Der Tag, als in Kassel Autos schwammen: Schäden sind bis heute ...

23 Jun 2024
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Stand: 22.06.2024, 06:00 Uhr

Von: Claudia Feser

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Endlich raus aus den Containern: Seit dem Unwetter hat das Team um Sarah Becker von Wohnwagen Becker in Ihringshausen in Containern gearbeitet. In dieser Woche war der Umzug in die sanierte Firmenzentrale. © Claudia Feser

Vor einem Jahr war Land unter in Kassel: Eine Unwetterzelle entlud sich mit Hagel und Starkregen und hat Schäden in Millionenhöhe hinterlassen.

Unwetter - Figure 1
Foto HNA.de

Kassel – Der 22. Juni 2023 ist einer jener Tage, von denen die meisten wissen, wo sie waren. Am 22. Juni 2023 schwammen Autos durch Kasseler Straßen, denn es gab das schlimmste Unwetter der letzten Jahre über der Stadt und Teilen des Landkreises Kassel.

Dass an diesem sommerlichen Donnerstag das Wetter umschlagen würde, hatten die Meteorologen vorhergesagt. Dass sich eine so gewaltige Gewitterzelle genau über der Stadt und den umliegenden Gemeinden entladen würde, war dann doch für Viele überraschend. Am frühen Nachmittag waren erste dunkle Wolken am Himmel, sie brauten sich zu einer dunklen Masse zusammen, und gegen 16.30 Uhr brach die Naturgewalt los. Eine halbe Stunde lang – danach waren Stadt und Landkreis in weiten Teilen verwüstet.

Die Jalousien sind immer zu: An einem Wohnhaus an der Hohnemannstraße in Kirchditmold ist der Hagelschaden auch ein Jahr später noch deutlich zu sehen. Es ist längst nicht das einzige Haus in Kassel. © Daria NeuStarkregen und Hagel trafen Kassel vor einem Jahr schwer

Es war ein sehr heftiger Starkregen, der von Orkanböen in die Stadt gepeitscht wurde. Es goss wie aus Riesenkübeln und hagelte dicke Körner, manche waren größer als Tischtennisbälle. Sie prasselten auf Stadt und Landkreis ein, zerschlugen Scheiben von Wintergärten, Gewächshäusern, Wohnmobilen, Dacheindeckungen und Hausfassaden, demolierten die Karosserien von Autos, die unter freiem Himmel geparkt waren. Abschüssige Straßen wurden zur Flüssen, geparkte Autos wurden vom strom mitgerissen, hunderte Keller liefen voll. Hinzu kamen viele von Orkanböen umgestürzte Bäume, die Straßen blockierten. Polizei und Feuerwehr wurden zu 1000 Einsätzen gerufen.

Auch im Bergpark Wilhelmshöhe hat das Unwetter vor einem Jahr zugeschlagen. Zuletzt wurden die restlichen Schäden an der Glasfassade des Gewächshauses in Ordnung gebracht. © Daria NeuEin Jahr nach dem schlimmen Unwetter in Kassel

Auch die Parks und Gärten in und um Kassel litten extrem unter dem Unwetter. Hessen Kassel Heritage (HKH) berichtete seinerzeit von massiven Glasschäden, zerstörten Pflanzen, nicht begehbaren Wegen und abgebrochenen Ästen. Diese waren beispielsweise im Bergpark noch länger an vielen Stellen zu sehen. Rund 30 Bäume waren damals laut HKH durch das Unwetter umgestürzt.

Unwetter - Figure 2
Foto HNA.de

Auf Anfrage berichtet Pressesprecherin Lena Pralle, dass Anfang des Jahres die Glasreparaturen an den Gewächshäusern im Bergpark abgeschlossen wurden. Damit seien mittlerweile alle Schäden beseitigt.

Viele Autos von Unwetter schwer getroffen

Es gab kaum einen Autobesitzer und Unter-freiem-Himmel-Parker in und um Kassel, der keine Dellen in seinem Auto hatte. Wer in den ersten Wochen nach dem Unwetter in der Stadt unterwegs war, sah viele Autos mit weißen oder gelben Kringeln auf Motorhauben und Autodächern, manche waren übersät davon. Hagelzentrums-Experten, die ihre Pop-Up-Werkstätten mit Riesenscannern in Kassel aufgebaut hatten, markierten mit den Kringeln die Hagelschäden. Und wer meinte, dass sein Auto glücklicherweise unbeschadet davon gekommen war, dem zeigten die gescannten Bilder im Hagelzentrum fürs bloße Auge kaum sichtbare Dellen in der Karosserie. Der hochauflösenden Technik entging nicht kein Hagelschaden.

Die meisten bekringelten Autos sind mittlerweile im Stadtgebiet verschwunden, nur hier und da taucht mal eins am Straßenrand auf. Gleichwohl sind mit mehr oder weniger kleinen Dellen besprenkelte Motorhauben und Autodächer noch immer zu entdecken. Es sind meistens ältere Modelle, insbesondere Kleinwagen, bei denen die Schäden (noch) nicht ausgebessert wurden.

Laut Kfz-Gutachter Florian Focke waren bereits zum Jahreswechsel so gut wie alle Schäden abgearbeitet. In den VW-Autohäusern von Glinicke Kassel, Hessenkassel und Baunatal wurden laut Unternehmen in der vergangenen Woche die letzten Hagelschäden an Fahrzeugen repariert. Insgesamt wurden an den drei Standorten 1800 Fahrzeuge mit durchschnittlicher Schadenssumme von 5500 Euro repariert, was ein Gesamtvolumen von etwa 10 Millionen Euro ergibt. Im Audi Zentrum Kassel sind bereits alle Kundenfahrzeuge repariert, dort lag der durchschnittliche Schaden laut Glinicke bei etwa 6000 Euro. Insgesamt waren dort rund 1200 Fahrzeuge betroffen – eine Schadenssumme von 5,6 Millionen Euro.

Wohnwagen-Firma aus Kreis Kassel mit 5 Millionen Euro Schaden durch Hagel getroffen

Wohnwagen Becker aus Ihingshausen ist sicherlich eines der Privatunternehmen mit der höchsten Schadenssumme: Auf fünf Millionen Euro beläuft sich der Sachschaden durch den Hagelschlag an der Firmenzentrale und den 277 Wohnmobilen und Wohnwagen auf der Freifläche. Kein Fahrzeug blieb unbeschadet.

Unwetter - Figure 3
Foto HNA.de

Hagelkörner, manche groß wie Tischtennisbälle, fielen beim Unwetter am 22.6.2023 vom Himmel. © Sarah Becker/nh

In dieser Woche, also ein Jahr nach dem Unwetter, konnte die Belegschaft aus den neun Behelfscontainern in die kernsanierte Zentrale einziehen. Hinter Geschäftsführerin Sarah Becker liegt ein Jahr, „das schlimmer war als die Corona-Pandemie“. Insbesondere die Versicherungsabwicklung sei herausfordernd gewesen. Von den 277 beschädigten Fahrzeugen konnten fast alle verkauft werden; nur vier sind noch zu haben.

Die Bilder nach dem Unwetter hat Geschäftsführerin Becker immer noch vor Augen: Der Hagel hatte das Dach zerstört, die Firmenzentrale stand unter Wasser, die aufgeweichten Platten fielen von der Decke, auf Schreibtische und Unterlagen. „Auch aus den Steckdosen lief das Wasser.“ Alle packten mit an, sodass Akten und Mobiliar gerettet werden konnte. „Zum Glück hat unser Server nichts abbekommen“, sagt Sarah Becker. Neben der Reparatur und dem Verkauf der beschädigten Fahrzeuge mussten in den vergangenen Monaten auch die Wohnwagen und -mobile der Kunden repariert werden, die vom Hagel demoliert worden waren – eine logistische Herausforderung, denn: „Wir haben beispielsweise 400 Dachhauben bestellt, die muss aber erst mal lagern können.“

Ein Jahr nach dem Unwetter über Stadt und Kreis Kassel sind Schäden noch immer sichtbar

Die Reparaturen der Hagelschäden im Daimler-Truck-Werk dauern immer noch an, allen voran die Kantine im Industriepark Mittelfeld, die teilweise zerstört wurde. Mittlerweile versorgt sie die Mitarbeiter, gegessen werden muss vorübergehend in anderen Räumen, teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit.

Standortleiter Hauke Schuler lobt die Mitarbeitenden: „Die Belegschaft ist professionell mit den Schäden aus dem Hagelunwetter umgegangen: Jeder nimmt Rücksicht auf die andauernden Instandsetzungsmaßnahmen.“ Die Produktion laufe neben den Sanierungsarbeiten reibungslos weiter.

In Stadt und Landkreis seien so gut wie alle Dachdecker mehr als ausgelastet, sagt Peter Bärwald, stellvertretender Innungsmeister der Dachdecker-Innung Kassel. Wegen der Dringlichkeit der Unwetterschäden seien auch Dachsanierungen verschoben worden. „Die Anfragen nach Sanierungen und Instandsetzungen haben sich gehäuft, sehr wahrscheinlich, weil viele durch das Unwetter gemerkt haben, dass man doch mal was tun sollte.“

Laut Bärwald müssten Kunden mit Wartezeiten von bis zu zwölf Monaten rechnen. Ein Problem dabei sei der Mangel an Fachkräften. Peter Bärwald prognostiziert: „Sollte ein weiteres Unwetter Kassel Stadt und Land ereilen, wird es vielen Dachdeckern nicht mehr möglich sein, all die Schäden zu bearbeiten.“ (Claudia Feser, Daria Neu Und Johannes Rützel)

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