„Kontroverse“ bei Usyk vs. Dubois: Warum es ein Tiefschlag war

27 Aug 2023

Was wäre Boxen ohne Kontroversen? Auch bei der gestrigen Schwergewichts-WM zwischen Oleksandr Usyk und Daniel Dubois kam es zu einer – nun gibt es hitzige Debatten und ich will mit diesem Kommentar meinen Standpunkt vertreten.

Usyk - Figure 1
Foto BOXEN1.com
Gegen Weltmeister Usyk: Wurde Daniel Dubois des Sieges beraubt?

Gestern Abend verteidigte Oleksandr Usyk seine WM-Titel nach Version der IBF, IBO, WBA(Super) und WBO gegen WBA-Pflichtherausforderer Daniel Dubois durch KO in Runde 9. Insgesamt schickte Usyk den jungen Briten zweimal auf die Bretter, musste allerdings in der fünften Runde selbst zu Boden. Nach einem Schlag zum Körper, ging Usyk mit schmerzverzerrtem Gesicht runter.

Genau diese Szene wird nun im Netz kontrovers diskutiert, denn Referee Luis Pabon wertete den Schlag als Low Blow, also als verbotenen Tiefschlag. Für viele Boxfans und Boxer, die in meinen Augen die Regeln des Faustkampfes nicht vollumfänglich kennen, eine Fehlentscheidung. Stimmen werden sogar laut, man habe Dubois des Sieges beraubt, allen voran das Dubois-Lager. Was für ein Humbug.

Doch was ist ein Tiefschlag genau? Nachdem ich jetzt zahlreiche Kommentare im Netz gelesen habe, unter anderem auch von Boxern (herrjemine), komme ich zur Erkenntnis, dass sich bei vielen der Irrglaube hält, ein Tiefschlag (den es auch beim Frauenboxen gibt) gehe immer auf die Weichteile. Diese Annahme ist -Überraschung- falsch.

Usyk - Figure 2
Foto BOXEN1.com

Laut Regelwerk zählt alles als Tiefschlag, was den Unterleib eines Boxers oder einer Boxerin betrifft. Es spielt in unserem Fall dabei absolut keine Rolle, ob man die Kronjuwelen trifft oder nicht. Vielmehr muss entschieden werden, ob der Schlag unterhalb des Bauchnabels landet oder nicht.

Denn nicht der Hosenbund oder die „Gürtellinie“ ist die magische Grenze zwischen legaler und illegaler Trefferfläche. Es ist der Bauchnabel, der die Grenze bildet. Es spielt also ebenso keine Rolle, wo die Hose sitzt. Der Ringrichter hat aber vor und während des Kampfes darauf zu achten, dass die „Trunks“ auf oder unterhalb des Bauchnabels sitzen. Auch der Tiefschutz wird entsprechend kontrolliert, denn auch hier darf es maximal bis zum Bauchnabel gehen. Oft zeigt der dritte Mann im Ring sogar vor dem Gong zu ersten Runde, wenn sich beide Boxer in der Mitte treffen, wo sich die Linie befindet. Im Falle Usyk vs. Dubois tat er es nicht, allerdings konnte man es bei Ajagba vs. Kossobutskiy gut erkennen.

Im Falle von Oleksandr Usyk ist es, wie in Videos und auf Bildern zu sehen ist, jedenfalls Fakt, dass die Hose korrekt saß. Dubois Körpertreffer, bei dem dessen Handschuh mit fast der gesamten Fläche auf dem breiten Bund landete, war damit im illegalen Bereich und wurde meiner Meinung nach korrekt als Low Blow -also als Tiefschlag- gewertet. Und das auch dann, wenn er Usyks Weichteile nicht direkt getroffen hat.

Usyk - Figure 3
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Jetzt fragen sich sicher einige, warum Oleksandr Usyk dann mit schmerzhafter Mine auf den Boden ging und dort ganze vier Minuten blieb (bis zu 5 Minuten darf der Referee dem Boxer Zeit geben). Ich denke hier gibt es mehrere Erklärungen.

Die erste: der Schlag erfolgte relativ zentral, allerdings oberhalb der Weichteile. Wer in Biologie nicht gepennt hat und seinen eigenen Körper ganz gut kennt, sollte wissen, dass sich dort die Blase befindet. Außerdem ist der menschliche Unterleib voller Nerven(bündel) und damit entsprechend empfindlich. Es kann demnach durchaus sein, dass der starke Schmerz real war. Jeder der im Sparring in dieser Region schon mal unsanft erwischt wurde (bei den Kick- und Thaiboxern sollten die Frontkicks dafür bekannt sein), dürfte sich vorstellen können, wie sich das bei einem 105 kg schwerem Heavyweight in Form eines Daniel „Dynamite“ Dubois anfühlen muss.

Die zweite: Usyk ist nicht nur eine Katze im Ring, er ist vor allem ein Fuchs. Usyk ist ein smarter Boxer, er ist klug und sehr vorausschauend. Er hat die Sweet Science verstanden und weiß, dass Boxen wie ein Schachspiel ist. Er kennt die Regeln und macht sich diese zu Nutze. Nachdem er auf Tiefschlag angezeigt hatte und Referee Pabon innerhalb eines Bruchteils von Sekunden eine Entscheidung treffen musste und den Schlag als illegal wertete, hatte Usyk Zeit zur Regeneration. Der Ukrainer ist alles andere als blöd – ob er die Zeit von vier Minuten wirklich gebraucht hat, um sich zu erholen (Dubois hat natürlich die gleiche Zeit erhalten, um durchzuatmen), sei dahingestellt. Aber er hat es gemacht. Im übrigen: hätten Usyk die maximal möglichen fünf Minuten nicht gereicht, hätte er via TKO verloren.

Usyk - Figure 4
Foto BOXEN1.com

Ich bin mir zudem sicher, dass Usyk bei 8 wieder auf den Beinen gewesen wäre, hätte man den Schlag als Treffer und Usyks Fall auf den Boden als Knockdown gewertet. Vor gut 40.000 ukrainischen Fans wäre er so niemals aus dem Kampf ausgeschieden.

Dass der Körper Usyks vermutlich einziger wunder Punkt ist, wusste auch schon Anthony Joshua (im übrigen gab es hier auch einen als Low Blow gewerteten Schlag im Rematch). Dubois hat viel zum Körper gearbeitet und dort sicher auch „Schaden“ hinterlassen. Aber die Szenen im fünften Durchgang waren nicht regelkonform.

Ob die WBA, dessen regulärer Weltmeister Daniel Dubois bis zu seiner gestrigen Niederlage war, ein Rematch anordnet, darf durchaus bezweifelt werden, auch wenn Dubois Promoter Frank Warren bereits davon spricht. Luis Pabon hat in meinen Augen nichts am Kampfverlauf geändert. Selbst wenn es ein regulärer Knockdown gewesen wäre: Dubois hätte Usyk nicht finishen können.

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