Zum Tod von Tom Verlaine: „Stairway to Heaven“ des Punks

Tom Verlaine

Fast im Minutentakt schlagen die Kondolenz-Tweets ein: von Blondie, den Bangles, den Charlatans, von Steve Albini, Steve Wynn, von Robert Forster, der erst kürzlich im „Guardian“ eine Liebeserklärung an Tom Verlaines Band Television abgegeben hat: „Mir war klar, dass ich nie im Leben so einen raffinierten Song wie ‚Venus‘ würde schreiben können. Aber ich wollte es gerade deshalb versuchen.“ Und Robert Forster hat Tom Verlaine in einen der ungemütlichsten Go-Betweens-Songs eingebaut, in „When She Sang About Angels“, der sich über die Manierismen und die Eitelkeit einer Patti Smith mokiert, die gern über den Star Kurt Cobain singe, aber nicht über den Freund und Weggefährten Tom Verlaine, der dies viel eher verdient hätte.

Patti Smiths Ehemann Fred Smith hat Tom Verlaine seit den frühen Siebzigerjahren als Musiker und Produzent begleitet, ihre Tochter hat Verlaines Tod mit 73 Jahren publik gemacht: Es ist also doch ein enger Freund der Familie verstorben. Als das Debüt von Verlaines Band Television erschien, war man sich allseits sicher, dass hier die nächsten großen US-Rockstars am Start sind. Keine der New Yorker Bands aus dem Umfeld des CBGB-Clubs hatte eine vergleichbare Reife wie diese schlaksigen Jungs, die mit staunenden Augen und staunender Musik ihre Wahlheimat New York reflektierten.

Lieder, fünfmal so lang wie die der Ramones

Einerseits waren da spitze, glasscherbenscharfe Gitarrenriffs und ebensolche Texte; andererseits erlaubte sich Verlaine technisch anspruchsvolle Soli, die man eher von den Superstars der Sechziger erwartet hätte, und Lieder, die fünfmal so lang waren wie der längste Song der Ramones. Robert Forster bringt es auf den Punkt: „Das waren die ‚Stairway to Heaven‘ des Punk.“ Vielleicht lag es am dünnen Gesang Verlaines, der daraus auch eine Art Markenzeichen machen wollte, wie es schien; vielleicht war es diese Uneindeutigkeit, die Blondie oder Talking Heads zu Beginn ihrer Karriere vermieden, welche aus Television und später Tom Verlaine „nur“ einen Musiker für Musiker werden ließen, einen Geheimtipp, einen Namen für die Eingeweihten – und schließlich einen fast komplett Vergessenen.

Dabei sind es gerade die meisten seiner Soloplatten, die Tom Verlaine die Zeiten haben überdauern lassen, von dem einen oder anderen Soundgimmick abgesehen: ein eigenwilliges Songwriting, eine natürliche technische Finesse, ein Mut zur Extravaganz und zum immer noch fast kindlichen Staunen über die Welt. Sollten Sie – wie ich – lange nicht mehr an Tom Verlaine gedacht haben, hören Sie heute doch wieder einmal in sein Instrumental-Album „Warm & Cool“ hinein oder in „Marquee Moon“, das Debütalbum von Television. Sie werden mehr zu sehen bekommen als „den schönsten Hals der Rockgeschichte“, wie Patti Smith einst gewitzelt hat. Sie sehen eine versunkene Zeit heraufleuchten, erhaschen einen Blick auf ein unerfülltes Musikerleben.

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