Hamas-Chef: Yahya Sinwar starb eingestaubt und verhüllt

20 Stunden vor

Israels "most wanted" ist tot. Eher zufällig getötet bei einer Verfolgung in Rafah, im Süden des Gazastreifens. Yahya Sinwars letzte Augenblicke hielt eine Drohne fest. 

Sinwar - Figure 1
Foto STERN.de

Die wohl letzte Aufnahme des lebenden Yahya Sinwar mutet bizarr an: Auf einem in grauen Staub gehüllten roten Polstersessel sitzt ein Mann und schaut über die Schulter in Richtung Kamera. Er hat das Gesicht verhüllt, die Kleidung ist steingrau. Das fliegende Auge gehört zu einer Drohne, die durch eine offenkundig beschossene Wohnung kreist. Auf dem Boden liegen Trümmer herum, Kissen, Reste von Ventilatoren – alles ebenfalls von einer dicken Staubschicht bedeckt. Nach einigen Sekunden wirft die Person auf dem Sessel einen Stock Richtung Drohne. 

Sinwars letzte Bilder stammen von einer Drohne

Sinwar sitzt in dem Sessel, als hätte er gerade ein Buch gelesen oder Fernsehen geguckt, genau in dem Moment, in dem eine Explosion Teile der Wohnung in Rafah, im Süden des Gazastreifens zerfetzt haben soll. Doch nach Aussage des israelischen Militärs ist der Drahtzieher hinter der Hamas-Attacke vom 7. Oktober 2023 erst Augenblicke zuvor vor einer israelischen Einheit hierher in die Reste eines Wohnzimmers geflüchtet – wo eine Drohne die letzten Bilder von ihm gemacht hat.

Sinwar - Figure 2
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Er saß eingestaubt im Sessel: Drohne spürte Hamas-Chef Sinwar auf

01:23 min

Es war offenbar eine israelische Routinepatrouille, die dem Terrorchef auf die Spur gekommen war – und ihn letztlich das Leben gekostet hat. Der Trupp, so die Darstellung unter anderem der "New York Times", ist dabei auf drei Verdächtige gestoßen. Daraufhin habe es ein Feuergefecht gegeben. Die flüchtenden mutmaßlichen Terroristen hätten sich getrennt und sich in benachbarten Häusern verschanzt. Mit Hilfe von Drohnen seien Teile der Gebäude zerstört worden, so israelische Beamte. Laut der Zeitung "The Times of Israel" ist es ein Panzer gewesen, der ins Gebäude geschossen hat. 

Israelis fanden Hamas-Chef eher zufällig

Erst als sich der Staub gesetzt und verzogen hatte, durchsuchten die Soldaten das Gebäude und stießen dabei auf eine Leiche, die Yahya Sinwar verblüffend ähnlich sah, zeigt das Drohnenvideo. Anscheinend war die Patrouilleneinheit nicht explizit auf der Suche nach dem Mann – jedenfalls nicht hier und in diesem Moment. Geheimdienstberichte sprachen nur generell von ranghohen Hamas-Mitgliedern, die sich in der Gegend verborgen halten sollten. Dass es sich bei dem Körper tatsächlich um die sterblichen Überreste von Sinwar handelte, belegten später Zahnproben und Fingerabdrücke.

Sinwar - Figure 3
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Der 61-Jährige war der von Israel meistgesuchte Terrorist und gehörte zur Gründergeneration der Hamas. Wegen seiner auch gegen eigene Leute gerichteten Grausamkeit war er als "Schlächter von Chan Junis" bekannt. Als Hamas-Chef im Gazastreifen rüstete er die Islamistenorganisation mit iranischer Hilfe massiv auf und bereitete sie auf den Terrorüberfall im Oktober 2023 vor. Damals wurden 1200 Menschen getötet und 250 in den Küstenstreifen verschleppt. Dieser brutale Überfall, der größte Anschlag auf Juden seit dem Zweiten Weltkrieg, löste den Krieg im Nahen Osten aus.

"New York Times" bestätigt Israels Darstellung

Ob die jetzt veröffentlichten Aufnahmen tatsächlich den Hamas-Chef zeigen, ob sie tatsächlich kurz vor seinem Tod entstanden sind und ob sie tatsächlich aktuell und aus dem Norden von Rafah sind, ist bislang nicht unabhängig gesichert. Denn sämtliche Informationen dazu stammen von der israelischen Seite. Die Hamas selbst hat aber zumindest den Tod Sinwars bestätigt.

Sinwar - Figure 4
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Recherchen der "New York Times" legen nahe, dass die Darstellung stimmt. So trägt sowohl die Person auf dem Video als auch auf Bildern nach der Tötung eine sehr ähnlich grüne Kaffiyeh. Außerdem würden andere veröffentlichte Videos von israelischen Soldaten die gleiche Gegend in Rafah zeigen, auf einem Mitschnitt aus dem September sei sogar das gleiche Wohnhaus zu sehen, in dem Sinwar jetzt ums Leben gekommen ist. 

Endet der Krieg nach dem Enthauptungsschlag?

In den vergangenen drei Monaten sind nun drei der führenden Terrorfürsten im Nahen Osten eliminiert worden: Ismail Hanija, Hamas, 31. Juli. Hassan Nasrallah. Hisbollah, 27. September. Yahya Sinwar, Hamas, 16. Oktober. Hinter jeden ihrer Tode steht Israel, doch wer geglaubt hat, dass mit ihrem Ableben auch der Krieg abebben würde, den muss der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu enttäuschen: "Heute hat das Böse einen schweren Schlag erlitten, die vor uns liegende Mission ist noch nicht beendet“, sagte er nach dem neuesten Enthauptungsschlag. 

Und so gingen die Kämpfe nach der bestätigten Tötung im Gazastreifen und im Libanon, beziehungsweise im Norden Israels, weiter. Nach Angaben des israelischen Militärs feuerte die mit der Hamas verbündete Schiitenmiliz Hisbollah mindestens 15 Raketen vom Libanon auf Israel ab. 

Quellen: "New York Times", DPA, AFP, Reuters, "The Times of Israel"

#Themen Hamas Rafah Gazastreifen Israel
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