Sandro Wagner: „Alles schlecht zu reden, macht es nicht besser.“

9 Tage vor
Sandro Wagner
HMG-Summercamp „Zu viel Input verstopft die Festplatte“

Empathie und Klarheit sind für Sandro Wagner der Kern guter Führung. Was Manager vom Co-Trainer der Nationalmannschaft lernen können.

WirtschaftsWoche: Die Fußball-EM im eigenen Land ist jetzt zwei Monate her. Die Leistung Ihrer Mannschaft war mitreißend, trotzdem sind Sie im Viertelfinale unglücklich ausgeschieden. Wie sehr beschäftigt Sie das noch?
Sandro Wagner: Meine Gedanken kreisen noch ab und zu um die Niederlage. Ich frage mich, warum es in diesem Spiel zu Ende gegangen ist, was wir anders hätten machen können, um zu gewinnen – aber im Großen und Ganzen ist es ein positives Gefühl. Außerdem hat nach dem Turnier auch sofort die Arbeit an den nächsten Aufgaben begonnen. Da blieb gar nicht viel Zeit, an die Vergangenheit zu denken.

Sie kamen im September 2023 zur Nationalmannschaft und sind Co-Trainer an der Seite von Julian Nagelsmann. Damals war das Team in keiner guten Verfassung. Warum lief es nicht rund?
Wir sind in Deutschland gesegnet mit tollen Einzelspielern. Es war aber ein bisschen die Kunst verloren gegangen, diese Spieler auch zusammenzubringen. Sie haben als Gruppe nicht funktioniert.

Und das haben Sie geändert?
Zuerst haben auch wir als Trainerteam Fehler gemacht. Wir lagen bei der Kaderzusammenstellung daneben. Die Vorbereitungsspiele gegen die Türkei und Österreich vor knapp einem Jahr haben richtig wehgetan. Das waren große Niederlagen. Rückblickend waren das aber perfekte Ereignisse: Sie haben uns wachgerüttelt. Wir haben gesehen, dass wir mit kosmetischen Eingriffen keinen Erfolg haben werden. Danach war klar: Wir brauchen einen kompletten Neustart.

Zur Person

Sandro Wagner

Sandro Wagner ist ein ehemaliger Fußballprofi und heutiger Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft.

Wie sah der aus?
Wir haben nicht mehr vorrangig auf die Einzelspieler geachtet, die Qualität des Einzelnen war nicht mehr entscheidend. Wichtig war nur die Frage: Wie funktioniert die Gruppe am besten?

Als Nationaltrainer führen Sie ein Team, das nur sporadisch zusammenkommt. Erschwert das die Führung?
Natürlich kann man als Nationalmannschaft nicht über Wochen und Monate immer wieder den taktischen Plan einstudieren und nachtüfteln. Deshalb muss man kreativ sein. Der japanische Nationaltrainer zum Beispiel reist immer durch Europa zu seinen Spielern, spricht mit jedem eine halbe Stunde über Taktik und düst dann wieder weg. Wir machen es anders. Wir haben unseren inhaltlichen, taktischen Plan einmal gesetzt und bauen darauf auf. Die Spieler bekommen in den Vereinen so viel Input – zu viel verstopft die Festplatte. Uns geht es in den Phasen zwischen den Spielen deshalb mehr darum, emotional den Kontakt zu halten.

Das heißt?
Wir erinnern sie zum Beispiel daran, welches Gefühl sie bei der EM in den Fans entfacht haben. Mein Ziel bei dem Turnier war nicht irgendeine Platzierung, sondern den Menschen wieder Lust auf die Nationalmannschaft zu machen. Das ist uns gelungen.

Sie waren 15 Jahre als Profifußballer aktiv und haben 2020 Ihre aktive Laufbahn beendet. Wollten Sie schon früh Trainer werden – oder hat es sich einfach so ergeben?
Der Berufswunsch Trainer kam mir mit Mitte 20.

Gab es einen Auslöser?
Ich bin ein schlechter Befehlsempfänger. Zumindest wenn es um Befehle geht, die keinen Sinn machen. Dann bin ich auch sportlich schlecht. Manche meiner Trainer haben mir einen Weg vorgegeben, den ich nicht gesehen habe. Also habe mir gesagt: Wenn ich irgendwann die Chance bekomme, Trainer zu werden, mache ich das.

Wie leicht fiel Ihnen der Wechsel auf die andere Seite?
Es ist nicht leicht. Erst ist man einer von 20 Leuten und hört einer Person zu. Und plötzlich ist man dann selbst derjenige, dem 20 Leute zuhören. Das ist eine Umstellung, gerade am Anfang macht man deshalb viele Fehler. Aber wenn man kein Problem damit hat, Fehler zuzugeben, kann man auch schnell lernen. Ich habe früh gemerkt, dass mir das Trainerdasein viel mehr Spaß macht als das Spielen. Wenn ich heute im Urlaub bin und andere Eltern mit ihren Kindern Fußball spielen, habe ich gar keine Lust, mitzuspielen. Ich sage lieber den anderen, dass sie links oder rechts laufen sollen. Wenn ich wählen müsste zwischen Spieler und Trainer, und nur eine Ausfahrt wäre möglich: Ich würde sofort Trainer wählen.

Zu Beginn Ihrer aktiven Karriere galten Sie als große Stürmerhoffnung, mit Anfang 20 kam der Knick. Kritiker nannten Sie zwischenzeitlich einen „Chancentod“. Ein unfairer Titel?
Nein, es stimmte. Meine ersten Berufsjahre sind gut verlaufen, doch dann habe ich etwas den Faden verloren. Damals war ich beim SV Werder Bremen. Ich bin relativ jung Vater geworden. Diese Verantwortung hat mich damals überfordert, ich konnte mich nicht mehr richtig auf meinen Beruf konzentrieren. Ich habe fast drei Jahre gebraucht, um das zu realisieren. Dann habe ich mein Leben neu strukturiert.

Wie ist Ihnen die Kehrtwende gelungen?
In Bremen sagte man mir, ich solle den Verein verlassen. Also ging ich zu Hertha BSC Berlin. Auch dort sagte man mir, ich sei nicht gut genug. Das hielt ich aber für Quatsch. Und es hat mich getriggert. Danach habe ich dreimal so viel gearbeitet wie zuvor. Aber im Einklang mit meinem Familienleben.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche