Start der Vendée Globe: 70 Tage Einsamkeit
Boris Herrmann fürchtet die Einsamkeit an Bord der »Malizia - Seaexplorer«
Foto: Pierre Bouras / DPPI media / picture allianceDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
In (rund) 70 Tagen um die Welt: Mit der Vendée Globe startet die härteste Segelregatta der Welt am Sonntag in ihre zehnte Ausgabe. 34 Männer und sechs Frauen wagen sich an den »Mount Everest des Segelns« und setzen sich auf ihrem 45.000 Kilometer langen Weg auf einer rund 18 Meter langen Jacht vielen Gefahren aus. Zum zweiten Mal dabei ist der Deutsche Boris Herrmann. »Ich bin aufgeregter, als ich dachte. Es ist immer noch eine Reise ins Ungewisse«, sagt er. Alle Informationen zu dem Rennen im Überblick:
Die Vendée Globe wird von manchen als eines der letzten großen Abenteuer unserer Zeit gesehen. Die Segler und Seglerinnen müssen sich auf unterschiedliche klimatische Bedingungen einstellen, auf Herbst, Sommer und Winter. Sie müssen das Rennen allein und ohne Zwischenstopp bewältigen, und obwohl die Boote mit Autopiloten ausgestattet sind, schlafen die Männer und Frauen selten mehr als etwa 30 Minuten am Stück. In der ganzen Zeit ernähren sie sich nur von Astronautennahrung, also von kleinen nährstoffreichen Ernährungsdrinks. Und dann ist da noch die Sache mit der Einsamkeit.
Etwa 70 Tage haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen keinen persönlichen Kontakt zu ihren Familien, zu Freunden, zu irgendeinem Menschen. »Nach der letzten Vendée Globe habe ich versucht, einen Psychologen zu finden, der mir helfen sollte. Aber ich habe niemanden gefunden, der nachvollziehen konnte, was ich durchmache«, sagt etwa Boris Herrmann. Er habe bei der vergangenen Ausgabe aber herausgefunden, dass ihm hilft, einer Kamera von seinen Abenteuern zu erzählen. »Ich fühlte mich weniger allein, mehr mit der Welt verbunden, motivierter«, sagt Herrmann.
Hoher Seegang, Eisberge, Wale, verlorene Container, Mastbrüche, Kollisionen mit Fischerbooten oder im Meer treibenden Containern, oder gar Havarien: Auf die Segler und Seglerinnen lauern die unterschiedlichsten Gefahren. Unter enormer körperlicher und mentaler Belastung müssen sie Risiken und Nebenwirkungen immer wieder richtig einschätzen. Bis sie Hilfe erreicht, dauert es meist lang, die Schiffe sind in der Regel weit von der Küste entfernt. Und besonders heikel können Unfälle im Südpazifik sein. Das Seegebiet liegt fernab aller Schifffahrtsrouten.
In der Geschichte der Regatta gab es schon schwere Verletzungen und auch Todesfälle. 1992 verschwand der Amerikaner Mike Plant im Atlantik, in der ersten Nacht des Rennens ertrank der Brite Nigel Burgess. Die Technik hat sich seitdem weiterentwickelt, die Vendée Globe spielt aber weiterhin mit dem Reiz der Gefahr.
Die Regatta startet vor Hunderttausenden Fans in Les Sables-d’Olonne an der französischen Atlantikküste. Dann geht es am Kap der Guten Hoffnung vorbei in den australischen Sommer rund um das Kap Leeuwin bis zum chilenischen Kap Hoorn. Die Strecke führt von dort schließlich den Atlantik hinauf zurück nach Frankreich. Insgesamt ist die Reise mehr als 45.000 Kilometer lang, in der Realität haben die meisten Teilnehmenden in der Vergangenheit etwa 52.000 Kilometer zurückgelegt. Die Solisten müssen mit Wind, Wellen, Seegang und Eis zurechtkommen, der Weg der Boote ist deswegen von Umwegen und Kursänderungen gezeichnet.
Die Vendée Globe bietet spektakuläre Bilder in spektakulärer Umgebung
Foto: Antoine Auriol / Team Malizia / dpaDen Streckenrekord hält der Franzose Armel Le Cléac’h, der Les Sables-d’Olonne 2017 nach 74 Tagen, drei Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden erreichte. In diesem Jahr wird damit gerechnet, dass die Besten etwa 70 Tage für die Regatta benötigen.
Wer geht an den Start?Seit 1989 haben nur 200 Menschen das Abenteuer der Weltumseglung für Solisten gewagt, 114 Segler und Seglerinnen erreichten das Ziel. In diesem Jahr nehmen 34 Männer und sechs Frauen die Herausforderung an. Dazu gehört neben Herrmann auch die Deutsch-Französin Isabelle Joschke, beide waren vor vier Jahren schon dabei. Herrmann fiel nach eine Kollision mit einem Fischerboot in der letzten Nacht des Rennens auf Platz fünf zurück, Joschke hatte mit einem schweren Kielschaden aufgeben müssen.
Die Französin Violette Dorange ist mit 23 Jahren die jüngste Starterin der Geschichte. Ältester Teilnehmer ist Jean Le Cam mit 65 Jahren.
Isabelle Joschke möchte bei ihrem zweiten Start das Ziel erreichen
Foto: Sebastien Salom-Gomis / AFPBoris Herrmann gehört als Weltranglistenzweiter bei seinem zweiten Solo um die Welt zum Kreis der Favoriten. »Boris segelt jetzt auf sehr hohem Niveau. Er ist sehr konstant und ein Gegner, den man im Auge behalten muss«, sagte etwa Konkurrent Charlie Dalin, der selbst zu den Siegesanwärtern zählt. Herrmann sieht »sechs bis zehn Leute, die um den Sieg und die Podiumsplätze kämpfen können«. Sollte das Wetter rauer werden, könnten vor allem Yoann Richomme, Thomas Ruyant und Herrmann profitieren. Ihre Schiffe sind ohnehin auf das unruhige Südpolarmeer ausgerichtet. Bisher siegten ausschließlich Franzosen, Titelverteidiger Yannick Bestaven tritt erneut an. Es ist bis dato aber nur Michel Desjoyeaux gelungen, die Vendée Globe zweimal zu gewinnen.
Die Teilnehmenden segeln in Booten der Klasse Imoca. In den Hightechjachten steckt jahrelange Arbeit, bis zu 35.000 Stunden investieren die Teams in die Entwicklung eines neuen Boots, bis zu 50.000 Stunden Bauzeit werden benötigt. Herrmanns neues Boot »Seaexplorer« wurde 2022 vorgestellt. Es kann sich auf sogenannten Foils aus dem Wasser herausheben und damit schnell über das Wasser fliegen. Die Jachten sind mit Überwachungssystemen ausgestattet, aber alles ist darauf ausgerichtet, dass die Ladung möglichst leicht ist.