frühere Parteichef Alexander Gauland enthielt sich der Stimme.

Die anderen Fraktionen stimmten geschlossen ab, wie die vom Bundestag veröffentlichten Abstimmungslisten zeigen. Bei der SPD votierten alle 201 an der Abstimmung teilnehmenden Abgeordneten für Scholz, bei der CDU/CSU alle 196 gegen ihn. Alle 115 anwesenden Grünen-Abgeordneten enthielten sich. Alle 88 FDP-Abgeordneten stimmten gegen Scholz, hier fehlten zwei Parlamentarier. Linke und BSW stimmten ebenfalls einmütig gegen den Sozialdemokraten.

Debatte im Wahlkampfmodus

Die Debatte vor der Abstimmung war schon voll und ganz vom Wahlkampf bestimmt. Scholz nutzte seine Rede für eine harte Attacke gegen die FDP. Die "wochenlange Sabotage" der Liberalen unter Parteichef Christian Lindner habe nicht nur der Ampel-Regierung, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet, sagte er. "In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife."

Mit der Vertrauensfrage selbst beschäftigte Scholz sich in seiner knapp 30-minütigen Rede nur kurz. Es gehe darum, dass die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs Deutschlands neu vorgeben könnten. Die nun anstehenden Entscheidungen über die Zukunft des Landes seien "so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst getroffen werden" müssten, sagte er. Den größten Teil seiner knapp halbstündigen Rede nutzte der Kanzler, um zu erläutern, mit welchem Programm er die Wähler überzeugen will, für die SPD zu stimmen. 

Merz: "Tag der Erleichterung"

Unionsfraktionschef Friedrich Merz nannte die Attacke auf Lindner in seiner Erwiderung eine "blanke Unverschämtheit". Im Gegenzug warf der Oppositionsführer Scholz vor, das Land in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte zu hinterlassen und auf EU-Ebene versagt zu haben. "Sie blamieren Deutschland", sagte er. Es sei "zum Fremdschämen", wie der Kanzler sich in der Europäischen Union bewege.

Merz warf dem Kanzler Versagen in dessen Regierungszeit vor. "Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Chance gehabt. Sie haben diese Chance nicht genutzt", sagte er. "Sie, Herr Scholz, haben Vertrauen nicht verdient." Den Tag der Vertrauensabstimmung bezeichnete er als "Tag der Erleichterung" für Deutschland. 

Lindner: Ampel hat keine Antworten gefunden

Auch der frühere Finanzminister Lindner trat vor der Vertrauensabstimmung ans Rednerpult. Er kritisierte die Wirtschaftspolitik des Kanzlers, die am tiefgreifenden Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit vorbeigehe.

Als Beispiel nannte der FDP-Politiker die gerade erst von Scholz vorgeschlagene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. "Der Prinz Karneval, der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um populär zu werden. Aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden." Die Ampel habe keine Antworten auf wirtschaftliche Fragen gefunden und deshalb bei der Bevölkerung an Zustimmung verloren, so Lindner.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte davor, mit Naivität auf die geplante Neuwahl und die Zeit danach zu blicken. "Alle tun so, als wäre danach alles besser", sagte der Kanzlerkandidat der Grünen. Schwierige Bündnisse, die von den Beteiligten die Fähigkeit zum Kompromiss erfordern, seien auch in Zukunft zu erwarten. Es gebe auch keine Garantie, dass Deutschland nach der Neuwahl zu einer schnellen Regierung kommen werde.

Regierung weiter im Amt

Die Bundesregierung ist auch nach der verlorenen Vertrauensfrage weiterhin im Amt. Erst nach dem Zusammentritt des neuen Bundestags ist sie nur noch "geschäftsführend" im Amt, bis eine neue Regierungskoalition steht.

Scholz' Regierung aus SPD und Grünen hat im Bundestag keine Mehrheit mehr. Die Ampelkoalition war am 6. November gescheitert, nachdem Scholz Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen hatte. Die FDP-Minister verließen daraufhin das Kabinett, mit Ausnahme von Volker Wissing. Er trat aus der FDP aus, behielt sein Amt als Verkehrsminister und ist aktuell zusätzlich auch Bundesjustizminister.

Es war das sechste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass der Bundestag über die Vertrauensfrage abstimmte.

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