Südkorea: Staatskrise Südkorea
Für rund sechs Stunden galt in Südkorea das Kriegsrecht. Angesichts des massiven Widerstandes musste Präsident Yoon Suk Yeol die Maßnahme wieder zurücknehmen. Freiheit.org sprach mit Frederic Spohr, dem Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul, über die politische Lage.
Südkorea hat eine dramatische Nacht hinter sich. Am Abend verhängte Präsident Yoon Suk Yeol das Kriegsrecht – für das gesamte Land völlig überraschend. Sechs Stunden später nahm er die Maßnahme jedoch wieder zurück. Zwischenzeitlich hatten sich Tausende Demonstranten am Parlament eingefunden, zudem stimmten 190 Abgeordnete für die Aufhebung des Kriegsrechts - und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Frederic Spohr, Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul, analysiert die Lage.
Herr Spohr, ist die Demokratie in Südkorea gefährdet?
Derzeit sieht es so aus, dass die Demokratie und ihre Institutionen gestärkt aus dieser Staatskrise hervorgehen könnten. Medien, Abgeordnete und viele Bürger haben sich nicht einschüchtern lassen. Es war beeindruckend zu sehen, dass sich so viele Menschen für die Demokratie eingesetzt haben.
Wie ernst war die Situation?
Wäre das Kriegsrecht tatsächlich in Kraft geblieben, hätte das die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger erheblich eingeschränkt. Yoon und der von ihm ernannte Befehlshaber des Kriegsrechtskommandos, Park An-su, schickten fast 300 Soldaten, teilweise per Hubschrauber, zum Parlament. Die Soldaten hatten den Befehl, niemanden hineinzulassen. Es scheint als habe Präsident Yoon versucht, die Arbeit des Parlaments zu stoppen und Kritiker mundtot zu machen. Journalisten berichten, dass sie in der Nacht von Sicherheitskräften aufgesucht worden seien. Andere berichteten, sie seien darüber informiert worden, dass Haftbefehl gegen sie erlassen worden sei.
Warum hat Präsident Yoon das Kriegsrecht ausrufen lassen?
Man muss zwischen dem unterscheiden, was er gesagt hat, und den wohl eigentlichen Gründen. In seiner Rede sprach er davon, man müsse „staatsfeindliche Kräfte zerschlagen, die Chaos angerichtet haben.“ Außerdem sprach er martialisch davon, die „pro-nordkoreanischen, staatsfeindlichen Kräfte, die die Freiheit und das Glück unserer Bürger rauben, sofort zu eliminieren und unsere Verfassung zu schützen.“ Wahrscheinlicher ist, dass Präsident Yoon mit undemokratischen Mitteln der politischen Sackgasse entkommen wollte, in der er seit Monaten steckt. Die Opposition hat die Mehrheit im Parlament und zeigt sich so kompromisslos wie Yoon. Yoons Zustimmungswerte lagen zuletzt bei lediglich 17 Prozent, auch weil Vertraute in Korruptionsskandalen verwickelt sind. Beispielsweise hat seine Frau eine Luxushandtasche als Geschenk angenommen.
In dieser Woche kürzte die Opposition den Haushaltsentwurf des Präsidenten für 2025. Das stellt die Regierung vor extreme Herausforderungen, rechtfertigt meiner Meinung nach aber kein Kriegsrecht. Die koreanische Verfassung erlaubt das Kriegsrecht nur unter extremen Bedingungen, etwa in Kriegszeiten oder Notfällen, die militärisches Eingreifen erfordern.
Wie geht es jetzt weiter?
Yoon scheint nun ziemlich isoliert zu sein. Der Chef seiner konservativen Partei, Han Dong-hoon, hat sich bereits von ihm distanziert. Wichtige Mitarbeiter von ihm sind bereits zurückgetreten, darunter beispielsweise sein Stabschef Chung Jin-suk und sein Nationaler Sicherheitsberater Shin Won-sik. Möglich ist, dass Yoon zurücktritt oder aus dem Amt gedrängt wird. Er muss auch mit juristischen Verfahren rechnen, weil die Ausrufung des Kriegsrechts unter den gegebenen Umständen wohl als verfassungswidrig betrachtet werden wird.
Die Opposition möchte Amtsenthebung. Wie funktioniert das, wie wahrscheinlich ist es?
Mindestens 201 der 300 Mitglieder der Nationalversammlung müssen für ein Amtsenthebungsverfahren stimmen. Da sich auch viele Parteifreunde von Präsident Yoon distanziert haben, ist das realistisch. Anschließend müsste noch das Verfassungsgericht zustimmen. Hier könnte es zu Verzögerungen kommen. Gemäß Artikel 23 des Verfassungsgerichtsgesetzes müssen mindestens sieben Richter an den Beratungen teilnehmen, derzeit sind aber nur sechs im Amt, da sich das Parlament nicht auf Nachbesetzungen einigen konnte. Und der Präsident muss Neubesetzungen zustimmen. All das könnte zu Komplikationen führen.
Wie ist die Stimmung in Seoul?
Generell herrscht Fassungslosigkeit darüber, was gestern Nacht passiert ist. Aber viele sind auch stolz darauf, dass sich die Südkoreaner dem Kriegsrecht widersetzt haben. Für viele junge Südkoreaner sind die Entwicklungen absolut schockierend. Manche Ältere fühlen sich dagegen an dunkle Zeiten erinnert. Bis 1987 herrschte eine Militärdiktatur, demokratische Bewegungen wurden mehrmals blutig niedergeschlagen. Das will niemand mehr erleben – aber die Bilder von gestern Abend haben viele schmerzlich daran erinnert.