Südkorea: "Das ist einer Demokratie unwürdig"

10 Stunden vor

interview

Stand: 04.12.2024 14:52 Uhr

Südkorea - Figure 1
Foto tagesschau.de

Die Krise um Präsident Yoon ist auch ein Ausdruck der politischen Spaltung des Landes, sagt der Südkorea-Experte Eric J. Ballbach im Interview. Der Protest gegen die Verhängung des Kriegsrechts zeige aber auch eine Stärke des Landes.

tagesschau.de: Der südkoreanische Präsident hat scheinbar aus dem Nichts heraus das Kriegsrecht erklärt, alle politischen Parteien oder Aktivitäten im Land gestern verboten und die Medien unter staatliche Kontrolle gestellt. Wie konnte es dazu kommen?

Eric J. Ballbach: Es war eben nicht ganz aus dem Nichts. Es war die dramatische Zuspitzung einer Entwicklung in der südkoreanischen Innenpolitik in den vergangenen Monaten, in der sich die beiden politischen Lager immer unversöhnlicher gegenüberstanden. Man spricht in Südkorea von "Nam-Nam-Spaltung", das heißt so viel wie Süd-Süd-Teilung. Der Begriff beschreibt, wie gespalten die beiden politischen Lager in Südkorea sind, sodass kaum noch eine produktive Zusammenarbeit möglich ist.

Seitdem die Oppositionspartei bei der Parlamentswahl im April ihre Mehrheit noch ausbauen konnte, konnte Präsident Yoon seine innenpolitischen Ziele kaum noch durchsetzen, ganz im Unterschied übrigens zur Außenpolitik, in der der südkoreanische Präsident sehr viel Gestaltungsspielraum besitzt. Aber innenpolitisch gibt es eine Blockadehaltung der Opposition. Zuletzt scheiterten die Verhandlungen über einen neuen Haushalt.

Zur Person

Dr. Eric J. Ballbach ist Korea Foundation Fellow in der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zuvor arbeitete er am Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die EU-Korea-Beziehungen, Südkoreas Außen- und Sicherheitspolitik, politische Dynamiken des nordkoreanischen Nuklearprogramms sowie Identitätspolitik auf der koreanischen Halbinsel.

"Yoon sah sich offenbar mit dem Rücken zur Wand"

tagesschau.de: Gleichwohl ist es ein mehr als brachialer Akt, dann das gesamte Parlament aufzulösen und das Militär auf die Straße zu schicken.

Ballbach: Dass er jetzt diese "nukleare Option" des Kriegsrechts gezogen hat, ist extrem und einer Demokratie unwürdig. Das hat es seit der Demokratisierung Südkoreas noch nicht gegeben. Yoon sah sich offenbar so sehr mit dem Rücken zur Wand, dass er das Kriegsrecht für den letzten Ausweg hielt.

Seine länger schon niedrigen Zustimmungswerte lagen zudem in jüngsten Umfragen bei nur noch 17 Prozent. Dennoch ist sein Kalkül schwer nachvollziehbar. Denn seit 2016, als die Bevölkerung gegen die damalige Präsidentin Park Geun-hye nach Korruptionsvorwürfen auf die Straße ging, weiß man, wie wehrhaft die südkoreanische Demokratie ist. Park wurde dann des Amts enthoben.

"Debatten sind immer ideologisierter geworden"

tagesschau.de: Woran macht sich die Spaltung des Landes fest? Was ist der tiefer liegende Grund für die Unversöhnlichkeit?

Ballbach: Regierung und Opposition haben ganz unterschiedliche Vorstellungen in zentralen Politikfeldern. Das betrifft vor allem den Umgang mit Nordkorea. Das liberale Lager setzt traditionell viel mehr auf Einbindung und Annäherung, das konservative Lager viel mehr auf Abschreckung und eine tiefere Allianz mit den USA. Nach jedem Regierungswechsel kommt es in der Außenpolitik zu einem Schwenk um 180 Grad. Das macht die Planbarkeit und auch die Zusammenarbeit schwierig.

Zudem ist die Debatte in den vergangenen Jahren immer ideologisierter, immer personalisierter, sind Attacken immer persönlicher geworden. Und es gibt in Südkorea auch die unrühmliche Tradition, die vorausgehenden Präsidenten, wenn sie nicht dem eigenen Regierungslager angehören, juristisch zu verfolgen. Das haben wir bei fast allen ehemaligen südkoreanischen Präsidenten erlebt.

Politisches System "ohne starke Parteibindung"

tagesschau.de: Meinungsverschiedenheiten und der politische Wettstreit gehören aber doch zum Wesen der Demokratie und sind gewollt. Es soll ja den demokratischen Diskurs und die Auseinandersetzung geben, bevor es zu einer Entscheidung kommt.

Ballbach: Ja, aber wir sehen dieses Phänomen auch in anderen Demokratien, wir sehen in vielen Ländern, dass die Polarisierung in den politischen Systemen zunimmt. Hinzu kommt in Südkorea, dass das politische System sich deutlich von den anderen Demokratien unterscheidet. Das Parteiensystem ist ein ganz anderes. Es gibt nicht, wie beispielsweise lange Zeit in Deutschland, starke Parteibindungen, die manchmal über Generationen reichen.

Die Parteienbindung auf lokaler Ebene existiert nicht. Südkoreanische Parteien sind vielmehr ein Machtkreis um einflussreiche Persönlichkeiten. Wenn diese Persönlichkeiten von der politischen Bildfläche verschwinden, brechen Parteien zusammen. Wenn es innerhalb von ihnen zu Streit kommt, splitten sie sich auf, werden neue Parteien gegründet. Und das ist sicherlich problematisch.

"Demokratie trotz harten Streits gefestigt"

tagesschau.de: Zugleich sind nach der Verhängung des Kriegsrechts Tausende auf die Straße gegangen, um ihre Demokratie zu verteidigen.

Ballbach: Wir sehen in Südkorea, dass sich die Demokratie trotz des harten politischen Streits gefestigt hat. Wir sehen, dass es eine starke außerparlamentarische Demokratie gibt. Die Leute gehen auf die Straße, stehen für ihre Demokratie ein, für die sie, historisch betrachtet, blutig gekämpft haben.

Und diese Demokratie gilt es zu verteidigen. Nicht nur die Bürger sind gestern auf die Straße gegangen, auch die Gewerkschaften haben sich zusammengetan und zum Streik aufgerufen, bis Präsident Yoon zurücktritt. Und dann hat auch das Parlament das Kriegsrecht verworfen.

Die Opposition braucht die Regierung

tagesschau.de: Wäre es denkbar gewesen, dass das Parlament sich nicht gegen ihn gestellt hätte? Was wäre dann passiert?

Ballbach: Es hat sich gleich gezeigt, dass sich auch Yoons Parteifreunde gegen ihn stellen. Der Parteivorsitzende der People's Power Party hat den Schritt als falsch bezeichnet und sofort angekündigt, er werde sich auf die Seite des Volkes stellen. Auch das zeigt, welches enormes Wagnis Yoon hier eingegangen ist.

Nun gibt es seitens der Opposition das Bemühen, ein Amtsenthebungsverfahren zu beginnen, aber dazu braucht sie Stimmen aus dem Regierungslager. Es scheint aber, dass ihr dazu nur noch wenige Stimmen fehlen.

tagesschau.de: Und was passiert dann? Gibt es dann Präsidentschaftswahlen?

Ballbach: Wenn der Präsident des Amtes enthoben wird, wird innerhalb von 60 Tagen neu gewählt. So war es auch nach der Amtsenthebung von Präsidentin Park. Das lässt den Parteien entsprechend Zeit für den Wahlkampf.

"Das kann so nicht weitergehen"

tagesschau.de: Haben Sie die Hoffnung, dass es nach einer Wahl zu einem anderen politischen Umgang miteinander kommen könnte, dass die Parteien und Politiker die Ereignisse vom Dienstag als eine Art Weckruf aufnehmen?

Ballbach: Die Rhetorik hat sich auf beiden Seiten in den vergangenen Monaten sehr zugespitzt. Yoon hat seine innenpolitische Agenda nicht durchbekommen, es gab auch keine Versuche, entsprechende Gesetzesvorhaben mit der Opposition zusammen zu beschließen. Von beiden Seiten gab es fast nur noch Alleingänge. Das kann so nicht weitergehen.

Man kann nur hoffen, dass man in Südkorea jetzt die richtigen Schlüsse daraus zieht und, nachdem gestern Teile der Regierungspartei im Parlament mit der Opposition gestimmt haben, so etwas wie neue Kommunikationskanäle zwischen den beiden politischen Lagern entstehen, um aus dieser Situation die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn unter der jetzigen Lage leidet sowohl die Wirtschaft als auch das Ansehen des Landes.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de

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