Alice Weidel verliert das TV-Duell gegen Sahra Wagenknecht

„Was bisher geschah“, könnte man den Bericht über das heiß erwartete Duell Sahra Wagenknecht gegen Alice Weidel bei Welt TV beginnen, wie in einer Vorabend-Soap. Was bisher geschah, ist die aparte Kleinigkeit, dass zwei fixe, redegewandte und überaus taffe Frauen diese Republik umgekrempelt haben, von der man noch vor wenigen Jahren dachte, sie werde grün. Diese beiden Frauen, im Alter zehn Jahre auseinander, haben das als Gegenbilder zu einer sehr viel langweiligeren Männerriege geschafft, für die paradigmatisch die Sprachlosigkeit des Bundeskanzlers steht. Was den Fall noch erstaunlicher macht, ist, dass die beiden Frauen aus Positionen relativer institutioneller Machtlosigkeit handeln. Sie sind nur Parteivorsitzende. Bis jetzt.

Sahra Wagenknecht - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bevor man Sahra Wagenknecht (BSW) und Alice Weidel (AfD) politisch einsortiert, sollte man die Umstände ihres Aufstiegs festhalten. Denn er erfolgte zum Erschrecken des politischen Establishments, jener Gruppierungen also, die man einmal Mehrheitsparteien nannte. Bei neuen und künftigen Mehrheiten dagegen, besonders im Osten, vermutlich auch bei der nächsten Bundestagswahl, werden die beiden Frauen etwas mitzureden haben – entweder, weil man sie unbedingt verhindern will (Weidel), oder weil es ohne sie mehrheitsarithmetisch nicht mehr geht (Wagenknecht). Prima Aussichten.

Moderator mit Lackschicht

Im heftig beworbenen „TV-Duell“ auf dem Welt-Kanal war im Lauf des Nachmittags schon von „politischer Heirat“ die Rede gewesen. Doch nichts lag Sahra Wagenknecht ferner, als um 18 Uhr die Studioscheinwerfer angingen. Die BSW-Vorsitzende spulte ihr Programm herunter, wie man es aus unzähligen Talkshows kennt, kühl, kontrolliert und ohne Fehltritte. Sie ist die Erfahrenere, und sie ließ es Weidel mit ungerührter Höflichkeit spüren. Jeder Werbungsversuch der Gegnerin prallte an ihr ab. Wagenknecht konnte es sich sogar erlauben, am Ende der Sendung ein paar Worte zu ihrer jugendlich linken Venezuela-Romantik zu verlieren. Die Bücher allerdings, die sie in den letzten 15 Jahren geschrieben hat, weisen sie hinreichend als Marktwirtschaftlerin aus, und von diesen Büchern hat Alice Weidel offenbar noch nie gehört. Es gibt bei der AfD, so viel wurde klar, ein Beratungsproblem.

Überhaupt stolperte die AfD-Vorsitzende sichtlich nervös in dieses Gespräch, ruderte zwischendurch herum, lachte unmotiviert, und es half ihr auch nicht, dass der Moderator Jan Philipp Burgard äußerst strukturiert eine Liste von konkreten Sachfragen abzuhaken begann, ohne von seiner Linie abzuweichen. Wenn Weidel phantasieren wollte, rief Burgard sie zu Ordnung; wenn Wagenknecht ins Monologische abhob, wiederholte Burgard mit fester Stimme seine Frage. Fast immer kam der Moderator mit der glänzenden, absolut kratzfesten Lackschicht damit durch.

Alice Weidel geht in sich

Was man denn übereinander denke, lautete die erste Frage. Man müsse miteinander reden statt übereinander, sagte Weidel. Ja, konterte Wagenknecht, Fairness mit der AfD wäre in der Tat ein Zeichen des Respekts, aber: „Sie haben mich als ‚nützliche Idiotin‘ bezeichnet.“ Weidel: Wahlkampf führe nun einmal zu Überspitzungen. Das BSW dürfe im Osten kein Steigbügelhalter für andere sein. Dann zur Wirtschaft, ein Heimspiel für beide, weil die Unzufriedenheit im Land so groß ist. Schlechte Ausbildungslage, marode Brücken, kein Zug fährt mehr pünktlich und so weiter, von der Steuerlast zu schweigen. Markante Unterschiede: Wagenknechts Satz, die Sanktionen gegen Russland seien ein „Eigentor“ gewesen. Und die Schuldenbremse müsse weg. Statt als Ökonomin zu argumentieren, die sie ist, schlug Weidel schon hier das Migrationsthema an, doch Burgard wollte davon noch nichts hören. Erst kam der 7. Oktober dran.

Wenig überzeugend: Alice Weidel wirkt mitunter nervös.Martin U.K. Lengamann/WELT

Und hier durfte es ein wenig menscheln, nur dass die beiden Kontrahentinnen dafür nicht zu haben waren. Wie sie denn des besonderen Jahrestages gedacht hätten, wollte der Moderator wissen, vielleicht bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Hamas-Terrors? Wagenknecht blockte ab und wollte lieber von Israels „schrecklicher Kriegsführung“ reden. „Terror wird mit Terror bekämpft!“ Da überraschte Weidel mit der Aussage: „Ich bin mit meinen jüdischen Freunden in mich gegangen.“ Lange kann sie sich da aber nicht aufgehalten haben, denn gleich kam sie auf Annalena Baerbock, die „Israel-Hasser zum Dinner“ einlade. Und die „Ausschreitungen auf unseren Straßen“, die Krawalle: „Wenn die AfD in der Regierung säße, wären die Krawallbrüder nicht mehr in diesem Land!“

Eine sonderbare Patina liegt über Weidels Ausdrücken, man glaubt es kaum, wenn man eine Frau von 45 vor sich sieht. Krawallbrüder. Der „Schreihals“, den sie Anton Hofreiter einmal entgegenschleuderte. Die „alimentierten Messermänner und sonstigen Taugenichtse“, für die sie im Bundestag einen Ordnungsruf kassierte. Eine der Erkenntnisse dieses Abends war, dass ein guter Moderator ihr das Terrain der altbackenen Beschimpfungen nur zu verstellen braucht, und es bleibt wenig von Alice Weidel übrig.

Höckes 20 bis 30 Millionen

Wie dünn die Schicht ihrer Argumente ist, zeigte sich eklatant, nachdem Wagenknecht wie gehabt für eine Zweistaatenlösung in Nahost plädiert hatte: Weidel wusste nicht weiter und konnte nur ungeordnet nachbeten, was die andere schon ausgeführt hatte. Dann krönte sie ihre Verwirrung mit dem Satz: „Am Ende eines jeden Konflikts steht ein Frieden.“ Hatte sie vorher noch Israels Recht auf Selbstverteidigung hervorgehoben, schob sie jetzt schnell nach, deutsche Waffenlieferungen an Israel dürfe es nicht geben. Nächstes Thema.

Das Bemerkenswerteste bei der Migration war, wie clever sich Wagenknecht von Weidel absetzte. Einerseits, indem sie den vollintegrierten syrischen Einwanderer in Deutschland beschwor, der tagsüber einen Job habe und abends auch noch Taxi fahre (sie saß nämlich mal darin). Und andererseits, indem sie ihre heftigsten Worte des Abends sprach: Björn Höckes „20 bis 30 Millionen“, die aus dem Land verschwinden sollten, seien eine völlig übertriebene Zahl. Man dürfe den Menschen keine Angst machen. Klar, Regulierung der Einwanderungszahlen müsse sein. Aber: „Wir sollten aufhören, eine solche Spaltung zu verursachen!“

Und dann kam die Rede so richtig auf Björn Höcke, und Sahra Wagenknecht ließ ihr Opfer minutenlang nicht mehr los, denn darauf hatte sie hingearbeitet. Erstmals ließ Burgard die Sache laufen, vielleicht, weil Moderatoren sonst so wenig Spaß haben. Weidel selbst, so Wagenknecht, habe 2017 doch einen Antrag unterschrieben, Thüringens starken AfD-Mann aus der Partei auszuschließen. „Das werfe ich Ihnen vor: Höcke hat kein Problem mit Neonazis. Die Menschen spüren, dass die Partei immer mehr von den Höckes dominiert wird.“ Höcke sei ein Rechtsausleger. „Ich will nicht, dass so ein Mann in unserem Land Macht bekommt. Höcke hat eine Agenda, dass es mir graust.“ Mit dem könne man nicht zusammenarbeiten. Und noch einmal. Höcke, Höcke, Höcke. „Und das ist Ihre Verantwortung!“

Keine Koalition mit Neonazis

Eine kleine Tür ließ Wagenknecht sich aber offen. Die AfD, sagte sie, sei eine „differenzierte Partei“. Auch ein Koalitionspartner für das BSW?, wollte der Moderator wissen. Die Antwort: „Ich schließe eine Koalition mit Leuten aus dem Neonazi-Sumpf aus.“ Als Weidel um eine Stellungnahme zu ihrem Parteifreund gebeten wurde, fiel ihr nicht mehr viel ein. Im Studio stehe sie, nicht Björn Höcke. Dann: „Extremisten haben bei uns keinen Platz.“ Das merkte sich Wagenknecht, die später, weil es so lustig gewesen war, noch einmal auf Höcke und sein schreckliches Wort von der „wohltemperierten Grausamkeit“ zu sprechen kam, aber da war das Gespräch längst in seine Erschöpfungsphase mit deutlich höherem Albernheitsfaktor eingetreten. Alice Weidel war unterdessen bei der Suche nach „Extremisten“ in anderen Parteien fündig geworden und zählte landesweit bekannte Exemplare dieser Spezies auf: Angela Merkel zum Beispiel, Olaf Scholz, Nancy Faeser. Tja. Es war eben ein langer Tag. Das TV-Duell bekam satirische Züge.

Die Positionen beider Frauen zum Angriffskrieg in der Ukraine sind bekannt, Wagenknecht schärfte hier allenfalls noch ihr Anti-NATO-Profil nach. Beide fabelten von einem „Verhandlungsfrieden“. Und Weidel würde Trump wählen, wenn sie drüben wahlberechtigt wäre, während Wagenknecht froh ist, weder Trump noch Harris im Angebot zu sehen. Mit den USA will sie wirklich nichts zu tun haben, was mit einem anderen Gesprächspartner ein gruseliges Thema gewesen wäre.

Ach ja, Sahra Wagenknecht, im Gefühl des deutlichen Punktsieges, gab Weidel auf einer Rechts-Skala von 1 bis 10 die Wertung 6 und nannte sie allen Ernstes „konservativ“. Man soll ihr nicht nachsagen können, sie habe unnötig Brücken verbrannt. Alice Weidel dagegen empfindet sich selbst als „konservativ-liberal-freiheitliche Politikerin“. Wenn das mal aufs Wahlplakat passt, nächstes Jahr, wenn sie vielleicht als Kanzlerkandidatin antritt. Direkt empfehlen kann man es ihr nach diesem Abend nicht.

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