Deutschlands größter Stahlproduzent: Thyssenkrupp Steel will 5000 ...
Deutschlands größter Stahlhersteller will Produktionskapazitäten im Ruhrgebiet senken, Personal abbauen und einen Standort schließen. Betriebsbedingte Kündigungen will das Unternehmen vermeiden.
25.11.2024, 17.14 Uhr
Hochofen von Thyssenkrupp Steel in Duisburg
Foto: Christopher Neundorf / EPADieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Bei Deutschlands größtem Stahlhersteller Thyssenkrupp sollen bis zum Jahr 2030 etwa 5000 Stellen in der Stahlproduktion und der Verwaltung der Stahlsparte wegfallen. Weitere 6000 Arbeitsplätze sind von Ausgliederungen und Teilverkäufen betroffen, die Thyssenkrupp plant. Das geht aus den Eckpunkten für ein Zukunftskonzept hervor, die der Konzern am Montag vorgestellt hat.
Demnach soll die Produktionskapazität von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) auf 8,7 bis 9,0 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr zurückgehen. Zum Vergleich: Bislang sind die Stahlwerke an Rhein und Ruhr auf eine Jahresproduktion von 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt; sie beschäftigen knapp 27.000 Menschen.
Das Unternehmen wolle betriebsbedingte Kündigungen vermeiden, heißt es in der Mitteilung. »Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst und wollen für möglichst viele unserer Beschäftigten langfristige Perspektiven schaffen«, wird TKSE-Chef Dennis Grimm darin zitiert.
Ein Weiterverarbeitungsstandort in Kreuztal-Eichen im Siegerland in Nordrhein-Westfalen soll geschlossen werden. Außerdem will Thyssenkrupp die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg verkaufen, an denen sie gemeinsam mit den Konkurrenten Salzgitter und Vallourec beteiligt sind. Der Hamburger Investor CE Capital Partners hat Interesse an HKM signalisiert. Sollte der Verkauf allerdings scheitern, droht HKM ebenfalls die Schließung.
Mit den Einschnitten will Thyssenkrupp auf Probleme auf dem Stahlmarkt in Europa reagieren: Die Werke haben derzeit nur wenige Aufträge, zum Beispiel aus der wichtigen Kundengruppe der Autoindustrie; die Stahlpreise sind im Keller. Die Branche leidet unter Überkapazitäten, Thyssenkrupp verweist auch auf »steigende Billigimporte, insbesondere aus Asien«.
Hinzu kommt der milliardenschwere Umbau weg von Hochöfen, die Eisenerz mithilfe von Kohle zu Roheisen verarbeiten, aus dem dann der Stahl wird – ein sehr klimaschädlicher Prozess. Thyssenkrupp lässt in Duisburg eine sogenannte Direktreduktionsanlage bauen, die Roheisen mit Erdgas und langfristig mit Wasserstoff erzeugen soll. Allerdings verteuert sich das Vorhaben, das der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen mit bis zu zwei Milliarden Euro fördern wollen. Auch bleibt grüner Wasserstoff in Deutschland vorerst knapp und teuer.
Thyssenkrupp halte an dem Plan fest, die Direktreduktionsanlage fertigzustellen, teilte das Unternehmen mit. Gleichzeitig führe man »konstruktive Gespräche mit den zuständigen Stellen«, um die Wirtschaftlichkeit dieses Großprojekts trotz der Widrigkeiten sicherzustellen.
Die Direktreduktionsanlage soll der Mitteilung zufolge zwei der vier Hochöfen von Thyssenkrupp in Duisburg ersetzen. Perspektivisch könnte ein weiterer Hochofen »ausgetauscht« werden, zum Beispiel durch einen strombetriebenen Elektrolichtbogenofen, teilt das Unternehmen mit. Dies werde man aber »erst zu einem späteren Zeitpunkt« und unter den dann gültigen Rahmenbedingungen entscheiden.
Der Vorstand von Thyssenkrupp Steel Europe will die Eckpunkte in den kommenden Wochen mit dem Aufsichtsrat und den Arbeitnehmervertretern besprechen.
Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, kritisierte die Abbaupläne am Montag als »Kampfansage« an die Belegschaft. »Wir erwarten klare Aussagen zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und zum Erhalt aller Standorte«, so Kerner. »Was es jetzt braucht, ist ein mutiger Plan nach vorn, keinen fantasielosen Kahlschlag.« Kerner ist zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssenkrupp AG.
Auch die Betriebsräte von TKSE kritisieren in einer Erklärung, dass der Mutterkonzern offenbar »den Stahlbereich so billig wie möglich verselbstständigen« wolle. Sie sprechen von einem »brutalen Kahlschlagsplan«, den man so nie gesehen habe. Ziel des Thyssenkrupp-Vorstands sei, »den Stahl einzustampfen«, so die Arbeitnehmervertreter. Die Antwort auf schwierige Rahmenbedingungen könne aber nicht sein, »den größten deutschen Stahlproduzenten kurz und klein zu schlagen«. Thyssenkrupp-Chef Miguel López will nach Ansicht der Betriebsräte »die TKSE billig an Daniel Křetínský verschenken«.
Der Thyssenkrupp-Konzern versucht seit Jahren, sich von der krisenanfälligen Stahlsparte zu lösen und sich stattdessen auf den Werkstoffhandel, das Autozuliefergeschäft und den Anlagenbau zu konzentrieren. Im Mai ist der Energiekonzern EP Group des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský zu 20 Prozent bei TKSE eingestiegen. Křetínský soll in einem zweiten Schritt auf 50 Prozent aufstocken, doch dafür gibt es bislang keinen konkreten Hinweis.
Am Wochenende war bekannt geworden, dass ein unabhängiges Sanierungsgutachten eine positive Fortführungsprognose für TKSE sieht; allerdings betrachtet das Gutachten nach dem Standard IDW-S-11 nur einen Zeitraum von zwei Jahren. Thyssenkrupp hat der Stahltochter daraufhin eine Finanzierungszusage für die kommenden zwei Jahre gegeben.
Zuvor hatte es einen großen Streit über die künftige Aufstellung und Finanzierung von TKSE gegeben. Im Sommer traten der langjährige Stahlchef Bernhard Osburg und zwei weitere Vorstandsmitglieder sowie Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel und drei weitere Aufsichtsratsmitglieder zurück.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bezeichnete die Ankündigungen von Thyssenkrupp am Montag als »Schock für Tausende Beschäftigte und ihre Familien« und als abermals schlechte Nachricht für den Industriestandort Deutschland. »Der Stellenabbau muss sozialverträglich erfolgen – mit Perspektiven für die Betroffenen«, appellierte Wüst an das Management. »Die Landesregierung hat die klare Erwartung, dass es zu keinen betriebsbedingten Kündigungen kommt.«
Der Bundesvorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, kritisierte, dass die geplanten Einschnitte über das hinaus gingen, was aus seiner Sicht als Reaktion auf globale Überkapazitäten notwendig wäre. »Mir ist nicht klar, wie dieser Abbauplan mit der Zusicherung einhergehen soll, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten«, so der Duisburger Bundestagsabgeordnete. »Und genauso wenig scheinen mir diese Pläne eine Antwort auf die Frage zu sein, ob am Ende und dauerhaft eigentlich noch ein funktionierendes, integriertes Stahlunternehmen steht.«