"The Zone Of Interest" mit Sandra Hüller und Christian Friedel - Kritk
Düsseldorf · Auch akustisch ein Weckruf: Regisseur Jonathan Glazer erzählt in „The Zone Of Interest“ von Auschwitz-Lagerkommandant Rudolf Höß. Er braucht keine Gewaltdarstellungen, um das Publikum durchzuschütteln. Sandra Hüller und Christian Friedel spielen die Hauptrollen.
Christian Friedel in seiner Rolle als Rudolf Höß.
Foto: Landmark Media/imagoIn den nächsten Tagen werden viele Menschen über diesen Film sprechen, und oft dürften Urteile zu hören sein wie: „harter Film, krasser Film“. Es lohnt sich, genau nachzuforschen, warum diese Produktion als extrem empfunden wird, denn ihre Krassheit ist nicht in den Bildern an sich zu finden, man sieht keine Leichen, keine Gewalttaten. Die Grausamkeit lauert hinter dem Sichtbaren, sie wirkt wie ein Gift, das sich über das Geschaute vermittelt, das in den Kinosaal diffundiert und einem irgendwann den Magen umdreht.
„The Zone Of Interest“ heißt der Film, der Brite Jonathan Glazer hat ihn gedreht. Christian Friedel spielt darin Rudolf Höß, den Lagerkommandanten von Auschwitz, Sandra Hüller seine Frau Hedwig. Das Ehepaar hat es sich mit seinen fünf Kindern gemütlich gemacht in seiner Villa. Im ersten Teil dokumentiert der Film eine bürgerliche Idylle mit Kaffeeklatsch und Swimming Pool. Sie grenzt unmittelbar an die Mauer zum Vernichtungslager.
Sandra Hüller als Hedwig Höß.
Foto: dpa/-Der Film beginnt mit einer über Minuten hinweg geschwärzten Leinwand, dazu brummt die Tonspur, und es ist, als wolle der Regisseur sein Publikum an dieser Stelle die Gelegenheit geben, sich zu sammeln, um den Transit in sein Kunstwerk bewerkstelligen zu können.
Überhaupt das von Johnnie Burn verantwortete Sounddesign: Es sorgt dafür, dass sich Beklommenheit nicht bloß über die Augen vermittelt, es sickert auch über die Ohren ein. Es macht den Film zum Horrorfilm. Dauernd dräut es. Es brummt, bebt und grummelt. Man meint wahrzunehmen, wie das Geräusch von Schüssen und Schreien aus der Tieftonschleife stößt. Glazer und Burn haben die Sounds in Deutschland gesammelt, in der Berliner U-Bahn und unter Fans nach einem Fußballspiel in Hamburg. Ein Jahr lang sie daran gearbeitet, diese Field Recordings zu einem akustischen Mahlstrom des Unheils zu verdichten.
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Das Team drehte in einem Haus, das keine hundert Meter von der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau entfernt liegt. Glazer bezeichnete die Dreharbeiten als „Big Brother im Nazi-Haus“. Er installierte in den Räumen zehn Kameras und ließ Hüller und Friedel darin frei agieren. Er beobachtete die Aufnahmen von außen und editierte die gesammelten 800 Stunden Material nachträglich.
Die meisten Filme über die Nazizeit scheitern daran, dass das Grauen nicht zu bebildern ist. Oder an der Kulissenhaftigkeit ihrer Ausstattung. Oder an dem Wunsch nach Versöhnung. Glazer weiß das, und er wählt einen anderen, neuen Ansatz. Er stellt die „groteske Gewöhnlichkeit“ der Täter in den Mittelpunkt, wie er sie nennt. Die Idee kam ihm beim Lesen von Martin Amis’ Roman „Interessengebiet“. Mit der umstrittenen Vorlage hat der Film aber kaum noch etwas gemeinsam.
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Glazer zeigt Höß als Familienvater, der von seinem Traumjob nach Berlin weggelobt wird, und nicht länger direkt an der Rampe arbeitet, sondern in der Verwaltung des Massenmords. Seine Frau will ihr Traumleben nicht verlassen, man habe es doch so schön dort. Also geht er alleine. Und im zweiten Teil, der im Gegensatz zum sommerlich-ländlichen Polen in der winterlichen Reichshauptstadt spielt, gibt es eine Szene, in der das Konzept auf schmerzhafte Weise aufgeht. Da führt der in Fernbeziehung liebende Mann ein total verkorkstes nächtliches Telefonat mit seiner von der kriselnden Ehe ermüdeten Frau. Man ertappt sich tatsächlich bei dem Gedanken: Der Arme! Und dann gruselt man sich vor sich selbst.
„The Zone Of Interest“ will Glazer als „Spiegel unserer selbst“ verstanden wissen. Er will der „selektiven Empathie“ der Menschen auf die Schliche kommen. Ihrer Fähigkeit, Dinge ausblenden zu können. Ihrer Neigung zum Ignorieren. Glazers Film ist im Grunde ein Essay, ein Versuch über die Redewendung „Man gewöhnt sich an alles“. Und er zieht das gnadenlos durch. Es gibt keine Erlösung in diesem Film. Die Charaktere entwickeln sich nicht, sie werden von keiner Einsicht durchgeschüttelt. Nur einmal scheint sich der Körper von Rudolf Höß gegen seine Seele aufzubäumen, da erbricht er sich in die Gänge des Ministeriums.
Es zieht sich eine Kälte durch den Film, die an keiner Stelle aufgebrochen wird. Hedwig Höß probiert einen Pelzmantel an, der - wie man sich denken kann - deportierten Juden abgenommen wurde. Ihre Kinder schauen vor dem Schlafengehen die Sammlung mit menschlichen Zähnen an. Und als Hedwig Höß’ Mutter zu Besuch kommt und fragt, ob denn auch Juden hier lebten, antwortet die Tochter, die seien hinter der Mauer.
Der 58 Jahre alte Jonathan Glazer wurde mit Musikvideos für Bands wie Blur und Massive Attack bekannt. Für Radiohead inszenierte er den berühmten Clip zu „Karma Police“. 2013 sprengte er gemeinsam mit Scarlett Johansson in dem Film „Under The Skin“ das Science-Fiction-Genre und setzte es neu zusammen. An „The Zone of Interest“ hat er neun Jahre gearbeitet. Nun ist er der Film zur Stunde.
In einer Gegenwart, in der Rechtsradikale von Deportationen fantasieren, spürt man die Wirkung dieses Films geradezu körperlich. „The Zone Of Interest“ sei eine Warnung, sagte Glazer im Interview mit der „Financial Times“. Dieses Werk ist so hart und krass, so gelungen und radikal, dass man kaum anders kann, als sie zu verstehen.