Thomas Gottschalk: "Ich habe", sagt Gottschalk, "ja wenig ...

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© Dieter Mayr/​Agentur Focus

Thomas Gottschalk - Figure 1
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In einem Kino im linksgrünen Hamburger Stadtteil Ottensen feiert Thomas Gottschalk die Premiere seines neuen Buchs – und Zeiten, die längst vorbei sind. Ein Ortstermin

17. Oktober 2024, 6:08 Uhr

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Eine Lesung im strengen Sinne ist das nicht. Auf der Bühne des ausverkauften Zeise-Kinos in Hamburg-Ottensen sitzt Thomas Gottschalk, 74 Jahre alt, vor sich ein Stapel mit Exemplaren seines neuen Buches, und verspricht: "Vor euch sitzt kein mürrischer alter Mann." Natürlich nicht. 

Gottschalk, von dem Harald Schmidt einst behauptete, er habe das Frechsein im deutschen Fernsehen erfunden, weiß auch im fortgeschrittenen Rentneralter, dass seine Rolle die des Spaßvogels ist – auch wenn der Inhalt des Buchs tatsächlich eher mürrisch klingt. Ungefiltert. Bekenntnisse von einem, der nicht den Mund halten kann, heißt das Buch, das er hier präsentiert. Eine Autobiografie ist es nicht, die hatte Gottschalk schon 2015 unter dem Titel Herbstblond veröffentlicht. Es ist eher eine Abrechnung mit einer Welt, die ihn – den harmlosen, bloß ein bisschen unbedacht losplappernden Entertainment-Superstar – nun als alten weißen Mann dastehen lässt, der in seinen Sendungen die Frauen betatscht und gegen das Gendern grantelt. 

Ein Zerrbild natürlich – um das darzulegen, ist der Autor nun persönlich erschienen, vor ausverkauftem Saal. "In der Regel habe ich bunte Seifenblasen produziert", liest er aus seinem Buch. "Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber früher oder später zerplatzen diese bunten Bläschen. Sie sind zu nichts anderem da. Zuvor tanzen sie hoffentlich nett und ansehnlich für kurze Zeit im Wind." 

Ein Anekdoten-Flow, der ungebremst mäandert

Es ist eine der wenigen Buchpassagen, die der einstige Wetten, dass..?-Moderator tatsächlich vorträgt. Zum Großteil besteht die Lesung aus freier, improvisierter Rede, die Buchpassagen liefern nur Stichworte. Gottschalk erzählt Anekdoten über seine Zeit als Verkehrsfunkmoderator auf Bayern 3, als er eine Fronleichnamsprozession auf die Autobahn lenkt, über seinen Enkel, dessen Kita angeblich aus lauter politischer Korrektheit das Weihnachtsfest abschafft, dann plötzlich eine Tirade gegen eine Teenagergeneration, die einerseits aus Flugscham ihre Eltern zum Urlaub in Polen zwingt, andererseits aber zu Konzerten von Taylor Swift pilgert, die im Privatjet um die Welt jettet. 

Es ist ein gottschalkscher Gedankenfetzen- und Anekdoten-Flow, der ungebremst mäandert, garniert mit Koketterien: "Ich habe", sagt Gottschalk, "ja wenig nachgedacht in meinem Leben", und: "Die Fröhlichkeit, die ich gespürt habe, habe ich weitergegeben." 

Aber ist das nur Koketterie? Nein, die ausgestellte Harmlosig- und Gedankenlosigkeit ist auch seine Generalverteidigungslinie gegen eine gehässige Welt aus Medien und sozialen Netzwerken, in denen ihm jeder unbedachte Spaß als Übergriff und Fehltritt nachgetragen wird. "'War doch nicht so gemeint', konnte man früher noch sagen", erklärt er. Überhaupt, früher: "Die Zeiten sind vorbei" ist der Satz, der am häufigsten fällt an diesem Abend. "Die Zeiten, in denen ich entscheide, wen ich beleidige, sind vorbei", sagt Gottschalk. Auch die Zeit der großen Samstagabendshows, die Zeiten, in denen man tätscheln und unbedachte Späße reißen konnte – alles vorbei. "Ich fass niemanden mehr an", bekennt Gottschalk. "Ich frage immer vorher: 'Darf ich dich anfassen?' Die Antwort ist meistens 'Ja'."

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