Windkraftkrise: 7,5 Milliarden Euro aus Berlin – Staatsgarantien für ...
Neue Hoffnung für Siemens Energy: Der angeschlagene Windturbinenhersteller erhält insgesamt zwölf Milliarden Euro an Garantien. Der Durchbruch gelang, weil auch der frühere Mutterkonzern sich nach zähem Widerstand einbringt.
13.11.2023, 14.08 Uhr
Siemens-Energy-Chef Bruch (l.) mit Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck
Foto:HANNIBAL HANSCHKE / EPA
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Siemens-Energy-Chef Christian Bruch ließ sich am vergangenen Mittwoch in Berlin von der Politik für die Eröffnung einer Wasserstofffabrik feiern. Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck besuchten die Werkshallen in der Huttenstraße, die mit ihren roten Backsteinfassaden Industrieromantik versprühen, aber schon bald in Serie Elektrolyseure für die Produktion von Wasserstoff, den Energieträger der Zukunft hervorbringen sollen.
Den entscheidenden Schritt, um erst einmal wieder in der Gegenwart zurechtzukommen, hatten Bruch und Siemens Energy bereits am Abend zuvor gemacht: In den Verhandlungen mit der Bundesregierung und dem Großaktionär Siemens über lebensnotwendige Garantien gelang nach SPIEGEL-Informationen der Durchbruch. Der Staat, die Ex-Mutter Siemens und ein von vier Banken geführtes Konsortium werden Siemens Energy zwölf Milliarden Euro an frischen Garantien gewähren. Sie sind notwendig, damit das Unternehmen in den kommenden Jahren Großaufträge für den Bau von Stromleitungen und Konvertern für Offshore-Windanlagen unterschreiben und abwickeln kann.
Am Donnerstag segnete der Präsidialausschuss des Aufsichtsrates das Hilfspaket ab. An diesem Dienstag müssen die komplexen Beschlüsse noch vom gesamten Kontrollgremium genehmigt werden, was jedoch als sehr wahrscheinlich gilt.
Windturbine von Siemens Gamesa
Foto: Vincent West / REUTERSDie Siemens-Energy-Führung um Christian Bruch, Vertreter der Bundesregierung und verschiedener Banken sowie Siemens-Chef Roland Busch hatten in den vergangenen Wochen erbittert um eine Lösung gerungen. Siemens Energy produziert Gaskraftwerke, Energienetze, Windkraft- und nun auch Wasserstoffanlagen und gilt als wichtiger Ausrüster für die Wende hin zu einem nachhaltigeren Energiesystem.
Allerdings schreibt die Windkraftsparte Siemens Gamesa seit Jahren rote Zahlen, allein für dieses Jahr werden mindestens 4,5 Milliarden Euro Verlust erwartet. Schuld daran sind teils hausgemachte Probleme: Siemens Energy hatte die Übernahme des spanischen Spezialisten für Windräder auf dem Land, die frühere Gamesa, schlecht gemanagt. Zuletzt zeigten sich bei den Gamesa-Turbinen schwere Qualitätsprobleme.
Hinzu kommt, dass Siemens Energy wie andere europäische Windturbinenhersteller langfristige Lieferverträge zu festen Preisen abgeschlossen und nun mit stark gestiegenen Kosten für Stahl und andere Vorprodukte zu kämpfen hat. Außerdem liefern sich die Anlagenbauer einen ruinösen Wettbewerb um immer größere und leistungsfähigere Windräder, der nun zunehmend noch von chinesischen Konkurrenten befeuert wird.
Deshalb steckt Siemens Energy trotz eines Auftragsbestandes von rund 110 Milliarden Euro in einer tiefen Krise und die Kreditwürdigkeit hatte sich zuletzt verschlechtert. Banken waren deshalb nicht mehr bereit, in dem notwendigen Umfang Bürgschaften für Großprojekte zu gewähren. Deshalb hatte Bruch vor einigen Wochen die Bundesregierung um Hilfe gebeten . Es ging dabei von Anfang an nicht darum, dass sich der Staat mit Kapital direkt an Siemens Energy beteiligt, anders als etwa bei der Rettung des Gashändlers Uniper im vergangenen Jahr. Vielmehr soll der Bund mit Garantien einspringen, um den Banken mehr Sicherheit zu geben. Die Rede war von einem Gesamtpaket über 15 Milliarden Euro.
Scholz und Habeck forderten jedoch, dass sich auch Siemens an einem Hilfspaket beteiligt. Der Münchner Konzern hatte sein Energiegeschäft 2020 abgespalten, ist mit rund 25 Prozent aber noch immer größter Anteilseigner von Siemens Energy. Garantien, die Siemens früher in großem Umfang gestellt hatte, wurden in den vergangenen Jahren stark abgeschmolzen.
Busch hatte sich lange dagegen gewehrt, neue Risiken zu übernehmen, und intern argumentiert, man sei den eigenen Aktionären verpflichtet. Siemens Energy und Vertreter der Bundesregierung hielten in den Verhandlungen dagegen, als Großaktionär habe Siemens ein hohes Eigeninteresse daran, die frühere Tochter zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen. Buschs Mitarbeiter sollen auch rechtliche Hinderungsgründe angeführt haben, die aber offenbar ausgeräumt werden konnten.
So kam es nun zum Kompromiss. Die Bundesregierung stellt 7,5 Milliarden an Garantien, die Banken 3,5 Milliarden Euro, Siemens soll sich mit einer Milliarde Euro einbringen. Der Siemens-Anteil setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen überweist Siemens Energy bisher jährlich einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag an die Ex-Mutter, um den Markennamen Siemens weiter nutzen zu können. Eine Rate von 250 Millionen Euro soll nun gestundet und als Sicherheit genutzt werden.
Außerdem betreiben Siemens und Siemens Energy ihr Indiengeschäft bislang in einer Gemeinschaftsfirma. Es war ohnehin geplant, dass die Mutter ihren Energieableger aus diesem Unternehmen eines Tages herauskauft. Einen Teil dieses »Carve Outs« will Siemens nun vorziehen und überweist dafür rund zwei Milliarden Euro an Siemens Energy, 750 Millionen Euro davon werden ebenfalls als Sicherheit für neue Bankgarantien genutzt.
So kommt ein Paket von zwölf Milliarden Euro zusammen, ursprünglich war ein Paket von 15 Milliarden Euro angestrebt worden. In Verhandlungskreisen heißt es, auch diese Lücke noch zu schließen, könne mit den Mitteln aus dem Indiendeal leichter fallen.
Nach SPIEGEL-Informationen verhandelt Siemens Energy zudem mit den Regierungen in Spanien und Dänemark, um dort bestehende Garantien auszuweiten. In beiden Ländern spielt Siemens Energy neben Deutschland als Windkraftanbieter eine besonders große Rolle.
Am Mittwoch wird der Konzern zudem seine Jahreszahlen vorlegen und weitere Maßnahmen ankündigen, um die Verluste im Windgeschäft zu verringern und die Qualitätsprobleme zu lösen.