Wahlen zum Nationalrat: Sieg für die Schweizer Rechten

Die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) hat ihre Position als mit Abstand stärkste politische Kraft der Schweiz ausgebaut. In den Wahlen zum Nationalrat, der großen Kammer des Parlaments in Bern, holte die Partei gemäß Hochrechnungen 29 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das sind 3,4 Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren.

Damit schloss die SVP fast zu ihrem Rekordergebnis aus dem Jahr 2015 auf, als sie 29,4 Prozent erreichte. Ähnlich wie die AfD in Deutschland profitieren die Schweizer Rechtspopulisten aktuell von der neu angefachten Migrationsdebatte. Der Kampf gegen Zuwanderung gehört seit langem zu den Kernthemen der SVP.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) erhöhte ihren Wähleranteil um 0,4 Prozentpunkte auf 17,2 Prozent und blieb damit die zweitstärkste Kraft. Die liberale FDP rutschte um 0,5 Prozentpunkte auf 14,6 Prozent ab, während sich die christdemokratische Partei „Die Mitte“ (vormals CVP) um knapp einen Prozentpunkt auf 14,7 Prozent verbesserte.

Grüne bei 9,1 Prozent

Die Grünen sind die größten Verlierer der Wahlen. Sie erhielten gemäß den ersten Hochrechnungen 9,1 Prozent der Stimmen. Das sind gut 4 Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren, als sie ihren Wähleranteil fast verdoppeln konnten. Der Anteil der Grünliberalen sank um 0,7 Prozentpunkte auf gut 7 Prozent.

Der Abschwung für das grüne Lager war bereits erwartet worden. Im Gefolge der Corona-Pandemie und der geopolitischen Umwälzungen ist der Klimaschutz im Bewusstsein der Bevölkerung wieder etwas in den Hintergrund getreten. In diesen politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten haben sich wieder mehr Schweizer den konservativen Kräften zugewandt. Der SVP-Übervater Christoph Blocher fasste die Agenda seiner Partei während des Wahlkampfs in einem Satz zusammen: Die SVP sei die einzige Partei, „die gegen die maßlose Zuwanderung, den Asylmissbrauch, die EU-Unterwerfung, die Aushöhlung der Neutralität, den Strommangel und den Gender-Wahn kämpft“.

Dass die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber auch in der Schweiz deutlich gestiegen ist, gab der SVP kräftig Rückenwind. Während die Zuwanderung in den Wahlen vor vier Jahren nur eine untergeordnete Rolle spielte, brachte dieses Thema der Partei nun wieder viel Zuspruch. Unter der Losung „Es kommen zu viele und es kommen die falschen Ausländer!“ führte sie eine aggressive Kampagne gegen den Zustrom von Migranten. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus stufte diese Kampagne als „rassistisch, fremdenfeindlich und hetzerisch“ ein.

„Öffentliche Empörung hat der SVP geholfen“

Geschadet hat diese Kritik der SVP nicht, wie der Schweizer Meinungsforscher Michael Hermann im Gespräch mit der F.A.Z. erläutert: „Die öffentliche Empörung hat der SVP geholfen, ihr Kernthema Migration noch stärker in den Vordergrund zu rücken.“ Insgesamt hätten jene Parteien zugelegt, die den Menschen Schutz versprochen hätten – also einerseits die SVP, welche die Schweizer vor Zuwanderern und Konkurrenten schützen wolle, und andererseits die Sozialdemokraten, die soziale Wohltaten verteilen wollten.

Wer wie die Grünen auf Verzicht oder wie die FDP auf Leistung gepocht habe, sei von den Wählern hingegen bestraft worden. Die Mitte-Partei hat aus Hermanns Sicht von der Fusion mit der kleinen Partei BDP und dem damit verbundenen Namenswechsel profitiert. Damit habe die frühere CVP außerhalb des angestammten katholischen Lagers neue Anhänger gewonnen. Auch mit der Betonung des Sozialen innerhalb einer ansonsten bürgerlichen Ausrichtung habe die Partei gepunktet.

An der Zusammensetzung des Bundesrats, wie die Mehrparteien-Regierung aus SVP, SP, FDP und Mitte in Bern heißt, wird sich nach diesen Wahlen voraussichtlich nichts ändern. Der Bundesrat wird traditionell nach der sogenannten Zauberformel gebildet, die eine proportionale Vertretung der Bürger in der Regierung gewährleisten soll. Demnach besetzen die drei stärksten Parteien jeweils zwei Bundesratssitze; der viertstärksten Partei steht ein Sitz in der Regierung zu. Gewählt werden die Bundesräte auf Vorschlag ihrer Parteien von der Vereinigten Bundesversammlung, also den Mitgliedern der großen und kleinen Kammer des Parlaments (Nationalrat und Ständerat). Die nächste Bundesratswahl findet am 13. Dezember statt.

SVP und FDP haben wohl keine Mehrheit

Falls die Mitte-Partei auch in der Schlussabrechnung tatsächlich erstmals mehr Stimmen als die FDP erhält, könnte sie den Anspruch anmelden, nun zulasten der Liberalen einen zweiten Sitz im Bundesrat zu bekommen. Allerdings gehört es zu den ungeschriebenen Gesetzen in der Schweizer Politik, dass amtierende Bundesräte nicht abgewählt werden. Eine große Ausnahme von dieser Regel bildete 2007 die Abwahl von Christoph Blocher (SVP). Nach Einschätzung von Michael Hermann könnte die Mitte-Partei im Fall der Fälle erst dann aussichtsreich einen eigenen Bundesratskandidaten ins Rennen schicken, wenn einer der beiden amtierenden FDP-Regierungsmitglieder – also entweder Außenminister Ignazio Cassis oder Finanzministerin Karin Keller-Sutter – zurücktritt.

Den Hochrechnungen zufolge werden SVP und FDP gemeinsam wohl nicht auf eine Mehrheit der Sitze im Nationalrat kommen. Die beiden Parteien können also nicht einfach ihre Agenda durchdrücken, wenn sie sich auf einem bestimmten Feld einig sind (was zuletzt freilich ohnehin nicht oft vorkam). Dank der Sitzgewinne für die SVP haben die konservativen Kräfte aber einen größeren Hebel, um Vorstöße aus dem links-grünen Lager zu blockieren.

Der Wahlausgang könnte sich negativ auf die Europapolitik der Schweiz auswirken. Die SVP lehnt jegliche Annäherung an die EU ab. Eine solche wäre aber nötig, um die Lücken in den bilateralen Verträgen zu schließen, die der exportstarken Schweizer Wirtschaft den Zugang zum europäischen Binnenmarkt sichern. Auch die Sozialdemokraten stehen bisher einer Einigung mit Brüssel im Weg.

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