Wie Bildungsministerin Stark-Watzinger sich im Amt retten will

Stark-Watzinger

Es ist das klassische Bauernopfer: Um sich selbst im Amt zu halten, hat sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) von Staatssekretärin Sabine Döring getrennt. Nach tagelangem beharrlichem Schweigen hatte Stark-Watzinger Bundeskanzler Scholz gebeten, Döring in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Am späten Sonntagabend wurde sie von ihren Aufgaben entbunden. Wenige Stunden davor hatte Döring auf der Plattform X geschrieben: „So wird nun dieser Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn ein jähes Ende finden.“ Nur zwölf Minuten später folgte eine zweite Mitteilung: „Habe gerade Anruf gekommen, muss den Tweet löschen“, was kurze Zeit später auch geschah.

Döring hatte eine ministerielle Prüfung strafrechtlicher Konsequenzen und möglicher Kürzungen bereits bewilligter Fördermittel gegen Hochschullehrer in Auftrag gegeben, die sich in einem offenen Brief gegen die Räumung einer propalästinensischen Besetzung der Freien Universität (FU) Berlin ausgesprochen hatten. Stark-Watzinger hatte damals ihre Fassungslosigkeit gegenüber der Zeitung „BILD“ über das Verhalten der Wissenschaftler geäußert. Dass es sich bei den Unterstützern um Hochschullehrer handele, sei eine neue Qualität. Denn gerade Professoren und Dozenten müssten „auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“.

Stark-Watzinger stellte sich öffentlich gegen ihre Staatssekretärin

Ihre Zweifel an der Grundgesetztreue der Hochschullehrer wiederholte die Ministerin am Sonntagabend aus guten Gründen nicht, wohl aber ihre Fassungslosigkeit. „Es macht mich bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief der Terror der Hamas ausgeblendet wurde. Und wie dort etwa pauschal gefordert wurde, Straftaten an den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu beobachten sind“, so Stark-Watzinger.

Gleichzeitig verteidige sie die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung. „Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht nach politischer Weltanschauung. Das ist das Kernprinzip der Wissenschaftsfreiheit“. Ihr sei am 11. Juni eine Mail aus der Fachebene ihres Ministeriums zur Kenntnis gebracht worden, welche die Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen für die Unterzeichner des besagten offenen Briefs zum Gegenstand hatte. Das wolle sie einordnen. Sie habe veranlasst, dass der Sachverhalt gründlich und transparent aufgearbeitet werde. „Fest steht, dass eine Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde“. Damit stellte sich die Ministerin öffentlich gegen die inzwischen entlassene Staatssekretärin.

„Prüfungen förderrechtlicher Konsequenzen wegen von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen finden nicht statt“, versicherte Stark-Watzinger. Der entstandene Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftlern in das BMBF nachhaltig zu beschädigen. „Vor diesem Hintergrund und da ich im Prozess der Aufarbeitung zu der Überzeugung gelangt bin, dass ein personeller Neuanfang nötig ist“, habe sie den Bundeskanzler um Dörings Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gebeten, erläuterte die Ministerin. Doch das Vertrauen der Wissenschaftler in das BMBF war schon vorher beschädigt. Die Ministerin genießt in der Wissenschaft keinen guten Ruf.

Inzwischen haben über 2700 Wissenschaftler (Stand Montag Morgen) einen offenen Brief unterschrieben, in dem der Rücktritt Stark-Watzingers wegen eines untragbaren Eingriffs in die Wissenschaftsfreiheit gefordert haben. In dem offenen Brief der Wissenschaftler heißt es, „Der Entzug von Fördermitteln ad personam aufgrund von politischen Äußerungen“ sei „grundgesetzwidrig“. Die Unterzeichner lehren vor allem an deutschen Universitäten. Es sind bekannte Professoren wie Axel Honneth, Hartmut Rosa und Wolfgang Merkel darunter.

In einer internen Mail an die Mitarbeiter hatte sich die Versetzung Dörings in den einstweiligen Ruhestand schon angedeutet. Sie hatte zugegeben, die rechtliche Prüfung des offenen Briefes der mit der propalästinensischen Besetzung sympathisierenden Hochschullehrer telefonisch beim zuständigen Abteilungsleiter in Auftrag gegeben zu haben. Am 13. Mai war der Prüfauftrag in der Abteilung bearbeitet worden. „Bei der Erteilung des Auftrages hatte ich mich offenbar missverständlich ausgedrückt. Förderrechtliche Konsequenzen für die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes prüfen zu lassen, war von mir nicht gemeint“, schrieb Döring. Allerdings sei ihr Auftrag „wohl so zu verstehen“ gewesen. Die Unklarheit sei in einem weiteren Telefonat ausgeräumt worden, „so dass dieser Aspekt auch kein Bestandteil der Prüfung war“.

Dass ein derartiger Vorgang ausgerechnet unter einer FDP-Bildungsministerin geschah, die bei jeder Gelegenheit große Worte über die Wahrung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit fand, ist in der Wissenschaft auf Entrüstung gestoßen. Viele halten den Rücktritt der Bundesbildungsministerin für unumgänglich. Der von Stark-Watzinger beabsichtigte Befreiungsschlag ist in ihren Augen ein Ausweichmanöver. Stark-Watzinger muss nun möglichst rasch im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung Rede und Antwort stehen.

Döring war als Quereinsteigerin ins Bundesbildungsministerium (BMBF) gekommen. Sie ist Philosophieprofessorin in Tübingen mit den Schwerpunkten Ethik und Theorie der praktischen Philosophie. Ihr Lehrstuhl wird derzeit vertreten. Sie hatte die Verhandlungen über das Startchancen-Programm mit den Ländern geführt und war jetzt dabei, den Digitalpakt 2.0 zu verhandeln. Wie es damit weitergeht, ist derzeit völlig unklar.

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