„Squid Game“ als Reality-TV: Squid pro quo
Alles verändert sich, nur die Unterhaltung nicht – tröstlich! Vor zwei Jahren landete Netflix einen Überraschungserfolg mit der koreanischen Serie „Squid Game“ über eine Spielshow zur Belustigung von Superreichen, bei der von 456 Teilnehmern in Trainingsanzügen am Ende einer übrig bleibt, viel Geld gewinnt und alle anderen erschossen werden. Dass die Weltökonomie auf allen erdenklichen Ebenen seit Erfindung des Geldes ähnlich funktioniert, machte den Reiz der Serie aus – ebenso die hübschen Deko-Schnörkel und die Untermalung mit einem Klassik-Radio-Best-of (nur leider ganz ohne Rolando Villazón).
Was derart einschlägt, schlägt sicher auch ein zweites Mal ein, dachte man sich bei Netflix, doch ist die zweite Staffel erst für das Jahr 2025 angesetzt, und man braucht im übergeordneten „Squid-Game“ der Streaminganbieter auch in der Zwischenzeit Erfolge für die Massen. Denn die zahlen ja den Bewegtbild-Gourmets die Kosten für hochkarätig besetzte Feinschmeckerserien. Also beschlossen geschäftstüchtige Köpfe, die Serie einfach als Reality-TV-Format mit echten Teilnehmern zu recyceln: Wieder 456 Spieler und Spielerinnen und eine „lebensverändernde Siegesprämie“ von 4,56 Millionen Dollar. Spiele und Bühnenbild sind von der Originalserie „inspiriert“. Nun wird hier erfreulicherweise niemand erschossen. Aber so ganz wollte man sich den Knall-und-Fall-Effekt nicht nehmen lassen, und wann immer jemand in der Spielsituation „eliminiert“ wird, trifft ihn eine schwarze Farbkugel und er kann sich – so er bis zuletzt brav mitspielt – scheintot zur Seite fallen lassen.
Aber hässlich „klickt“ ebenHier dienen die Spiele allenfalls als Garnitur. Ebenso viel Zeit verbringt die Show mit den „Charakter-Tests“ der Kandidaten, die in verspiegelten Interviewräumen tropfenweise verraten dürfen, was sie antreibt: das Haus abbezahlen oder einfach „der Beste sein“. Und wenn man jetzt einfach mal zugunsten der Produktion annimmt, dass noch etwas Raum für echte, das heißt nicht durch ein Drehbuch vorgegebene Handlungen und Emotionen besteht, selbst dann passiert auch hier nur das, was schon im Fernsehen passierte, seit die niederländische Show „Nummer 28“ 1991 einander völlig fremde Menschen in ein Haus pferchte und filmte. Wären die Teilnehmer wenigstens Krähen, die sich ja bekanntlich kein Auge und so weiter – das würde die Sache vielleicht noch mal spannend machen (man müsste ihnen vielleicht noch kleine Rennräder zur Verfügung stellen).
Doch da der Mensch dem Menschen ein Mensch ist, kommt es, wie es kommen muss: hässlich. Aber hässlich „klickt“ eben. Dazu noch das Lacrimosa aus Mozarts Requiem, und fertig ist das „echte menschliche Drama“. Etwas, bei dem „die Masken fallen“, wie eine Teilnehmerin sagt. Dabei wird eine Sache gern vergessen: Wenn es so etwas gibt wie einen menschlichen Kerntrieb, dann ist es die Suche nach Anschluss und Zuwendung. Erst wenn diese künstlich unterbunden wird, knirscht’s. So tut die Unterhaltung das, was sie gern tut: Sie bastelt sich ihren Konflikt selbst. Klar: „The show must go on.“