Tatort "Schweigen" zeigt eine dunkle Seite der katholischen Kirche

18 Stunden vor
Tatort: Schweigen

Millionen Menschen in Deutschland werden am Sonntagabend mit dem Thema Missbrauch in der katholischen Kirche konfrontiert. Das Erste zeigt die Tatort-Folge "Schweigen", in der Kommissar Thorsten Falke, gespielt von Wotan Wilke Möhring, in Ermittlungen rund um einen toten Priester und kinderpornografische Aufnahmen gerät.

Falke ist zu einer privaten Auszeit in einem Kloster in der Eifel. In einer Nacht verbrennt dort ein Priester in seinem Wohnwagen. Die örtliche, kirchenverbundene Kommissarin wirkt überfordert, Falke steigt in die Ermittlungen ein. In einem versteckten Keller findet er einen Altar, eine Peitsche und zahllose, gut sortierte Dias und Fotos von Jungen im Alter von 9 bis 13. Bis zu seinem Tod betreute der Geistliche eine Fußballmannschaft und zockte mit Jungs in seinem Campingbus.

Drehbuch mit realen Vorlagen

Erstmalig widmet sich ein Tatort dem Thema Kindesmissbrauch in der Kirche. Ein wenig ist das Drehbuch angelehnt an den realen Fall rund um den Priester Edmund Dillinger. Nach dessen Tod fand sein Neffe vor zwei Jahren in seinem Haus tausende Fotos. Nach bisherigen Erkenntnissen missbrauchte Dillinger mindestens 19 Personen sexuell, sagen Sonderermittler. Ein Abschlussbericht steht noch aus.

Hinaus geht der Film über tatsächliche (bisher bekannte) Geschehnisse innerhalb der Kirchen in Deutschland, dass der Priester gemeinsam mit anderen Geistlichen jahrzehntelang ein pädophiles Netzwerk betrieb. Damit - und mit dem Wohnwagen als Tatort - weckt der Film Erinnerungen an den Missbrauchsfall Lügde, bei dem mehrere Männer jahrelang Kinder auf einem Campingplatz missbrauchten, filmten und das Material verbreiteten.

Lob von Betroffenen

Ansonsten streift der Tatort viele für kirchliche Missbrauchsfälle und deren Aufklärung typische Muster: Bistumsleitungen, die Akten zurückhalten oder frisieren; Personen, die etwas ahnten, aber nicht handelten; Hinweise, die durch Kirchenobere ignoriert wurden; Versetzungen mutmaßlicher Täter; verdeckte (Homo)Sexualität; Gemeindemitglieder zwischen Gehorsam, Verbundenheit zur Kirche sowie Nicht-Glauben-Können oder -Wollen, dass "so etwas" auch bei ihnen passiert. Vor allem: Jahrzehntelanges Missachten von Schutzbefohlenen und Betroffene zwischen Verdrängung und Verzweiflung.

Matthias Katsch, als Kind selbst in der Kirche missbraucht und Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", konnte die Folge bereits sehen und hält sie für gelungen. Sie kondensiere in einer nachvollziehbaren, fiktiven Handlung viele tausend Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das im Film gezeigte Verhalten von Vorgesetzten und Kollegen des Täters bilde sehr gut ab, wie in der Vergangenheit mit diesen Verbrechen innerkirchlich umgegangen worden sei. Katsch hofft, dass der Film andere Betroffene ermutige, sich Hilfe zu suchen. Er rechnet mit mehr Beratungsanfragen bei den entsprechenden Angeboten des Eckigen Tischs.

Gedreht im ehemaligen Trappisten-Kloster

Der Tatort bildet nicht ab, dass die katholische Kirche in Deutschland in den letzten Jahren bei Missbrauchsprävention und -aufarbeitung dazu gelernt hat. Regisseur Lars Kraume, selbst Katholik, ist sich bewusst, dass der Film nur eine dunkle Seite von Kirche zeigt: "Es sind so viele Menschen von diesen Ereignissen betroffen. Nicht nur die Opfer und Täter, sondern auch die vielen anderen, die für ihre Mitgliedschaft in der katholischen Kirche in Haftung genommen werden." Es sei ein zweischneidiges Schwert, die Verbrechen in einem 90-minütigen Primetime-Krimi aufzugreifen. Einerseits sei dieser Rahmen angesichts der Komplexität der Wirklichkeit "fast zu profan". Andererseits laufe so die Debatte weiter, "dass großes Unrecht noch nicht ausgeräumt ist".

Gedreht wurde der vom NDR produzierte Tatort im Eifelort Heimbach, in der Abtei Mariawald. Sie war das letzte Trappisten-Kloster in Deutschland und wurde 2018 geschlossen. Der Trappisten-Orden, das Bistum Aachen sowie Privatleute sorgen nun dafür, dass das Kloster als geistlicher Ort erhalten bleibt.

Geistliche Begleitung des Films

Schauspieler Wotan Wilke Möhring hob in einem Interview der KNA hervor, dass ein Film zu diesem Thema in einem kirchlichen Ort gedreht werden durfte. "Das zeigt ja, dass sie auch daran interessiert sind, das Thema Missbrauch öffentlich zu machen", so der Schauspieler, der sich ähnlich seiner Rolle im Film ansonsten kirchenkritisch äußert. Die Diskrepanz "zwischen dem, was das Christentum oder Jesus vielleicht sagen wollten, und dem, was eben auch in der Kirche passiert", sei ihm bei dem Dreh sehr deutlich geworden. Möhring lobte, dass der Dreh durch die Kirche gut begleitet worden sei.

Dafür war vor allem der Geistliche Leiter der Abtei Mariawald Andreas Rose verantwortlich, der bei den sechswöchigen Dreharbeiten dabei war. Der Regisseur sei sehr offen gewesen für Anmerkungen, sagte der Geistliche der KNA. Er habe bei äußerlichen Dingen beraten, zum Beispiel, bei welchen Gebeten die Gemeinde normalerweise steht, oder wie ein Bischof gekleidet ist. Aber auch inhaltlich habe er Impulse gegeben. So hätten ursprünglich im Drehbuch Witze über Missbrauch gestanden, die Rose nicht für angemessen hielt. Insgesamt berichtete er von einem sehr guten Miteinander.

Den Tatort hält er für "leider sehr realistisch", wenngleich natürlich manches für einen Film "etwas dramatisiert werden muss". Nach der Ausstrahlung rechnet Rose mit einzelnen Protesten, wieso man für das Thema Missbrauch den Dreh im Kloster erlaubt habe. "Dahinter steckt ja das Bild: Kirche ist heilig, da darf nichts Schlechtes passieren. Aber das ist ja genau das alte Problem: So werden auch keine Missbrauchstaten offengelegt, sondern weiter das System der Vertuschung gefahren. Wir waren aber durch den Tatortdreh in einem konstruktiven und offenen Austausch."

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