«The Zone of Interest»: Hinter der Gartenmauer von Auschwitz ist ...
Glückliche kleine Nazi-Kinder planschen im Pool, während ihre Eltern darüber nachdenken, wie noch effizienter getötet werden könnte. Bild: www.imago-images.de
Review
Jonathan Glazer hat einen erschütternden Film über das normal perverse Leben der Familie Höss aus Auschwitz gedreht. Vater Rudolf leitete das Vernichtungslager.
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Polen, 1943. Das Wort, das Rudolf und Hedwig elektrisiert, heisst «Dauerbetrieb». 24/7 also. Der Dauerbetrieb ist eine Errungenschaft deutscher Ingenieurskunst, so schön gründlich, dass Rudolf davon zu träumen beginnt, nicht nur die zur Verbrennung bestimmten «Ladungen» dem Dauerbetrieb zuzuführen, sondern auch andere. Eine Ladung umfasst 400 bis 500 Menschen. Tote Menschen. Die neuen Verbrennungsöfen schaffen die Massenkremation spielend.
Die Kamine rauchen Tag und Nacht. Und Tag und Nacht herrscht eine diffuse Geräuschkulisse, eine Mischung aus Fabriklärm, Hundegebell, Schüssen, entfernten Schreien. Die Geräusche bestimmen auch den üppigen Paradiesgarten von Rudolf und Hedwig. Zwischen den Öfen auf der einen und den Treibhäusern voller Blumen und Nutzpflanzen auf der anderen Seite steht eine stacheldrahtbewehrte Mauer.
Das ist Auschwitz. Das grösste Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Sein Kommandant heisst Rudolf, Rudolf Höss (Christian Friedel), er ist SS-Obersturmbannführer, verheiratet mit der blonden, fruchtbaren Hedwig (Sandra Hüller) und Vater von fünf Kindern. Er nennt seine Frau «die Königin von Auschwitz», beide herrschen über ihre Arbeitsbereiche, er über das Lager, sie über Haus und Garten, beide haben viele Untergebene, die sie herumkommandieren können, beide sind entsetzlich autoritätsgläubig, was Hitler sagt, ist ihnen Gebot. Und die Allgegenwart der Vernichtung, die im Auftrag Hitlers geschieht, ist ihr Aphrodisiakum.
Frau Höss (Sandra Hüller) macht sich schick im Pelz. Einer Toten.Bild: www.imago-images.de
Doch eigentlich ist alles ganz banal im Alltag der Familie Höss. Vati öffnet morgens das Gartentor und geht zur Arbeit, Mutti bleibt zuhause, in der Freizeit geht man angeln, baden oder macht Gartenpartys. Nur die Gesprächsthemen sind andere als anderswo. Und wenn Mutti mal vor dem Spiegel in einen Pelzmantel schlüpft und zur Diva wird, gehört der Pelz natürlich nicht ihr, er stammt von einer vergasten Jüdin. Und natürlich wird der Garten mit der Asche von Auschwitz gedüngt, das ist das Geheimnis hinter seiner Pracht. Es ist die ganz normale Banalität der Bösen. Nur Hedwigs Mutter hält das alles nicht aus und reist vorzeitig wieder ab.
Kein Kitsch, keine Nazi-Verklärung«The Zone of Interest» von Regisseur und Drehbuchautor Jonathan Glazer («Under the Skin», «Birth») lässt einem das Blut gefrieren und das Herz verdorren. Nicht, weil man unerträgliche Bilder aus Auschwitz sehen würde. Und auch nicht, weil man mal wieder eins mit dem Naziversteher-Kitsch-Hammer oder der Aus-Opfer-werden-Helden-Sentimentalitäts-Keule übergezogen kriegt: Die entsprechende Bilderfabrik steht ja leider mit dem zunehmenden Verschwinden von Zeitzeugen immer noch weniger still. Produktionen wie der aktuelle Berlinale-Beitrag «Treasure», der Kinofilm «Stella», die Netflixserien «All the Light We Cannot See» und «Transatlantic», die Disney+-Serie «Deutsches Haus» bis zurück zum grossen Sündenfall «Unsere Mütter, unsere Väter» bleiben inflationär.
Christian Friedel, Jonathan Glazer und Sandra Hüller (von links) 2023 am Filmfestival von Cannes, wo «The Zone of Interest» vier Preise, darunter den Grossen Preis des Festivals, gewann.Bild: www.imago-images.de
Glazer hat sich für das Gegenteil entschieden. Für einen glazialen Blick. Neun Jahre lang arbeitete der jüdische Regisseur an diesem Film, recherchierte in Auschwitz, liess ein Haus, das dem der Familie Höss entspricht, ausserhalb der Lagermauern aufbauen. Liess Hedwigs Garten anlegen und so lange wachsen, bis er prächtig genug war, ganz im Gegensatz zum Haus, das im Grunde kalt und unpersönlich ist, und damit den eisigen Herzen von Rudolf und Hedwig bestens entspricht.
Auschwitz ist ihr Stolz und ihre HeimatMan kann nicht sagen, dass Glazers Ehepaar unmoralisch wäre, es ist vielmehr amoralisch, es fehlt ihm jegliche Fähigkeit zur Mitmenschlichkeit, ja zur Menschlichkeit. Seine Leidenschaft gehört der Pflichterfüllung. Rudolf Höss, unter dessen Leitung Auschwitz zum Hochleistungs-Lager schlechthin wird, ist einer von Hitlers willigsten Vollstreckern. Und Auschwitz ist Hedwigs und Rudolfs ganz grosse Liebe. Ihr Stolz, ihre Heimat. Als Rudolf vorübergehend nach Oranienburg versetzt wird, will Hedwig ihm nicht folgen: «Das ist so, wie der Führer gesagt hat, dass wir leben sollen. In den Osten vordringen. Das ist unser Lebensraum!», hält sie ihrem Mann entgegen, der dem natürlich nicht widersprechen kann.
Rudolf Höss (Christian Friedel) blickt auf einen Saal voller Nazis. Und stellt sich vor, wie es wäre, auch diese zu vergasen.Bild: www.imago-images.de
Den kreativen Anstoss fand Glazer im gleichnamigen Roman von Martin Amis, was er daraus machte, hat allerdings nur noch lokal und minimal atmosphärisch damit zu tun, Glazers Geschichte ist eine andere, die eines Paars, dessen Alltag aussieht wie aus einem 40er-Jahre-Fotoalbum, wenn da nicht der Stacheldraht über der Gartenmauer, die Dächer der Lagergebäude und die rauchenden Schlote wären. Wie Sandra Hüller und Christian Friedel das spielen, ist von grauenerregender Normalität, Naivität und Nebensächlichkeit, man hat halt so seine Gesprächsthemen, aber dies ganz ohne Pathos, Innehalten oder Selbstreflexion. Man ist einfach, wer man ist. Menschen, deren Kompass auf Auslöschung und Faschismus gestellt ist.
Leuchtraketen der MenschlichkeitIn ganz wenigen Sequenzen gleitet Glazer in eine Alptraumwelt ab, die sich nur schwer deuten lässt, ein schlafwandelndes Mädchen legt Äpfel auf einen Erdwall am Rand des Lagers, aber so klar ist das auch nicht, aufgenommen ist es mit einer Wärmebildkamera, das Mädchen und die Äpfel scheinen zu glühen, winzige Leuchtraketen der Menschlichkeit vielleicht.
Rudolf Höss bei seinem Prozess im März 1947 in Warschau. Am 16. April 1947 wird er im Garten seiner ehemaligen Residenz mit Blick auf das KZ Auschwitz erhängt. Bild: via wikipedia
Mica Levi legt eine unheimliche musikalische Klammer um den Film, es ist eine Verdichtung der omnipräsenten Geräuschkulisse von Auschwitz, und es ist für Levi eine Liebesarbeit, eine Erinnerung an den eigenen Grossvater, einen jüdischen Musiker, dem es im Zweiten Weltkrieg mit viel Glück gelang, aus einem Lager zu fliehen.
Wie man diesen unbedingt sehenswerten Film nun deuten mag, als unverklärten Blick auf die Vergangenheit, als Warnung gegen den aufbrandenden Faschismus oder als Detailbetrachtung eines Killers wie Putin, ist allen selbst überlassen. Hauptsache ist, dass ihn alle sehen. Und etwas begreifen über die Abgründe, in die man fällt, wenn man sich allzu geschmeidig und ohne jede Frage einer totalitären Macht unterwirft.
«The Zone of Interest» ist in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bester internationaler Film, Bestes adaptiertes Drehbuch und Bester Ton für einen Oscar nominiert. Er läuft ab dem 29. Februar im Kino.
Sie sehen die Werte der 50er-Jahre als absolute Regeln: Ultrakonservative «Tradwives» erobern das Netz und erzählen von ihrem Lebensstil, bei dem die Frau noch in der Küche bleibt, während der Mann arbeitet. Ein Phänomen mit moralisierendem, religiösem und rückwärtsgewandtem Touch.
Der Lebensstil, den sie vertreten, ist in den letzten Jahrzehnten von Feministinnen, die Gleichberechtigung oder das Recht auf Abtreibung gefordert hatten, vehement bekämpft worden. «Tradwives», die sich selbst als altmodische Hausfrauen bezeichnen, haben die sozialen Medien erobert und zeigen dort stolz ihre Retro-Kleider, ihre Küche oder ihre Vintage-Schönheitspflege. Die Videos werden teils millionenfach geklickt.