1. FC Union Berlin: „Alles Andras“ – die Fan-Kolumne Teil 5: Ode an ...

22 Sep 2023

Statt mir Gedanken über das Hoppenheim-Heimspiel zu machen oder wie alle anderen über Madrid zu schreiben, hier zum Einstieg eine Erkenntnis: Ich bin ein alter Sack. Sagt mein Sohn. Weil ich die TV-Werbung nicht mehr verstehe. Weil ich Schallplatten höre und auch kaufe. Weil Aftenposten und Klassekampen morgens in Oslo vor unserer Wohnungstür statt auf dem iPad liegen. Weil ich diese Kolumne lieber in der Druck- als in der Online-Version lesen würde.

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Foto Berliner Zeitung

Daher freue ich mich auch, dass vorgestern, am 20. September, ein Köpenicker Kulturgut seinen 26. Geburtstag feierte: das gedruckte Union-Stadionheft der Programmierer. Das viel größere Jubiläum zum Heimspiel gegen Leverkusen am 29. April dieses Jahres wurde außerhalb der Leserschaft leider kaum bemerkt. Da erschien nämlich das 500. Union-Stadionheft in der jetzigen Version.

Privat

Zur Person

Andras Ruppert (55), in Berlin-Lichtenberg aufgewachsen, ist studierter Volkswirt und weltweit als Strategieberater tätig. Seit mehr als 40 Jahren Union-Fan mit Dauerkarte, wohnt er seit 20 Jahren mit Frau und Sohn in Oslo, Norwegen. Er ist Mitgründer des norwegischen Union-Fanklubs Bamsegjengen, bekennender Metalhead, Geschichtsnerd und Münzsammler. Alle 14 Tage schreibt er für die Berliner Zeitung über seinen Herzensverein.

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Zur Erinnerung: 1997 kämpfte der 1. FC Union Berlin gegen die Pleite und war wohl nicht mehr in der Lage, ein vernünftiges Stadionheft zu produzieren. Es war dünn, A4, und oft für mehrere Spiele gemacht. Wie so häufig suchte man unter den damals kaum 1000 Mitgliedern nach Freiwilligen, die das Stadionheft in Eigenregie weiterführen wollten. Vier Leute fanden sich als „Programmierer“ zusammen – und machen den Job bis heute. Typisch Union.

Union - Figure 2
Foto Berliner Zeitung
Für eine Mark auf dem Schwarzmarkt verhökert

Sicher, Stadionhefte gab es auch früher bei Union. Ich bin mit den roten Heften mit schwarz-weißem Titelbild aufgewachsen, A5 mit acht Seiten in sozialistischem Duktus. Kostete 20 Pfennig. Gab immer zu wenige davon. Man konnte zehn Stück auf einmal kaufen, wenn man zeitig da war. Auf dem Schwarzmarkt zwischen den Aufgängen zur Gegengerade wurden diese dann nachfrage-adjustiert und völlig unsozialistisch für eine Mark verhökert. Die 80 Pfennig Gewinn pro Stück ergaben eine Bockwurst, ohne Brot, oder eine Flasche Hell-Bier mit Pfand.

Die Titelseiten der Stadionhefte bei Union und Hertha in den 1970er-Jahren sahen sich übrigens zum Verwechseln ähnlich. Hat die Stasi da geschlafen? Wäre vielleicht eine Forschungsarbeit wert: „Das Union-Stadionheft bis 1989 als Instrument der politischen Erziehung der fußball-interessierten Massen“. Irgendein Soziologie/Politologie-Student mit Promotionsambitionen, den das inspiriert?

Das Jubiläum des Union-Heftes der Programmierer ist bemerkenswert, da die meisten Vereine keine Stadionhefte mehr drucken. Hertha hat den Druck bereits 2014 eingestellt, Bayern folgte 2018. Mittlerweile ernte ich an den meisten Stadien einen verständnislosen Blick auf die Frage, wo es das Stadionheft gibt. Warum nur? Und ja, Kulturgut!

Union - Figure 3
Foto Berliner Zeitung
Spitzenplatz vor Dresden und Nürnberg

Viele Kinder haben mit Stadionheften lesen gelernt oder Lust zum Lesenlernen bekommen. Hilft bei der heutigen Dicke des Heftes auch beim Sitzen während der Halbzeit. Gesammelt als physische Erinnerung, wurden und sind zumindest bei Union die Inhalte Gesprächsstoff auf Schulhof und Arbeitsplatz, sind immer auch ein Blick in die Geschichte, nicht nur des Fußballs.

Übrigens: Das Union-Stadionheft gehört qualitativ wirklich zu den besten in Deutschland aus Sicht der lesenden Fans. Die Deutsche Programmsammler-Vereinigung führte zusammen mit stadionheft.de über viele Jahre die Wahl des besten Stadionheftes der 1./2./3. Liga durch. Zwischen der Übernahme durch die Programmierer 1997 und der letzten Wahl 2020 ging das Union-Stadionheft Ligen-übergreifend insgesamt neunmal als Sieger hervor – Spitzenplatz vor Dresden und Nürnberg!

Herzlichen Glückwunsch liebe Programmierer – und bitte noch viele Jahre weiterdrucken! So wie heute zum Spiel gegen Hoppenheim.

Eisern!

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