Ursula von der Leyen: Ihr Leben, ihre Familie, ihre Musikkarriere

„Von der Leyen ist bei uns die schwächste Ministerin. Das reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden“, mit diesen Worten reagierte SPD-Politiker Martin Schulz am 2019 auf die überraschende Nominierung der Verteidigungsministerin als Kandidatin für den höchsten Posten der EU. Am Dienstagabend wählte eine knappe Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament von der Leyen zur Kommissionspräsidentin.

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Ihr Sprung als erste Deutsche seit Jahrzehnten an die Spitze der mächtigen Brüsseler Behörde war ein sensationelles Comeback für die zuvor umstrittene CDU-Politikerin. Nun gewinnt sie die Wiederwahl mit 401 von 707 Stimmen relativ klar. Ein Blick zurück.

Zentrale Themen von von der Leyen als Kommissionspräsidentin

In ihrer ersten Amtszeit war von der Leyen als Krisenmanagerin aufgetreten: erst in der Corona-Pandemie, dann im Ukraine-Krieg. Als Vorzeigeprojekt bewarb sie das Klimaschutzpaket „Green Deal“, mit dem sie Europa bis 2050 zum weltweit ersten klimaneutralen Kontinent machen will.

Unter dem Druck der Bauernproteste und ihres eigenen Lagers machte von der Leyen zuletzt Abstriche. So könnte das Aus für die Neuzulassung von Verbrenner-Pkw ab 2035 in ihrer zweiten Amtszeit wieder aufgeweicht werden. In der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist ein härterer Kurs zu erwarten - ein Zugeständnis an das rechte Lager, das bei den Europawahlen zugelegt hat.

Ihre einstige Beliebtheit in Umfragen ist dahin. Im Deutschlandtrend Anfang April sagten nur 35 Prozent, dass von der Leyen eine gute Kommissionschefin abgibt. 55 Prozent waren mit ihrer Arbeit weniger bis gar nicht zufrieden.

Als Verteidigungsministerin Skandale und Pannen verantwortet

Auch innenpolitisch hatte die heute 65-Jährige harte Zeiten erlebt. Als Verteidigungsministerin hatten verschiedene Affären sie enorm unter Druck gesetzt. Stichworte sind die Kostenexplosion bei der Sanierung der maroden „Gorch Fock“, die Berater-Affäre um den sehr teuren Einsatz externer Fachleute bei der Modernisierung der Bundeswehr, die schlechte Einsatzbereitschaft militärischen Großgeräts oder Pannen der Flugbereitschaft.

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Die 2015 deutsche Verteidigungsministerin bei einem Termin in Pakistan. Archivfoto: dpa

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Politik liegt in der Familie

Außerhalb Deutschlands wurde sie zunächst wohlwollender betrachtet. Für die Position als Kommissionspräsidentin – eine Art EU-Regierungschef – bringt sie Weltläufigkeit und internationale Verbindungen mit. Und eine Bilderbuchbiografie: Von der Leyen wurde 1958 in Brüssel geboren – in dem Jahr, als Walter Hallstein als erster und letzter Deutscher Chef der Kommission wurde. Für diese Kommission arbeitete von der Leyens Vater, der spätere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht. Die Tochter ging auf die Europaschule. Sie spricht fließend Französisch und Englisch.

Ursula von der Leyen mit ihrem Vater Ernst Albrecht. Foto: dpa/Jochen Lübcke Foto: dpa/Jochen Lübcke

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Abischnitt von 0,7

Von der Leyen gilt als diszipliniert und kämpferisch. Mit einem Notendurchschnitt von 0,7 im Abitur war sie einst Musterschülerin. Nach einem Abstecher in die Wirtschaftswissenschaft – ohne Erfolg, wie von der Leyen selbst sagt – folgte das Medizinstudium mit Doktortitel und mit Mitte 40 schließlich die Karriere in der Politik.

Ursula von der Leyen 2003 mit ihrem Mann Heiko und den sieben Kindern. Foto: dpa/Wolfgang Weihs Foto: dpa/Wolfgang Weihs

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Nach Anfängen als Sozialministerin in Niedersachsen wird die promovierte Ärztin 2005 Bundesfamilienministerin und 2009 Arbeitsministerin. 2013 übernimmt sie als erste Frau den Job der Verteidigungsministerin – und hält sich auf diesem Posten trotz aller Skandale länger als viele ihrer politischen Widersacher vorausgesagt hatten. 2010 schien sie bereits auf dem Weg zur ersten Bundespräsidentin, was sich jedoch zerschlug.

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Was Sie noch nicht über Ursula von der Leyen wussten

Sie lebte unter Pseudonym in London: 1978 ging die damalige Ursula Albrecht zum Studieren nach London. Angeregt wurde der Ortswechsel durch ihren Vater, zu dem Zeitpunkt niedersächsischer Ministerpräsident, und das Landeskriminalamt. Die Bedrohung durch die RAF sei damals zu stark gewesen, um weiter in Göttingen zu studieren, erzählte von der Leyen in einem Interview mit der "Zeit" 2016. Statt mit Personenschutz in Deutschland weiter zu studieren, entschied sich die damals 20-Jährige für ein Leben in Großbritannien – und einen neuen Namen: Rose Ladson. Den Nachnamen lieh sie sich von ihrer Urgroßmutter aus South Carolina. "Ich habe deutlich mehr gelebt als studiert", sagt sie über ihre Zeit in London.

Privatleben ohne Brüche: „Röschen“

Auch ihr Privatleben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung ohne Brüche aus: 1986 heiratete sie den Medizin-Professor und Unternehmer Heiko von der Leyen, mit dem sie sieben Kinder hat. Ihr Ehemann hält sich öffentlich zurück, gemeinsame Auftritte sind selten. Das war in der politischen Karriere ihres Vaters noch anders, da wurde die gesamte Familie mit eingespannt.

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Ernst Albrecht und seine Frau Heide-Adele mit ihren musizierenden Kindern. Foto: dpa/Wolfgang Weihs Foto: dpa/Wolfgang Weihs

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Ursula, die einzige Tochter neben fünf Brüdern, wurde liebevoll Röschen genannt, wie ihre Mutter im NDR-Fernsehen erzählte, nachdem die Familie dem Vater und damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ein Ständchen gebracht hatte.

2007 zog von der Leyen gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern zu ihrem Vater, der an Alzheimer erkrankt war. In der Öffentlichkeit sprach die Politikerin immer wieder über die Krankheit und wie sich das Leben der Familie durch die Diagnose veränderte. "Die größte Last liegt auf den Schultern meines Mannes", sagte von der Leyen 2013 bei "Hart aber fair". "Er ist, wenn ich jetzt im Studio sitze, zu Hause. Wenn mein Vater Hilfe braucht, ist er der Erwachsene, der jetzt da ist."

Für sie sei am traurigsten, dass er ihren Spitznamen aus Kinderzeiten vergessen habe, so von der Leyen 2013 im Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“: „53 Jahre war ich für meinen Vater: ‚Röschen‘, Röschen Albrecht. Aber Röschen gibt es nicht mehr, Röschen ist weg. Er fragt nur noch ‚Wann kommt Ursula nach Hause?‘ Und dann sag ich: ‚Ich bin doch hier.‘“ Ernst Albrecht starb im Dezember 2014.

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Ihre Karriere als Sängerin: Gemeinsam mit ihrer Familie veröffentlichte sie 1978 zwei Lieder auf einer Schallplatte für den guten Zweck. "Wohlauf in Gottes schöne Welt" und "Alle Birken grünen in Moor und Heid" sangen Mutter und Vater Albrecht gemeinsam mit einem Teil ihrer Kinder.

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Zu Beginn ihrer Karriere in der Bundespolitik schien die siebenfache Mutter das Bild der konservativen Familienpolitikerin perfekt auszufüllen – auch wenn zu dieser Zeit ihr Ehemann immer mehr private Aufgaben übernahm. In der Öffentlichkeit gab sich Ursula von der Leyen betont offen, unvergessen ihr Auftritt bei „Wetten dass..?“ im Dezember 2008. Spontan stieg sie aus ihren High Heels hinein in eine Abfalltonne. Nach einer kurzen Fahrt in der Mülltonne befreite der australische Schauspieler Hugh Jackman – damals amtierender „Sexiest Man Alive“ – die 1,61 Meter große Politikerin und trug sie zurück zum berühmten Sofa der TV-Show, wo von der Leyen sich überwältigt auf die Seite fallen ließ.

Foto: dpa/Patrick Seeger Archivfoto: dpa/Patrick Seeger

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Lange galt sie als Nachfolgekandidatin Nummer eins für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), bevor Untersuchungen um Plagiate in ihrer Dissertation und Skandale im Verteidigungsministerium ihrem Ansehen schadeten.

Überraschend nach Brüssel gewechselt

Ein Überraschungscoup brachte sie nach Brüssel: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zauberte von der Leyen 2019 bei einem EU-Gipfel als neue Kommissionschefin aus dem Hut. Kanzlerin Angela Merkel konnte ihre angeschlagene Verteidigungsministerin wegbefördern.

In Brüssel erlaubte sich von der Leyen kaum Patzer. Ein Nachspiel hatten allerdings die Impfstoff-Deals, die sie mit Pharmariesen wie Pfizer in der Corona-Pandemie abschloss. Die europäische Staatsanwaltschaft geht möglichen Unregelmäßigkeiten nach, ein belgischer Lobbyist klagt zudem auf Offenlegung der Geheimverträge und der Kosten für die Steuerzahler.

Ihrer Vorstellung von einer „geopolitischen Kommission“ kam von der Leyen mit ihrer bedingungslosen Unterstützung für die Ukraine im russischen Angriffskrieg näher. Zu US-Präsident Joe Biden werden ihr enge Beziehungen nachgesagt.

Dessen Widersacher Donald Trump kennt von der Leyen noch aus seiner ersten Amtszeit als US-Präsident. Trotz aller Gegensätze scheint Trump sie zu schätzen. Beim Wirtschaftsforum in Davos lobte er sie 2020 als „hoch respektierte Frau und harte Verhandlungsführerin“. Das könnte ihr nützen, sollte Trump im November wiedergewählt werden.

Mit Material von dpa und AFP

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